So erkennt man einen Experten

Ob Corona oder Klima, Gentechnik oder Atomkraftwerke – ständig treffe ich auf Facebook, Twitter und in den Medien auf Leute, die als Experten auftreten, obwohl sie offensichtlich keine Ahnung haben. Das frustriert mich nicht nur als Wissenschaftsjournalist, ich sehe darin auch eine echte Gefahr für unsere Gesellschaft. Deshalb habe ich heute mal zur Abwechslung einen kleinen Ratgeber geschrieben, wie man echte Experten von den Großmäulern unterscheiden kann. Bitte nicht missverstehen: Jeder darf und soll seine Meinung frei äußern dürfen; von mir aus auch Verschwörungstheorien und harte verbale Attacken. Nur sollte man dann eben auch bereit sein, sich mit den Argumenten der Gegenseite auseinanderzusetzen. Und damit klar kommen, dass man als Depp dasteht, wenn man offensichtlich Blödsinn erzählt hat.

Also woran erkennt man nun, wer Ahnung hat? Zunächst sollte man schauen, welche Ausbildung die fragliche Person genossen hat, wie viel Erfahrung sie mit dem Thema hat, und ob sie auf dem betreffenden Fachgebiet einen Abschluss hat. Niemand käme auf die Idee, sich von seinem Frisör den Blinddarm ´rausnehmen zu lassen, und die Bremsen meines Autos würde ich lieber in einer Kfz-Werkstatt reparieren lassen, als beim Heilpraktiker.

Wissenschaft wird an Hochschulen gelehrt, und da gibt es natürlich mehr oder weniger gute. Natürlich kann man behaupten, hier oder dort dies oder jenes studiert zu haben. Das kann aber auch jeder Studienabbrecher, und bewiesen ist damit doch eher, dass man es nicht geschafft hat. Erst wer die mehrjährige Ausbildung samt Prüfungen übersteht bekommt einen Titel, und der ist dann geschützt (ausführlich erklärt in der Wikipedia).

Ich möchte mich hier auf die Naturwissenschaften und die Medizin konzentrieren. Da steht auf der untersten Stufe in Deutschland der Bachelor der Wissenschaft (B.Sc., Bachelor of Science) oder des Ingenieurswesens (B. Eng., Bachelor of Engineering). Etwa drei, manchmal auch vier Jahre muss man dafür investieren. Die nächste Stufe (früher der einzige unterhalb des Dr.) ist das Diplom. Laut Wikipedia an einer Fachhochschule oft in 3 Jahren zu erwerben, an einer „richtigen“ Universität netto in 4 – 5 Jahren. Ich habe für meinen Dipl.-Biol. 7 Jahre gebraucht – denkt, was ihr wollt. Das Diplom ist heute Voraussetzung für einen Master wie z.B. den „Master of Science“ (M. Sc.). Der frisst auch noch ´mal 1 oder 2 Jahre Lebenszeit. Von da ab sind es dann nur noch 3, 4, oder 5 Jahre für einen Doktor-Titel wie z.B. den für Naturwissenschaften (Dr. rer. nat) oder für Medizin (Dr. med.). Der Professor schließlich ist kein akademischer Grad, sondern der Ausweis dafür, dass man an einer Hochschule/Uni lehren darf.

Das ist natürlich nur ein erster Anhaltspunkt. Natürlich gibt es gute und schlechte, fleißige und faule Bachelors, Doktoren und Professoren und ebenso schwankend ist auch die Qualität der Master-, Diplom- und Doktorarbeiten. Wie gut, dass es ein wunderbares und noch dazu kostenloses Instrument gibt, um die wissenschaftliche Leistung einer Person abzuschätzen. Es nennt sich PubMed, und dahinter verbirgt sich die weltweit größte Sammlung von Literaturzitaten in der Biomedizin. Etwa 30 Millionen Einträge hat der aus amerikanischen Steuergeldern finanzierte, englischsprachige Service. Jeder Eintrag listet den oder die Autoren, den Titel, und die Fachzeitschrift, wo die Arbeit erschienen ist, meist auch eine kurze Zusammenfassung, sowie einen Link zur Originalveröffentlichung (die dann allerdings oftmals Geld kostet, wenn man sie in voller Länge lesen möchte). Gibt man in das Suchfeld zum Beispiel „coronavirus“ ein, so sieht man Folgendes:

