Bahn frei zur Großen Deutschland-Tour

So Freunde. Es ist soweit. Nach diversen Ärgernissen habe ich rechtzeitig zu Beginn des Monats mein Deutschlandticket erhalten. Die ersten 10 Fahrten mit Bus und Bahn nahe meiner Wahlheimat Offenburg haben allesamt geklappt, zwei Mal auch mit Fahrradmitnahme. Und die einzige Verspätung (von 13 Minuten) kam mir gerade recht, weil ich dadurch einen Zug noch erreicht habe, der sonst buchstäblich abgefahren wäre.

Und jetzt? Natürlich ärgere ich mich über den Streik der Bahn-Gewerkschaft. Nicht nur wegen Zugausfällen, sondern auch, weil ich deren Forderungen absolut überzogen und unsolidarisch finde. Wie immer wird man am Ende der Erpressung nachgeben. Und dann dürfen die Steuerzahler die Zeche übernehmen (und natürlich die Kunden, mit höheren Ticketpreisen).

Zum Glück habe ich kürzlich die Selbstbetrachtungen des Marc Aurelius gelesen. Der alte Römerkaiser hat schon vor fast 2000 Jahren erkannt, dass die ganze Aufregung ja ´eh nichts bringt, und er lehrt, dem Leben mit heiterer Gelassenheit zu begegnen. Und das heißt für mich: Bahn-Ärger hin oder her – ich werde mein Deutschlandticket ausreizen und genießen.

Natürlich kann der Michel nicht einfach so losfahren und sich überraschen lassen. Nein, er muss einen möglichst grandiosen Plan machen und seiner Liebe zum Enzyklopädischen frönen. Das Ergebnis ist der Entschluss, mit dem Deutschlandticket meine Heimat „komplett“ zu bereisen, und möglichst alles „Wichtige“ zu sehen.

Bei der Zusammenstellung habe ich mich an Leuten orientiert, die Ahnung haben. Also in meinen nicht wenigen Reiseführern und Lexika geschmökert, mein Textarchiv konsultiert und natürlich auch die Wikipedia und Google befragt. Und um dem Ganzen auch noch ein sportliches Element zu verleihen, habe ich versucht, eine Rundreise zu  entwerfen, die mit möglichst wenigen Kilometern alles abdeckt.

Für Insider: es geht hier um das „Problem des Handelsreisenden„. Start und Ziel sind gleich, alle anderen Orte werden nur einmal besucht, und die gesamte Reisestrecke soll so kurz wie möglich sein. Auf Papier bin ich mit meiner Lösung schon ziemlich weit, und eine Landkarte habe ich ebenfalls gebastelt. Hier sind allerdings in einem ersten Schritt nur die ersten 15 Top-Sehenswürdigkeiten (UNESCO-Welterbe) verzeichnet. Ich habe nämlich beschlossen, einfach mal loszufahren, statt immer nur zu planen. Den Rest ergänze ich dann von unterwegs, anhand meiner Recherchen vor Ort und gerne auch mit Euren Vorschlägen:

 

Sardinien – La Maddalena

Die Insel La Maddalena und der gleichnamige Nationalpark bilden den Schwerpunkt dieses Beitrages. Bis ich dort ankomme, bitte ich noch um einige Zeilen Geduld, dafür gibt es dann auch ein oder zwei kleinere Zugaben.

Den letzten Abschnitt meiner Reise habe ich in San Teodoro begonnen, wo ich an der Pescheria einen zweiten Anlauf zur Vogelbeobachtung gemacht habe. Im Gegensatz zum gestrigen Feiertag ist der Ort heute verlassen und ich finde einen kurzen, aber sehr schönen Rundwanderweg, den ich gestern übersehen hatte. Er führt abwechselnd ans Wasser der Lagune und durch die Machia, und ist auch mit diversen Hinweisschildern versehen. Das auffällige Gepiepe in der Nähe kommt laut meiner Bestimmungs-App „Merlin“ von Bienenfressern, doch leider bekomme ich diese farbenprächtigen Vögel einfach nicht zu sehen.

Nun geht es – wiederum inspiriert von einem Tourenvorschlag aus Baedekers „Sardinien“ – an die Nordküste. Auch hier liegt auf dem Weg weitgehend schöne Landschaft, und hinter dem Industrieort Tempio Pausania wird es sogar sehr schön. Die Isola Rossa ist – anders als der Name nahelegt – keine Insel, sondern ein Küstenort, umgeben von ziemlich rotem Gestein. Von der oberhalb laufenden Küstenstraße sieht Isola Rossa ein bisschen schöner aus, als mitten drin. Geschätzt die Hälfte der Läden ist geschlossen und es wird viel gebaut – aber sei´s drum. Ich nehme ein „Touristenmenü“ mit Blick aufs Wasser und bekomme die Primi und Secundi auf dem gleichen Teller serviert. Ein weiterer hervorragender Weißwein versöhnt mich mit dieser Schludrigkeit, und nachdem ich mir das erste Schloz-Eis dieser Reise gegönnt habe, geht es weiter zum Capo Testa.

