Betreff: Tunesien, Ägypten & Co.

Frage: Welcher unserer Politiker hätte wohl den Mut, sein Leben aufs Spiel zu setzen, um für Demokratie und Menschenrechte zu kämpfen? Können Sie sich unseren Außenminister Guido Westerwelle oder unseren Bundespräsidenten Christian Wulff vorstellen, wie die beiden mit handgemalten Plakaten in Peking auf dem Platz des Himmlischen Friedens stehen, um sich den Panzern der Obrigkeit in den Weg zu stellen? Wie sie umgeben von den Schlägertrupps eines brutalen und korrupten Regimes die Nacht auf dem Tahrir-Platz in Kairo verbringen, bewaffnet lediglich mit einem Handy, von dem aus sie unerschrocken den Fernsehsendern in aller Welt berichten?

Oder unsere Kanzlerin: Die war, vermeldet lapidar die Wikipedia, vor der Wende weder in der zivilen noch in der kirchlichen Opposition aktiv. Am Tag als die Mauer fiel, hat Angela Merkel nicht einmal die Nachrichten verfolgt. Statt dessen saß sie mit einer Freundin in der Sauna, berichtet der Politjournalist Gabor Steingart in „Die Machtfrage„.

Nun könnte man ja argumentieren, dass dies vielleicht sogar ganz gut ist, denn um einen Staat zu lenken braucht es einen kühlen Kopf und eine gehörige Portion Sachverstand. Und dass diejenigen, die nach Jahrzehnten der Unterdrückung im Laufe einer Revolution an die Macht kommen, auch nicht die idealen Staatslenker wären. Womöglich würden sie erst einmal alte Rechnungen begleichen wollen. Ein paar Köpfe rollen lassen. Oder sich zumindest jene Schätze unter den Nagel reißen, die das alte Regime nicht rechtzeitig außer Landes gebracht hat. Das wollen wir dann auch wieder nicht.

Mäßigung ist also angebracht angesichts der Revolutionen in Tunesien und Ägypten, argumentierte Freund G. bei unserer gestrigen Stammtischrunde. Und außerdem seien die meisten dort sowieso nicht reif genug für die Demokratie. Nicht einmal bei uns. „Und am Ende wählen sie dann die Muslimbrüderschaft und dann haben wir den Scheiß.“

Um meine rhetorische Eingangsfrage zu beantworten: Niemand kann sich unsere höchsten Repräsentanten als Freiheitskämpfer vorstellen. Aber ein paar deutliche Worte an Herrn Mubarak – ist das zu viel verlangt? Warum schweigt die EU? Warum gibt es keine Unterstützung für die Vorkämpfer der Demokratie in Tunesien und Ägypten, in Jordanien, Jemen und Algerien? Was tun Merkel, Obama & Co eigentlich, um den Menschenrechten in diesen Ländern zum Durchbruch zu verhelfen? Und was haben unsere Staatsoberhäupter, die Chefs der ach so freien westlichen Welt denn dafür in den vergangenen Jahrzehnten getan?

Those who deny freedom to others deserve it not for themselves.

Das ist eines meiner Lieblingszitate. Es stammt von Abraham Lincoln, dem 16. Präsidenten der USA. Über seine Motive mag man streiten, aber erst hat er die geteilte Nation vereinigt und dann die Sklaverei abgeschafft. Das macht ihn nicht nur sympathisch, sondern auch glaubwürdig. Ich wünschte mir, die USA, die EU und auch unsere politische Kaste würde sich an Lincolns Weisheit erinnern. Ich wünschte mir, unsere Repräsentanten würden endlich damit aufhören, Diktatoren in aller Welt in den Hintern zu kriechen. Und ich schäme mich für mein Land, solange auch bei uns Wirtschaftsinteressen immer wieder über Menschenrechte gestellt werden.

Dass viele Jugendliche im arabischen Raum uns für Heuchler halten, die westliche Lebensweise verachten und ihr Heil im radikalen Islam suchen hat vielleicht auch damit zu tun, wie unserer „Realpolitiker“ deren Unterdrücker seit Jahrzehnten hofieren – mit Staatsempfängen und Gipfeltreffen, durch Waffenlieferungen und Wirtschaftsabkommen, vor allem aber durch konsequentes Wegschauen angesichts Unterdrückung und Korruption, Willkür und Folter.

Jetzt gibt es eine historische Chance, es besser zu machen. Statt mit Armeen westliche Verhältnisse erzwingen zu wollen, wie in Afghanistan und im Irak, könnte man es zur Abwechslung´mal mit friedlichen Mitteln versuchen. Wie wär´s zum Beispiel mit ein paar Milliarden Euro Starthilfe für junge Demokratien? Gekoppelt natürlich an die Bedingung freier Wahlen unter neutraler Beobachtung. Ich wette, dafür gäbe es mehr Verständnis als für den Euro-Rettungsschirm. Statt Waffenlieferungen könnte man den Austausch von Schülern und Studenten fördern. Technologien zur Nutzung der Solarkraft gemeinsam weiter entwickeln als Alternative zum Bau neuer Atomkraftwerke. Die Märkte öffnen für Agarprodukte, statt mit EU-Subventionen die Ungleichheiten zu zementieren…

War´n nur so ein paar Gedanken. Bisschen ´rumgesponnen. Bin halt ein Dummerle und verstehe nicht, warum die Unterstützung von Diktatoren alternativlos ist.

Nachtrag vom 18.2.:

Schön, dass die Ägypter ihre Revolution alleine hin gekriegt haben. Peinlich, die markigen Worte Merkels und Westerwelles nach dem Fall des Regimes. Mubaraks Konten in der EU sind immer noch nicht gesperrt (die Schweizer haben das schon lange getan).