Die Suche nach dem Begriff „coronavirus“ liefert mehr als 20000 Einträge

Ganz oben auf der Ergebnisseite steht die Zahl der Treffer (20083). Die Grafik auf der linken Seite zeigt, wann diese Publikationen erschienen sind, und wie viele pro Jahr. Mit den Kästchen darunter kann man die Suche weiter einengen – zum Beispiel auf vollständige Texte, die kostenlos verfügbar sind („Free full text“ anklicken).

Aber woher weiß ich jetzt, ob beispielsweise Professor Christian Drosten wirklich Ahnung von Coronaviren hat, oder nur ein Poser ist? Dazu gibt man den Nachnamen ein, gefolgt von dem ersten Buchstaben des Vornamens. Also „Drosten C“. Auf Anhieb liefert mir diese einfache Suche 381 Ergebnisse! PubMed selbst hat die Treffer nach Wichtigkeit sortiert und hat oben eine Veröffentlichung platziert, die noch keine 6 Wochen alt ist. Wer sich auskennt sieht auch, dass sie in einem der renommiertesten Medizinjournale erschienen ist, dem New England Journal of Medicine, und noch dazu ist sie kostenlos.

Eindrucksvoll: Die Publikationsliste von Prof. Christian Drosten auf PubMed.

Natürlich sind nicht alle Facharbeiten, die Drosten bisher geschrieben hat, über das Coronavirus. Um nur diese zu sehen, verfeinern wir unsere Suche. Das geht ganz einfach mit der Formel „drosten c AND coronavirus“. Es bleiben noch immer 146 Veröffentlichungen übrig, was uns beweist, dass wir hier einen echten Experten vor uns haben.

Weil wir gerade dabei sind, checken wir nach dem gleichen Prinzip noch einen weiteren bekannten deutschen Mikrobiologen, Professor Alexander S. Kekulé.  Ich sehe 32 Veröffentlichungen, ein paar zum Zika-Virus, einen über Ebola, aber keinen einzigen über Coronaviren. Dann schon lieber Professor Lothar Wieler, Präsident des Robert-Koch-Instituts und zusammen mit Drosten derzeit wohl der einflussreichste Wissenschaftler, der die Bundesregierung in Sachen Coronavirus berät. Dem wird zwar von Kritikern gerne vorgehalten, dass er ja „nur“ ein Veterinärmediziner sei, aber auch Wieler hat eine beeindruckende Publikationsliste mit 241 Einträgen, wenn auch nur 3 zu Coronaviren.

Weil ich mich so geärgert habe jetzt noch ein Mann, der definitiv kein Experte für Coronaviren ist: Dr. Wolfgang Wodarg. Der durfte sich 10. März 2020 in der ZDF-Sendung Frontal21 über die Quarantänemaßnahmen und Verbotsregelungen verbreiten, bezeichnete dies als „Panikmache“ und erklärte, für Coronaviren bräuchte es keine besonderen Schutzvorkehrungen oder Tests. Ein positiver Corona-Befund habe keine klinische Bedeutung.

Leider kein Experte für Coronaviren: Dr. Wolfgang Wodarg, der im ZDF von Panikmache sprach.

Wodarg hat genau 2 Publikationen auf PubMed vorzuweisen, eine aus dem Jahr 1989 und eine von 2015. Keiner dieser Beiträge hat auch nur im entferntesten mit Viren zu tun, und ich habe mich einmal mehr gefragt, was das eigentlich für Leute sind, die beim öffentlich-rechlichen Rundfunk derartige Beiträge zu verantworten haben.

Nachwort: Natürlich können auch Experten irren. Um die Corona-Krise zu überwinden braucht es nicht nur Virologen und Epidemiologen, Ärzte und Pfleger, sondern auch Spezialisten auf vielen anderen Gebieten. Die Guten erkennt man oft daran, dass sie sich ihrer Grenzen bewusst sind. An Sätzen wie: „Das weiß ich nicht“, „das ist nicht mein Fachgebiet“, oder „dazu kann ich nichts sagen“. Es sind Sätze, die ich gerne öfter hören würde.