Auf dieser Halbinsel gibt es fantastische Formationen von Granitfelsen, die man auf einigen kurzen Wegen umwandern kann. Dazu kommt der Blick auf das blaue Meer und einige kleine Buchten, deren glasklares Wasser in allerlei Farbtönen schillert. Wirklich schön, aber schon zu diesem frühen Zeitpunkt der Saison für meinen Geschmack zu viele Leute.

Die restlichen 45 Minuten Fahrt bringen mich zu der Feriensiedlung „Costa Serena Village“, die mich mit ihren günstigen Preisen (2 Tage in einem Appartement mit Küche und Balkon für € 89) gelockt hat, und eine gute Ausgangslage für meine morgen geplante Exkursion aus die Insel La Maddalena bietet. Die Anlage ist ziemlich verlassen, die Restaurants und der Shop sind geschlossen, aber ich finde Trost im funktionierenden W-LAN.

Am nächsten Morgen verschiebe ich das Frühstück bis zu dem netten Örtchen Palau, das ich in nur wenigen Autominuten mit schönen Aussichten erreiche.  Wegen der benachbarten Hauptattraktion des Archipels und Nationalparks La Maddalena steht Palau nicht ganz so sehr im Rampenlicht. Ich finde ein nettes Kaffee, spaziere über den Markt, probiere ein paar Hüte aus, löse schnell und problemlos ein Ticket und fahre dann mit meinem Fiat 500 auf die Fähre. Für die einfache Fahrt, die kaum eine Viertelstunde dauert, kassiert man 18,50 Euro. Ich denke daran, dass einer der ersten Milliardäre der Reeder Onassis war, und vermute, dass man mit einem Fährbetrieb immer noch reich werden kann, wenn man sich erst einmal eine Verbindung gesichert hat.

Den Abstecher in die Stadt La Maddalena verschiebe ich auf später am Tag und fahre gleich weiter auf die durch einen 600 Meter langen Damm verbundene Isola Caprera. Hier hatte sich der alte Haudegen und italienische „Kriegsheld“ Giuseppe Garibaldi seinen Alterssitz genommen. Dessen illustre Geschichte und zahlreiche Errungenschaften mag man der Wikipedia oder dem Reiseführer entnehmen. Ich habe Garibaldis Museum schlicht links liegen gelassen und bin soweit nach Norden gefahren, wie die Straße es zuließ. Hauptsächlich bin ich nämlich wegen der Natur hier, im zweiten der drei Nationalparks Sardiniens, die ich besuche.

Hier gibt es zahlreiche, relativ kurze Wanderwege, die zu kleinen Buchten führen oder auf die nahe liegenden Hügel, von wo man die fantastische Inselwelt inmitten des blauen Meeres bestaunen kann. Ich gebe zu, dass ich schon auf der ganzen Reise sehr angenehm überrascht bin, von den offenbar sehr sauberen Gewässern hier. Aber als ich die Cala Crucitta erreiche, bin ich von deren Schönheit wirklich begeistert.

Das kommt sofort auf Facebook.  Und da ich den Strand für mich habe, und mir einfach danach ist, mache ich mich nackig und steige ins kalte Wasser. Na ja. Ganz so kalt ist es auch wieder nicht, weil das Wasser an diesen kleinen flachen Buchten sich schneller erwärmt, als an den langen Sandstränden am offenen Meer . Jedenfalls war das eine tolle Erfrischung und ich wieder einmal froh, die richtige Jahreszeit gewählt zu haben. Beim Wiederaufstieg zum Auto hätte ich bei 30 Grad Hitze oder mehr sicher enorm gelitten. 

Vor der Rückfahrt mit der Fähre werfe ich dann noch ein kurzer Blick auf La Maddalena selbst – eine weitere von vielen schönen Städten auf Sardinien. In einer angesagten Bar („Vitello“) bestelle ich ein unfiltriertes Bier, bekomme aber ein Normales. Ich will nicht kleinlich sein, trinke ein paar Schlucke, und bekomme dann vom Wirt ohne weiteres Zutun die Flasche ausgetauscht. Grazie mille. Eine nette Geste, am Ende eines weiteren schönen Tages auf der Insel, mit Sonne, Wasser und tollen Aussichten. 

Auf der Heimfahrt kaufe ich in einem Supermarkt noch ein bisschen Proviant für den Abend, fahre zu meiner Ferienanlage und sehe dort zu meiner Freude ca. 60 Bienenfresser auf einer Stromleitung sitzen. Nun habe ich die also auch gesehen, und nicht nur gehört, wodurch ich auf 56 Arten in Sardinien komme. Eine ziemlich gute Bilanz für neun Tage, finde ich. 

Nach einer letzten Übernachtung verläuft die Rückfahrt zum Flughafen genauso reibungslos, wie die ganze Reise. Da ich den Tank nicht ganz leergefahren habe, und ermahnt wurde, entweder Voll oder Leer zurückzugeben, tanke ich nochmals für € 1,87 / Liter bleifreien Sprit. Der Preis ist also ähnlich hoch wie daheim. Die Rückgabe des Autos erfolgt ganz nah am Terminal und geht blitzschnell. Der Flug mit EasyJet zum Euro-Airport nach Basel hat zwar gut 20 Minuten Verspätung und ich zahle mit € 80 das Vierfache des Hinfluges.  Aber die Crew ist gut gelaunt und mit dem Sitzplatz habe ich auch wieder Glück, denn ich habe auf den Vorab-Kauf verzichtet, und trotzdem einen am Fenster gekriegt. Von oben sehe ich nochmals die ultramarin- und türkisblauen Farben des Wassers, und – schwupp sind wir über den Wolken. 

Trotz der Verspätung erreiche ich am Flughafen in Basel punktgenau den Verbindungsbus zum Bahnhof, alle anderen Reisenden hinter mir lassend. Möglich machen dies mein kleines Gepäck und mein hohes Tempo. Und wieder einmal frage ich mich, wie all diese Trödler und Im-Weg-Rumsteher es schaffen, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Dass ich schon fast wieder in Deutschland bin, merke ich am Schweizer Bahnhof in Basel. Dort zeigt die Anzeigetafel nämlich an, dass sämtliche Intercitys in Richtung Deutschland ausgefallen sind. Ich bin nicht überrascht.

Als Alternative wird ein Umweg mit der S-Bahn empfohlen, doch zum Glück gibt es da diesen freundlich-kompetenten Beamten der Schweizer Bundesbahn. Der verrät mir, dass ich auch den nebenan stehenden Regionalzug der Deutschen Bahn nach Basel Badischer Bahnhof nehmen könnte, und dann dort umsteigen, wodurch ich keine Extrakosten durch die Schweizer Straßenbahn hätte. Guter Mann. Wäre ich nicht so flott aus dem Flughafen gekommen, so hätte ich diesen Anschluss wohl verpasst. So hocke ich ´drin bis Freiburg, steige noch einmal um, und bin am Nachmittag zurück in Offenburg.

Kurzbilanz der Reise: Alles richtig gemacht, die Zeit optimal genutzt mit vergleichsweise wenig Geld. In der Vorsaison ist Sardinien eine absolute Empfehlung. Und wenn ich wieder einen Schnäppchenflug erwische, komme ich vielleicht sogar im Spätherbst wieder – wenn das Wasser noch warm ist und die meisten Touris wieder weg sind.

Sardinien – Nationalpark Gennargentu

Da ich seit gestern nicht mehr mit Bus und Bahn unterwegs bin, sondern einen Mietwagen habe, sind nun mehr Ziele in kürzerer Zeit zu erreichen. Und in Baedekers empfehlenswertem Sardinien-Reiseführer finde ich einen Tourenvorschlag südlich von San Teodoro, der mit 190 Kilometern Länge an einem Tag zu bewältigen sein sollte. Noch etwas weiter südlich liegen die  Traumstrände Cala Goloritze und Cala Mariolu, die bei den Most Travelled People weltweit unter den Top 150 rangieren. Das habe ich mir jedoch aus dem Kopf geschlagen. Der Grund dafür sind hauptsächlich die Besprechungen bei Google Maps, aus denen hervorgeht, dass beide Strände  zwar tatsächlich wunderschön sind, aber eben auch ziemlich überlaufen und nur mit länglich-schwierigen Wanderungen bzw. in der Saison auf einer Bootstour zu erreichen.