Arbeit, Lohn, Gerechtigkeit

In den acht Minuten, die Fußball-Star Cristiano Ronaldo braucht, um sich ein hartes Ei zu kochen, verdient er so viel wie eine Friseurin in einem ganzen Jahr. Das krasse Beispiel entstammt zwar der Bild-Zeitung, scheint aber realistisch, wenn man die € 70 Millionen Jahresgehalt (inklusive Werbung) des Kickers den rund € 15000 der Friseurin gegenüberstellt. Kein Wunder, dass bei solchen extremen Unterschieden die Emotionen hochkochen und das Thema „Lohn und Gerechtigkeit“ zum Dauerbrenner geworden ist.

Ganz schön reich: Mit einem Jahreseinkommen von geschätzten € 70 Millionen verdient Cristiano Ronaldo in Minuten so viel, wie andere in einem ganzen Jahr.
Ganz schön reich: Mit einem Jahreseinkommen von geschätzten € 70 Millionen verdient Cristiano Ronaldo in ein paar Minuten so viel, wie andere in einem ganzen Jahr (Foto: Ruben Ortega via Wikimedia Commons. CC BY-SA 4.0)

Und wie ist das bei Ihnen so? Verdienen Sie genug? Mehr als drei Viertel aller Deutschen antworteten darauf in einer Umfrage mit „Ja“. Die Art der Lohnverteilung in diesem Lande fanden dennoch mehr als die Hälfte ungerecht, entnehme ich der ZDF-Dokumentation Wie fair sind unsere Löhne?, die dieser Tage wieder einmal ausgestrahlt wurde.

Der Film von Angela Scheele und Stefanie Zeyn gehört sicher zu den besseren, die das Staatsfernsehen auf unsere Kosten hat produzieren lassen. Er berichtet, ohne selbst zu werten und lässt dafür zwei Experten zu Wort kommen. Wir hören Sina Trinkwalder, die als Gründerin eines Modelabels vorgestellt wird und sich als sozial engagierte Unternehmerin und Buchautorin einen Namen gemacht hat. Noch eine Spur reflektierter scheint mir Roland Tichy, der ehemalige Chefredakteur der Wirtschaftswoche, und erfolgreiche Betreiber des Polit-Bloggs „Tichys Einblick”.

Die Produzenten bringen viele wissenswerte Zahlen, von denen ich einige hier wiedergeben möchte: Aktuell arbeiten in Deutschland 43 Millionen Menschen. Davon sind 39 Millionen Angestellte und 4 Millionen Selbstständige. Da wir jedoch fast 81 Millionen in diesem Land haben, fehlen nach Adam Riese noch 38 Millionen. Was ist mit denen? Ist das die Summe aller Rentner, Kinder und Arbeitslosen? Weitere Fakten (die Zahlen sind jeweils Brutto):

  • Das mittlere Monatseinkommen eines Vollzeitbeschäftigten beträgt € 3000
  • Im Osten werden durchschnittlich € 2300 bezahlt, im Westen € 3100
  • 8 Millionen sind Geringverdiener mit weniger als € 9,30 / Stunde
  • 2 Millionen haben einen Zweitjob
  • Die Realgehälter haben lange 10 Jahre stagniert, steigen erst seit 2 Jahren wieder
  • Nur 10 Prozent aller sozialpflichtig Beschäftigten – also 3 Millionen Menschen- verdienen mehr als € 60000 im Jahr

Die Sendung ist wohltuend nüchtern gehalten und frei von Suggestivfragen oder fragwürdigen Kommentaren aus dem Off. Dennoch spüre auch ich den Impuls, erst einmal „ungerecht“ zu schreien, während der Film eine Handvoll Menschen mit sehr unterschiedlicher Arbeit und entsprechender Entlohnung vorstellt. Wir treffen zum Beispiel eine Floristin, die mit 3 Jahren Ausbildung auf 1600 Euro brutto kommt und einen Lufthansa-Piloten, der mehr als 16000 macht, dabei nur 2,5 Jahre Ausbildung hatte. Nicht unerwähnt bleibt auch die Tatsache, dass die Pilotengewerkschaft in den letzten Jahren immer wieder Streiks ausgerufen hat, um für ihre Mitglieder noch höhere Gehälter und die Rente mit 55 durchzusetzen.