Ganz anders sieht es in Posada aus, ein schönes Bergdorf mit 3000 Einwohnern und mein erster Stopp für heute. Ich bin offenbar der einzige Tourist hier.  Obwohl  ich noch nicht gefrühstückt habe, lasse mich von den lärmenden Reggae-Klängen der einzigen offenen Trattoria im Dorfkern nicht einfangen. Stattdessen streife ich durch die Gassen am steilen Hang. Die sind tatsächlich an manchen Stellen so eng, dass keine zwei Leute nebeneinander laufen können. Der Aufstieg zur Burgruine ist verschlossen, was ich mit einer gewissen Erleichterung zur Kenntnis nehme. Sonst hätte ich ja auf leeren Magen da auch noch hinaufkraxeln müssen! Auf dem Rückweg bin ich der einzige Kunde in der feinen Konditorei Bacciu, wähle drei Kekse und ein mit Limonenpudding gefülltes Croissant aus, und fahre weiter die Küste entlang nach Süden.

In Orosei fahre ich direkt zur Marina, und sitze eine halbe Stunde an einem weiteren Traumstrand. Obwohl… Man ist ja nun das Besondere gewohnt. Und dieser hier hat im Vergleich zu San Teodoro einen fast schon grob gekörnten Sand. Der umschmeichelt die Füße längst nicht so wie der Vorgänger und kriegt daher Punktabzug. Nebenan stehen zwei deutsche Motorradfahrer, die sich ihrer Klamotten weitestgehend entledigt haben, und von denen der eine sogar recht ausgiebig schwimmen geht. Respekt, sage ich mir, und fahre gegen Mittag weiter.

Ein Blick auf die Uhr und ein weiterer auf die Karte bedeuten mir, dass ich mir ein wenig sputen muss, wenn ich meine geplante Wanderung heute noch in Angriff nehmen will. Unversehens finde ich mich auf dem Weg dorthin in dem „Banditendorf“ Orgosolo wieder, das der Legende nach aus den Nachkommen lauter Widerspenstiger und Gesetzloser besteht.

Berühmt ist das Dorf durch seine -zig Wandgemälde, auf denen die eigene Geschichte glorifiziert und alle anderen als dumme Aggressoren dargestellt werden. Das Ganze lässt sich natürlich prima an die zahlreichen Touristen verkaufen. Ich erinnere mich daran, dass es stets die Sieger sind, die Geschichte schreiben. Und heute vielleicht auch die, mit der besseren Pressearbeit. Würde ja gerne wissen, wie das wirklich gewesen ist. Vielleicht hat nur mal einer keinen Bock gehabt, seine Steuern zu zahlen. Dann ist es eskaliert, die Wutbürger von Orgosolo haben sich durchgesetzt, fleißig an ihrer Legende gestrickt und diese später auch noch erfolgreich „monetarisiert“.

Wie dem auch sei, flüchte ich vor den Klischees und der Hitze in einen sardischen Fast-Food-Laden, wo ich geduldig auf meine Panini mit Hackfleischfüllung warte, die ich mit einem Bier hinunter spüle. Dann geht es gleich weiter und so schaffe ich es auch noch in den Nationalpark Gennargentu, einen von drei auf der Insel. Mit vollem Namen heißt er „Parco Nazionale del Golfo di Orosei e del Gennargentu“, und dies weist schon darauf hin, dass der Park mit seinen 74000 Hektar von der Küste bis zu den höchsten Gipfeln der Insel reicht.

Nun habe ich die Gelegenheit, endlich mal wieder eine der tausenden von Wanderungen zu absolvieren, die in meinen diversen Büchlein empfohlen werden. Um genau zu sein, ist es die Wanderung Nr. 51 aus dem Jubiläumsband 100 Sonnenziele Mittelmeer und Atlantik des Rother Bergverlag. Es waren zwar nur knapp 10 Kilometer, aber die haben mir immerhin eine tolle Aussicht vom Novo Monte San Giovanni beschert, außerdem die Sichtung eines Steinadlers, und des hier angeblich endemischen Korsenzeisigs. Unterwegs habe ich auch ein freilaufendes Pferd und mehrere Esel gesehen, und knapp unterm Gipfel ein paar Felsbrocken, die mich an die sächsische Schweiz erinnert haben. Die Strecke selbst war bis kurz vorm Ziel aber eher langweilig, weil es sich doch überwiegend um breite Forststraßen handelte.
 
Die Heimfahrt war dann recht flott und zum Teil auf der Autobahn mit bis zu (erlaubten) 110 Sachen. Das übliche Dinner for One heute in der Trattoria Don Giovanni in San Teodore. Es gab einen hervorragenden Schwertfisch und ein Krüglein vorzüglichen, kalten Weißwein dazu. Ein verdammt guter Tag also, getrübt lediglich dadurch, dass ich zurück in meiner Unterkunft den zweiten Tag kein ordentliches W-LAN hatte, und meine Arbeit liegengeblieben ist.
 

Sardinien – San Teodoro

1 x Bus, 2 x Bahn, 1 x Bus, und dann der gestern gebuchte Mietwagen. So gedenke ich, heute von Alghero nach San Teodoro zu gelangen. Am 6. Tag meiner Reise hat erstmals ein Verkehrsmittel Verspätung. Ich bin in Sassari, und es sind eigentlich nur knapp zehn Minuten, aber zwischen Bus und Bahnhof liegt ein knapper Kilometer und die Umsteigezeit ist ohnehin schon knapp bemessen. Jetzt zeigt sich wieder einmal der Vorteil des Reisens mit kleinem Gepäck, denn drei andere Leute, die ebenfalls zum Bahnhof wollen, lasse ich locker hinter mir. Und wenn ich es recht gesehen habe, haben sie allesamt den Anschluss verpasst.

Ich dagegen genieße die Fahrt mit einer Art Interregio, die durch eine  grüne, hügelige Landschaft mit vielen Eichen- und Olivenbäumen führt. Hier ist es zwar nicht mehr ganz so blüten-bunt wie auf den vorherigen Reiseabschnitten, aber schön anzusehen ist Sardinien eigentlich überall. Beim kleinen Ort Ozieri gabelt sich die Bahnstrecke, und ich steige um in einen äußerlich ziemlich ramponierten, aber sauberen Lokalzug mit lediglich zwei Waggons, der mich nach Olbia bringt. Nach der Beschreibung im Reiseführer des Michael Müller-Verlags bekommt eine Besichtigung keine Priorität und ich steige in einen weiteren Bus, der mich gegen Mittag am Flughafen absetzt.

Hier habe ich gestern Abend für ca. 23 Euro / Tag einen Kleinstwagen gemietet. Es ist – mal wieder – ein Fiat 500. Und wie es beim Autoverleih so üblich ist, versucht die Dame bei der Firma Maggiore mir gleich noch diverse Zusatzversicherungen aufzuschwätzen, die erfahrungsgemäß mehr kosten würden als die Miete selbst, und die ich wie immer ablehne. Sonst läuft aber alles reibungslos, und im Nachhinein stelle ich fest, dass auch die hier angebotene Tankregelung sehr fair ist: Falls ich das Auto mit leerem Tank zurückgebe, müsste ich dafür 66 Euro mehr zahlen – und dieser Literpreis wäre tatsächlich nicht höher gewesen, als beim Selbertanken.

Noch vom Flughafen aus habe ich nach kurzer Überlegung eine Unterkunft in San Teodore gebucht, für zwei Nächte á 50 Euro. Viel billiger wird es hier nicht, und natürlich zahle ich wieder einmal drauf, weil ich als Single unterwegs bin. Es ist ein Luxus, den ich mir leiste. Zwar fühlt es sich manchmal blöd an, beim Essen alleine zu sitzen, aber das ist eben der Preis. Natürlich hatte ich auch schon sehr angenehme Reisegefährtinnen. Aber jederzeit tun und lassen was man will, die Richtung ändern, länger bleiben oder früher abreisen – all diese Privilegien hat man in der Gemeinschaft eben nicht. Und manchmal, wenn ich alleine durch die Landschaft laufe, tun mir jene Pärchen und Grüppchen wirklich leid, die im Dauergespräch vertieft den Moment verpassen und/oder auf Gedeih und Verderb für die Dauer der Reise aneinander gebunden sind.

Das wäre doch wirklich ein Jammer. Stellt Euch vor, ihr findet einen derart schönen Strand, wie ich heute in San Teodore: Die Spiaggia La Cinta liegt auf einer ca. drei Kilometer langen Landzunge, ist breit, weiß und feinsandig und hat um diese Jahreszeit nur wenige Dutzend Besucher. Im Hintergrund liegt ein spektakulärer Felsklotz.  Aber das größte Spektakel bietet das Wasser, das in Dutzenden Farbtönen von dunkelblau über leuchtendes Türkis bis zu glasklarer Transparenz unter der Sonne changiert. Darüber ein blauer Himmel mit Weißtüpfelwolken, und mit ein paar Möwen und ein paar Seeschwalben ist die Szenerie perfekt.