Auch der „typische” Lehrer fehlt nicht, der nach 5 Jahren Studium mit 42 Jahren an seinem Gymnasium € 4600 pro Monat bekommt. Am oberen Ende der Gehaltsskala wird ein Oberarzt vorgestellt, der mit seinen 35 Jahren (davon 6 Jahre Studium und 5 Jahre Weiterbildung) auf € 8300 monatlich kommt. An der Spitze stehen die Manager der 30 größten Unternehmen in Deutschland. Im Durchschnitt verdient ein Vorstandschef 50 Mal so viel wie seine Angestellten. Und bei den drei Spitzenverdienern kamen zuletzt 6, 7 oder 8 Millionen Euro zusammen – ohne Boni.

Die Dokumentation geht auch den möglichen Ursachen der Ungleichverteilung nach und stellt fest, dass die Ausbildung eine wichtige Rolle spielt. Die Zahl der Abiturienten ist massiv gestiegen, von etwa 7 % in den 1960er Jahren auf mittlerweile etwa 50 %. Doch obwohl der Anteil der Arbeiterkinder unter den Abiturienten deutlich zugenommen hat, absolvieren sie viel seltener ein Studium als die Kinder von Akademikern. Das hat Folgen: Denn mit einer „normalen“ Ausbildung liegt das Einkommen eines Arbeitnehmers bei durchschnittlich € 35000 pro Jahr, mit akademischem Abschluss sind es dagegen € 58000.

Und noch ein Unterschied wird hervor gehoben: Frauen verdienen 22 % weniger als Männer, und dieses „Lohngefälle” sei in keinem anderen Land Europas größer. Als Ursache wird angegeben, dass die Frauen bei der Kindererziehung „zurückstecken”. 70 % der Mütter arbeiten Teilzeit, aber nur 7 % der Väter. Als Kinderloser ohne eigene Erfahrungen werde ich mich hüten, hier die Vor- und Nachteile von Beruf und Kindererziehung vergleichen zu wollen. Tatsache ist aber, dass das Lohngefälle von 22 % auf 7 % schrumpft, wenn man Männer und Frauen vergleicht, die bei gleicher Qualifikation die gleiche Arbeit machen. Und selbst diese Differenz könnten Frauen locker überwinden, provoziert Tichy: „Sie müssen einfach nur in typisch männliche, bessere bezahlte Berufe einstiegen und Mathematikerinen oder Anwälte werden.“

Tendenziöse Stromgeschichte

Strom, Energiewende, Atomkraft – Fast alle reden darüber, doch die Kenntnisse über die Zusammenhänge sind oftmals eher dünn. In der Dokumentation „Die Macht der Stromkonzerne“ von Florian Opitz, die zuletzt im Februar 2016 ausgestrahlt wurde, sah ich eine Chance, meine Wissenslücken zu stopfen. Mein Anspruch war hoch. Immerhin hat Opitz mit diesem Film zum zweiten Mal den Grimme-Preis gewonnen, der als eine der angesehensten Auszeichnungen für Fernsehfilme gilt (warum eigentlich?).

Stromleitungen transportieren Energie über weite Entfernungen (Foto: Michael Simm, 2012)
Stromleitungen transportieren Energie über weite Entfernungen (Foto: Michael Simm, 2012)

Beworben wird der Film damit, dass man die Strukturen beleuchten will, aufgrund derer „die Stromerzeuger jahrzehntelang ein profitables Geschäft betrieben haben“. Sie wurden dadurch „zu einer der mächtigsten Branchen Deutschlands …, die die Energiepolitik stets nach ihren Interessen beeinflusst hat.“

Heraus kam eine Dokumentation, die zwar durchaus lehrreich ist, bei der aber die Berichterstattung wie so oft beim Staatsfunk durch tendenziöse Darstellung überschattet wird. Dies beginnt mit der Wortwahl, setzt sich fort im Schnitt und wird untermalt mit musikalischer Stimmungsmache. Kapitalisten streben nach Monopolen, die Branche fungiert als Helfer der Waffenindustrie im 2. Weltkrieg und selbst die noch lange davor von Energiekonzern RWE eingefädelte Beteiligung der Städte an der E-Werken ist nichts weiter als ein durchsichtiger Bestechungsversuch.