Ja, und nun stellt Euch vor, ihr könntet das nicht auskosten. Dürftet nicht so lange bleiben, wie ihr wollt, und müsstet wegen irgendwelcher Befindlichkeiten der Begleitperson(en) gleich wieder weg – das wäre doch furchtbar. Derweil beobachte ich zwei menschliche Eistaucher die sich ins seichte Wasser wagen. Für Normalos wie mich war es jetzt (Ende April) am offenen Meer noch viel zu kalt zum Baden. Vielleicht sollte ich Ende Oktober nochmals herkommen, wenn die Sonne diese Badewanne namens Mittelmeer aufgeheizt hat, und die Touri-Saison sich zu Ende neigt? Schauen wir mal. Jetzt wird – s.o. – erst der Moment genossen. Die Füße bedanken sich für den langen Strandspaziergang, und als Zugabe kriegt die Haut ein Peeling  von den Sandkörnern, die der kräftige Wind von den Dünen nebenan herbeifegt. Schließlich noch das Bier in der Strandbar, und da war er: Der perfekte Tag am Meer.

Kaum zu glauben, doch scheint es auf Sardinien mindestens drei weitere Strände zu geben, die selbst die schöne Spiaggia La Cinta noch toppen. Das sagen zumindest die „Most Travelled People“ auf ihrer Webseite, wo sie unter anderem ihre weltweit 150 Top-Strände gelistet haben. In Sardinien gehören dazu La Pelosa am End des Nordwestlichen Zipfels, sowie die gut 140 Kilometer südlich meines Standortes gelegenen Cala Goloritze und Cala Mariolu. Ich gebe es zu: Es reizt mich ziemlich, den weiten Weg morgen zu fahren und zu schauen, ob die tatsächlich besser sind als La Cinta.

Für heute habe ich jedoch genug gesehen. Beim Versuch, abends noch ein bisschen zu arbeiten, scheitere ich an der miserablen Internet-Verbindung in meinem Domizil „Quaddrifoglio“, gebe schließlich auf, und lege mich ins Bett.

Sardinien – Alghero

Von Oristano geht es heute mit zwei Bussen nach Alghero. Der erste fährt bis nach Bosa, und da die Busse hier nicht so eindeutig gekennzeichnet sind (oder andere Nummern haben, als in der App), halte ich der Reihe nach drei von ihnen an, um nach dem Weg zu fragen. Schließlich habe ich den Richtigen, und genieße die Fahrt, die teils wunderschön am Meer entlang führt, und dann wieder in Bergdörfer, über denen große Kirchen thronen. Besonders an der Küste sind jede Menge Motorradfahrer unterwegs, deren Überholmanöver darauf hindeuten, dass sie lebensmüde sind. Hier und da sehe ich interessante Wandmalereien. Mehrfach zeigen sie kostümierte Gestalten mit Fell, Kuhglocken und Büffelmasken, die auch ganz gut auf unsere Fasent passen könnten.

Dann steigt ein Rudel Jugendlicher ein, und wiederum erscheinen sie mir relativ wohlerzogen im Vergleich zu jenen daheim. Alle Mädchen tragen ihre Haare lang, alle Jungs die Frisuren kurz. Ansonsten daddeln sie natürlich an den Handys oder schauen in die Schminkspiegel.

Umsteigestation ist ein Ort namens Bosa, der aus der Ferne mit einer Burg imponiert, unter der sich jede Menge kleine bunte Häuser drängen. Die knappe halbe Stunde nutze ich für ein Eis und einen Cappuccino, dann wundere ich mich, wo denn der Bus bleibt.

Laut Google ist er vor 3 Minuten abgefahren, und der nächste geht morgen früh um Fünf. Ich habe ein Deja-Vu. Und da die verbleibenden 50 Kilometer zu Fuß doch ein bisschen weit sind, sehe ich mich schon gezwungen, mein Glück als Anhalter zu versuchen. Da fahren, erkenntlich an ihren Uniformen, drei Angestellte der Busgesellschaft ARST vorbei, und rufen mir irgendetwas zu. Ich verstehe zwar nichts, antworte jedoch mit „Si“ und erhalte die erfreuliche Nachricht, dass der Bus gleich hinter ihnen kommen wird. Was er auch tut. Ich verarbeite die Schreckminute, und obwohl ich in dem ziemlich vollen Bus nur einen Platz hinter der schmutzigsten aller Scheiben kriege, genieße ich doch die tolle Aussicht auf die Küste.

Am frühen Abend erreichen wir mit Alghero eine der 12 Zwei-Sterne-Sehenswürdigkeiten in meinem Baedeker-Reiseführer (3-Sterne hat kein einziger Inselort geschafft, und das ist wohl auch ziemlich ehrlich). Das spanische Erbe Sardiniens sei hier am besten zu sehen, erfahre ich. Als Laie kann ich das nicht erkennen, aber es gibt eine schöne Altstadt mit hohen Gassen, vielen Läden und Restaurants und noch mehr Eisdielen für die zahlreichen Touristen. Zum Meer hin bietet Alghero eine ebenso hohe wie breite Stadtmauer, auf der man schön promenieren kann. Der Sonnenuntergang macht natürlich ein tolles Licht, und die alten Kanonen und nachgebauten Katapulte, die hier oben stehen, tragen zu der Atmosphäre bei.

Mein Zimmer liegt mitten in der Altstadt und das Palau de Rosa hat zwar nur ein Fenster auf die Gasse, durch das der Fischgeruch vom Restaurant darunter dringt, ist aber sonst geschmackvoll eingerichtet und hat – immer ein Pluspunkt für mich – eine Kaffeemaschine. Nachdem offenbar jede angesagte, preiswerte Pizzeria aus meinen beiden Reiseführern voll belegt ist, suche ich mir eine Alternative, gehe früh heim und buche von dort den Rückflug.

Am morgigen Feiertag („Tag der Befreiung“) wollte ich eigentlich zum Strand von Pelosa zu fahren. Der liegt am Ende des nordwestlichen Landzipfels. Laut einem Ranking der „Most Travelled People“ zählt La Pelosa zusammen mit zwei weiteren auf der Ostseite der Insel zu den 150 schönsten Stränden der Welt. Natürlich hätte es mich gejuckt, alle drei auf dieser Reise mitzunehmen und abzuhaken. Doch ich entscheide mich gegen die Hetze, zeige Mut zur Lücke und muss auch noch ein wenig arbeiten.  In dem guten Gefühl, hier in Alghero alles „Wichtige“ gesehen zu haben, beschließe ich, am nächsten Tag nach Olbia zu fahren. Dort werde ich auf einen Mietwagen umsteigen, um für die letzten vier Tage flexibel zu sein, und noch ein paar Eindrücke zu sammeln.

Sardinien – Oristano

Das Frühstück in der Central Bar in Barumini fällt italienisch-spärlich aus: Ein Cappuccino und dazu ein mit Marmelade gefülltes Croissant. Dann wird gepackt und ausgecheckt und ich hocke mich auf eine Steinbank auf der Piazza gegenüber.

Zum Glück reicht das W-LAN vom Hotel bis hier rüber, sodass ich nicht nur die Aufzeichnung des gestrigen Tages vollenden kann, sondern auch meine Mails am Laptop checken. Das Ganze dauert gut 2,5 Stunden, und da mein Abholservice erst um 13:30 kommt, entschließe ich mich zu einem Mittagsmahl in der Pizzeria Su Pasiu, in der ich gestern wegen Überfüllung abgeblitzt bin.

Heute sieht das Ganze viel freundlicher aus: Ich bin der erste Gast und bekomme einen schönen Platz im Garten plus die volle Aufmerksamkeit des Chefs. Zwar steht draußen ein Menu von 10 Euro angeschrieben, aber ganz so günstig wird es dann doch nicht. Das „Touristenmenü“ kostet 20, bietet aber eine Auswahl zwischen je vier Primi und Hauptspeisen. Ich bestelle einen Krug Weißwein, und irgendwas mit Muscheln, die in einem nicht identifizierbaren Gemüse (?) schwimmen, das in der Konsistenz zwischen Mais und Kichererbsen liegt. Schmeckt aber nicht schlecht. Der Hauptgang ist ein Schwertfisch, der wunderbar ergänzt wird durch Rucola und Tomatenwürfel, sowie eine feine Pestosauce. Als Beilagen gibt es ebenfalls sehr feine Rosmarinkartoffeln.

Obwohl ich mich ein wenig beeilen muss, habe ich noch das Vergnügen, den beleibten und freundlichen Patrone bei der Arbeit zu beobachten. Er sieht, dass es mir schmeckt, und das scheint ihn zu freuen. So soll es sein.

Gerade rechtzeitig bin ich wieder an der Central Bar, um meinen Fahrer Giuliano zu treffen. Der macht irgendwie einen abgebrannten Eindruck und signalisiert mir gleich, dass er kein Geld hat bzw. ´rausgeben kann. Ich drücke ihm die verabredeten 40 Euro in die Hand, was ihn gleichermaßen fröhlich wie gesprächig stimmt. Schade, dass er nur Italienisch spricht, und ich mit meinem Englisch, Französisch, und bisschen Spanisch nur Bruchteile verstehe. Wieder einmal verfluche ich all die Zeit, die ich in der Schule mit Lateinstunden absitzen musste, wo ich statt einer lebendigen Sprache eine tote lernen musste. Ich hatte zwar kurz darüber nachgedacht, Italienisch mit einer App wie Duolingo oder Babbel wenigstens in Grundzügen zu lernen, dann aber eine Vermischung mit meinem Spanisch befürchtet, das mir wichtiger ist.