Das kann man auch anders sehen: „Aufgrund der Bedeutung als Grundversorgung und wegen der besonderen Marktbedingungen (eingeschränkter Wettbewerb aufgrund der Netzgebundenheit) unterliegen Energieversorgungungsunternehmen einer besonderen öffentlichen Kontrolle und sie müssen besondere gesetzliche Auflagen erfüllen. Vielfach sind Energieversorgungs-unternehmen ganz oder teilweise im Besitz der Öffentlichen Hand und als Stadtwerke oder andere kommunale Werke organisiert.“ So steht es in der Wikipedia, und das ist ein recht gutes Argument für das gegenwärtige Arrangement.

Durchaus wertvoll sind die Interviews mit einem halben Dutzend Beteiligter sowohl auf Seiten der Stromversorger, als auch der Politik.  Dabei kann man natürlich den Abgang des ehemaligen Wirtschaftsministers Werner Müller aus der Politik in die Stromwirtschaft hervorheben. Dann sollte man indes auch bei Jürgen Trittin dessen kommunistische Vergangenheit nicht verschweigen, die seinen Kampf für staatliche Kontrolle sicher in einem weniger günstigen Licht erscheinen ließe. Ebenso wird den Zuschauern ein gewisser Dr. Peter Becker zunächst als „Energie-Experte“ vorgestellt. Immer wieder wird er zwischengeschnitten und gibt seine Wertung der Ereignisse ab. Später verrät er sich in einem Nebensatz als Anwalt für eine Anzahl ostdeutscher Gemeinden, die nach der Wende gegen die Übernahme „ihrer“ Energienetze durch westdeutsche Konzerne geklagt haben. Damit ist er für mich als unabhängiger Experte disqualifiziert. Im Gegensatz zu Beckers Pendant vom Atomforum wird Becker aber nicht gefragt, ob er denn ein Lobbyist sei.

Zwischen den Zeilen scheint die „Dokumentation“ nach mehr staatlicher Kontrolle zu rufen, nach Enteignung gar: Nun wird zwar die Übernahme der Energieversorger in der DDR durch westdeutsche Firmen als zwielichtiger Deal dargestellt. Wie gut und wettbewerbsfähig oder gar umweltfreundlich die DDR-Strukturen waren, wird aber nicht diskutiert. Ich kann mich jedenfalls nicht erinnern, dass deren Braunkohlekombinate und die Stromversorgung in Staatshand ein Erfolgsmodell waren.

Und noch ein Verweis auf die Geschichte scheint mir fraglich: Da wird behauptet, die Deutschen hätten 1998 im europaweiten Vergleich die höchsten Strompreise bezahlt. Das erscheint mir unglaubhaft, ich konnte es aber nicht überprüfen. Was ich aber nachschlagen konnte ist eine aktuelle EU-Statistik. Dort zahlten 2015 die deutschen Stromkunden mit 29,5 Cent pro Kilowattstunde Strom nach den Dänen den höchsten Preis. Wenn aber der Umbau des Stromnetzes hin zu kleineren Anbietern solche eine tolle Idee ist, warum sehe ich dann keine Rendite in Form sinkender Strompreise? Die „Energiewende“ nahm spätestens im Jahr 2000 unter der damaligen rot-grünen Bundesregierung volle Fahrt auf. Was ist bitte seitdem besser geworden?

Fazit: Licht und Schatten liegen in diesem Beitrag nahe beieinander. Es gibt wichtige historische Einblicke und Autor Florian Opitz hat aus den Archiven zahlkreiche eindrucksvolle Aufnahmen und Statements zutage gefördert. Dennoch kann ich Opitz den Vorwurf des Tendenzjournalismus nicht ersparen, denn die Stoßrichtung ist von Anfang an klar: Das Stromkartell betreibt ein profitables Geschäft, die Politiker lassen sich immer wieder einwickeln und am Ende ist der Verbraucher der Dumme. Wer mitdenkt und im Geiste einige kritische Fragen stellt, muss jedoch erkennen, dass die Sache so einfach nicht ist. Der Film hat zu wenig Tiefe und zu viel Tendenz und er bringt leider kein einziges Beispiel dafür, wie es besser laufen könnte. Für einen Sender mit Milliardenbudget ist das ein Armutszeugnis.