Um von Barumini zum 30 Kilometer entfernten Bahnhof von Samassi zu kommen, hat es aber doch gereicht. Der kaputte Tacho in Giulianos 26 Jahre altem Auto stand dabei dauerhaft auf Null. Ich darf Euch aber versichern, dass der Gute wesentlich schneller unterwegs war – wie sich überhaupt die Einheimischen um Geschwindigkeitsbeschränkungen nicht sonderlich kümmern.

Der Lohn der Raserei waren weitere 40 Minuten Wartezeit am Bahnhof von Samassi, der mich mit seiner Lage am Stadtrand, und den leeren Straßen irgendwie an den Western „High Noon“ erinnert hat. Nun also mein erster Zug auf Sardinien. Der Zug war genauso pünktlich wie die Busse davor und brachte mich durch eine grüne Landschaft ohne spektakuläre Aussichten in das gemütliche Städtchen Oristano. Vom Bahnhof hatte ich noch einen guten Kilometer zu laufen und konnte dann mein Zimmer im Via del Centro Guesthouse an der zentralen Piazza Eleonora beziehen. Es ist meine dritte Unterkunft, und erneut bekomme ich den Zugang zu meinen Schlüsseln per WhatsApp beschrieben.

Busse fuhren auch hier nicht, und so musste ich den Ausflug zur benachbarten Lagune di Mistras auf morgen legen, und mich mit einem kleinen Stadtrundgang begnügen. Schöne Kirche, schöne Häuser, schöne Cafés, und ein kleiner Park, in dem sich Familien mit ihren Kindern tummeln. „Parco de la Resistenza“ heißt die Grünanlage. Und angesichts des morgigen „Tag der Befreiung“ kann ich mir den Gedanken nicht verkneifen, dass im Rückblick in erstaunlich vielen Ländern erstaunlich viele Menschen „im Widerstand“ waren.

Wieder zurück an meiner Unterkunft setze ich mich zu den Einheimischen, die draußen im Cafe la Piazza Fußball schauen, dazu Warsteiner Bier für 3 Euro trinken, und dazu noch einen gar nicht kleinen Teller mit Käse, Wurst und anderen Leckereien spendiert bekommen.

Am Morgen darauf schiebe ich ein paar Stunden Arbeit ein, komme aber immerhin noch vor 10 Uhr los, und nehme mein Frühstück unterwegs auf dem Weg zum Fahrradladen „Bike Or“. Der liegt ein wenig außerhalb, und ich zahle dem Eigentümer Roberto satte 18 Euro Tagesmiete, obwohl ich das Rad geschätzt nur 3 Stunden brauche. Es ist ein Trekking-Rad, und auf meine Frage, ob ich den See (Stagno) de Mistras auf den bei Google dünn eingezeichneten Wegen wohl überqueren könne, sagt Roberto „nein“, und ich solle entlang der Straße fahren.

Ich probiere es natürlich trotzdem und werde für meinen Entdeckergeist mal wieder reichlich belohnt. Schon auf der Hinfahrt blüht es in allen Farben prächtig am Wegesrand, und nun kommt noch das Wasser, die Macchia und der Himmel dazu, sodass ich jede Menge schöne Fotomotive bekomme. Außerdem gibt es ca. 120 Flamingos und ein paar weitere Vögel, die ich meiner sardischen Artenliste hinzufügen kann – einschließlich eines riesigen Greifvogels, den ich als Gänsegeier identifiziere.

Dann kommt auch noch ein Hauch Abenteuer dazu, denn die Verbindung zu Sinis-Halbinsel besteht aus einem halben Dutzend Holzstege, die relativ ungesichert übers Wasser laufen. Ob sie immer offen sind, kann ich nicht garantieren. Ich aber habe heute Glück, die Temperatur ist noch angenehm warm und im Ort San Giovanni die Sinis komme ich gerade rechtzeitig an, um schnell in einer Trattoria meine Tortellini samt eisgekühltem Rosé und Blick auf´s Meer zu genießen. Für die archäologischen Stätten von Tharros reicht die Zeit nicht mehr – im Gegenteil muss ich kräftig in die Pedale treten, um (nach telefonischer Anmeldung meiner Rückkehr) wieder rechtzeitig zum Fahrradladen zu gelangen. Von dort sind es dann nur noch ein paar Hundert Meter zur Bushaltestelle mit der Verbindung zum nächsten Stopp: Alghero.