Meine Top-Themen 2013

Seit einem Viertel Jahrhundert schreibe ich nun schon als Journalist über Medizin, Wissenschaft & Technik – nun wird es Zeit für meinen ersten Jahresrückblick. Der ist natürlich ebenso subjektiv wie lückenhaft, aber keineswegs willkürlich. Schließlich habe ich auch im vergangenen Jahr wieder mehr als 100 eigene Texte verfasst und dafür mindestens zehn Mal so viele Originalartikel und Pressemitteilungen aus den tonangebenden Fachzeitschriften gelesen habe. Daraus ist eine erste Auswahl entstanden, die ich dann noch mit den Rankings der Magazine Science, Nature, Scientific American und Discover, den Beiträgen meiner geschätzten Kollegen David Dobbs, Carl Zimmer, Ed Yong, Nik Walter und Kai Kupferschmidt, sowie mit diversen Webseiten abgeglichen habe. Heraus kam ein Dutzend Themen, die ich in der Reihenfolge der gefühlten Wichtigkeit sortiert habe.

Vorhang auf für Michels Top-Themen 2013 aus Medizin, Wissenschaft und Technik:

  1. Gene im Rampenlicht
  2. Gefährlicher Streifschuss
  3. Der stärkste Sturm?
  4. Kohlekraft schlimmer als Atomkraft?
  5. Immuntherapie gegen Krebs
  6. Erbgut vom Frühmenschen
  7. Der Preis des Frackings
  8. Hirnchen, Nierchen, Leberlein…
  9. Drohnen im Anflug
  10. Blick unter die Schädeldecke
  11. Spüli im Gehirn
  12. Ernie und Bert am Südpol gefangen

Top-Thema Nr.1 – Gene im Rampenlicht

Liegt unser Schicksal wirklich in unseren Genen, wie dies mein Held James Watson einst ziemlich nassforsch behauptet hat? Angelina Jolie jedenfalls hatte wenig Zweifel, als Ärzte ihr anhand eines Gentests ein extrem hohes Risiko für Brustkrebs vorher sagten. In der New York Times machte der Filmstar publik, dass sie sich deshalb vorbeugend beide Brüste amputieren ließ. Verdammt mutig, lobten Fans und Experten, denn die etwa zwei Prozent aller Frauen, die bestimmte Mutationen in den Genen BRCA1 und BRCA2 tragen, sollten sich mit dem erhöhten Risiko auseinander setzten.

Erleichtert wird dies in Zukunft wohl durch eine Entscheidung des Obersten US-Gerichts, das Genpatente auf BRCA1 und BRCA2 für nichtig erklärte. Bis dahin konnte die Firma Myriad Genetics hohe Lizenzgebühren verlangen, die den Test auf etwa 3000 Dollar verteuert hatten. Nun stellte das Gericht fest, dass man zwar den Ort und die Reihenfolge der Bausteine für die fraglichen Gene entdeckt habe. Dies reiche aber nicht aus, um Erfinderschutz zu beantragen, denn erfunden wurde  – nichts. Wie zu erwarten hat Myriad das Urteil jedoch nicht einfach hingenommen und versucht derzeit, mit neuen Klagen das lukrative Geschäftsmodell zu sichern.

Ein Blick in die Zukunft? Der Gentest von 23andMe
Ein Blick in die Zukunft? Der Gentest von 23andMe

Gentests für den Hausgebrauch ohne ärztliche Beratung können jedoch gefährlich sein, warnen Experten. Deshalb müsse nicht nur sichergestellt sein, dass die Tests nach allen Regeln der Kunst in dafür zugelassenen Labors durchgeführt werden. Weil viele mit der Bewertung überfordert sein könnten und womöglich vorschnelle Entscheidungen treffen, gelte es auch die „Kundschaft“ zu schützen.

Diese Sorge hat wohl auch die US-amerikanische Zulassungsbehörde FDA bewogen, der Gentest-Firma 23andMe in die Parade zu fahren. Das von Anne Wojcicki, der Ehefrau des Google-Mitbegründers Sergey Brin, geleitete Unternehmen gilt als Marktführer in diesem Bereich und hatte ein halbes Jahr lang nicht auf die Bitten der FDA reagiert, man möge doch gefälligst die wissenschaftlichen Nachweise für die Zuverlässigkeit des angebotenen Gentests vorlegen.

Der Gentest von 23andMe kostet gerade einmal 99 Dollar und überprüft annähernd eine Million Stellen im Genom des Kunden – also etwa jede 3000ste Position im Erbgut. Anhand dieser Marker hat die Firma bislang das statistische Risiko für etwa 240 Erbkrankheiten ermittelt. Reagiere ich empfindlich auf Koffein? Droht mir Diabetes, Alzheimer oder Parkinson? Habe ich ein Langlebigkeitsgen?  Dies sind die Fragen, die 23andMe seit der Intervention der FDA nur noch jenen Kunden beantworten mag, die ihren Testkit vor dem Schreiben der Behörde bestellt haben.

Übrigens: Auch der Michel hat solch einen Test bestellt, zwei Tage vor dem Urteil der FDA bezahlt, und seine Spucke zur Analyse nach Kalifornien geschickt. Er wartet jetzt seit Anfang Dezember 2013 auf das Ergebnis. Als gelernter Genetiker und Wissenschaftsjournalist glaubt er, die Zuverlässigkeit, den Nutzen und das Risiko dieses Tests besser einschätzen zu können, als die meisten Ärzte. Er fände es deshalb sehr ärgerlich, wenn 23andMe künftig aus den Genen nur noch die Abstammung und Verwandtschaftsverhältnisse herauslesen dürfte, denn er glaubt fest an die informationelle Selbstbestimmung.

Alle Top-Themen der Wissenschaft 2013:

  1. Gene im Rampenlicht
  2. Gefährlicher Streifschuss
  3. Der stärkste Sturm?
  4. Kohlekraft schlimmer als Atomkraft?
  5. Immuntherapie gegen Krebs
  6. Erbgut vom Frühmenschen
  7. Der Preis des Frackings
  8. Hirnchen, Nierchen, Leberlein…
  9. Drohnen im Anflug
  10. Blick unter die Schädeldecke
  11. Spüli im Gehirn
  12. Ernie und Bert am Südpol gefangen

Top-Thema Nr. 4 – Kohlekraft schlimmer als Kernkraft?

Pro Jahr sterben annähernd 3100 Menschen an dem Feinstaub und den giftigen Abgasen, die deutsche Kohlekraftwerke in die Luft blasen. Mit dieser Schlussfolgerung aus einer selbst beauftragten Studie (Download als pdf-Datei hier) untermauerte Greenpeace die Forderung, ab dem Jahr 2040 keinen Strom mehr aus Kohle zu gewinnen. Weil Braunkohle besonders schmutzig ist, soll deren Nutzung spätestens im Jahr 2030 enden, obwohl Deutschland von diesem Rohstoff mehr fördert als jedes andere Land der Welt.

Energiemix in Deutschland - Kohle hat den größten Anteil (Tkarcher/Wikipedia CC-Lizenz)
Energiemix in Deutschland – Kohle hat nach wie vor den größten Anteil (Tkarcher/Wikipedia CC-Lizenz)

Diesem Vorschlag widersprachen unmittelbar Betroffene wie der Energiekonzern und Kraftwerksbetreiber Vattenfall, der die Studie als „grob irreführend“ bezeichnete, sowie der Interessenverband VGB Power Tech, der darauf hinwies, dass das Gesundheitsrisiko durch Feinstaub vornehmlich durch Abgase aus dem Verkehr und die Heizungen von Wohnhäusern verursacht würde.

Das Thema war nur kurz in den Schlagzeilen und taucht meines Erachtens zu Unrecht in keiner anderen Rangliste auf. Für meinen Kunden Medscape Deutschland habe ich diese Geschichte recherchiert (sie steht hier) und konnte dabei auch mit dem Studienleiter Professor Rainer Friedrich sprechen. Der stellte klar, dass er die politischen Forderungen  seines Auftraggebers Greenpeace nicht teilt – aber das ist für mich nur ein Teil der Story.

Die Zahlen selbst sind offenbar ziemlich solide, und Feinstaub ist in der Tat ein gefährliches Umweltgift. Friedrich bestätigte aber auch, dass sowohl unsere Autos, als auch unsere Wohnungen und Häuser ebenso wie die Landwirtschaft größere Mengen Feinstaub freisetzen, als die gescholtenen Kohlekraftwerke. Greenpeace lässt dies außen vor, denn die Forderung nach Verzicht auf´s Auto will keiner hören. Vergleicht man verschiedene Arten der Energieerzeugung und verweist auf die bessere Bilanz von Gaskraftwerken, Wind- und Solarkraft, so sollte man ehrlicherweise auch die Kernkraft erwähnen, die überhaupt keinen Feinstaub produziert. Dies aber wird von Greenpeace unterschlagen.

Ich erlaube mir die provokante Frage, wie viele Tote weniger wir in Deutschland hätten, wenn wir – so wie Frankreich – konsequent auf Atomkraft setzen würden. Wie viele Menschen sind bisher nachweislich durch französische oder deutsche Kernreaktoren gestorben? Meines Wissens niemand.

Selbst in Fukushima, wo die Japaner in seltener Dämlichkeit ihre Reaktoren in einem bekannten Erdbebengebiet errichtet hatten, wird es außerhalb des betroffenen Distrikts keinen merklichen Anstieg der Krebsraten geben, wie die WHO in einem Bericht festgestellt hat, den ich ebenso bei Medscape Deutschland referiert habe wie die Gegenposition des Verbandes atomkritischer Ärzte IPPNW. Die Antwort von Greenpeace ließ nicht lange auf sich warten: „Der WHO-Bericht spielt in schamloser Weise die Auswirkungen der frühen radioaktiven Emissionen auf die Menschen in der 20-Kilometer-Zone herunter, die die Gegend nicht schnell genug verlassen konnten“, sagte deren Atomkraftexpertin Rianne Teule. Das kann man glauben. Muss man aber nicht.

Alle Top-Themen der Wissenschaft 2013:

  1. Gene im Rampenlicht
  2. Gefährlicher Streifschuss
  3. Der stärkste Sturm?
  4. Kohlekraft schlimmer als Atomkraft?
  5. Immuntherapie gegen Krebs
  6. Erbgut vom Frühmenschen
  7. Der Preis des Frackings
  8. Hirnchen, Nierchen, Leberlein…
  9. Drohnen im Anflug
  10. Blick unter die Schädeldecke
  11. Spüli im Gehirn
  12. Ernie und Bert am Südpol gefangen

Top-Thema Nr. 5 – „Durchbruch“ in der Krebsforschung

Vorsicht ist angebracht, wenn Wissenschaftler – oder Journalisten – von Durchbrüchen reden. Dies gilt umso mehr bei der Therapie von Krebspatienten in fortgeschrittenen Stadien und mit besonders bösartigen Tumoren. Dennoch feiern die Redakteure des Magazins Science just solch eine Therapie als „Durchbruch des Jahres“. Große Aufmerksamkeit war dieser Wahl gewiss, denn mit einer Reichweite von etwa einer Million Lesern ist Science die führende Publikation auf dem Gebiet der Wissenschaften.

Glaubt man dem Magazin Science, so ist die Immuntherapie gegen Krebs der "Durchbruch des Jahres 2013" (Foto: Valerie Altounian/Science)
Glaubt man dem Magazin Science, so ist die Immuntherapie gegen Krebs der „Durchbruch des Jahres 2013“ (Foto: Valerie Altounian/Science)

Der Gedanke, dass die Auszeichnung als unangemessen sensationelle Darstellung empfunden werden könnte, wird in der Zeitschrift zwar kurz erwogen, dann aber verworfen. Es folgen anekdotische Beschreibungen dreier spektakulärer Einzelfälle, bei denen nach der Therapie die Tumoren schrumpften und nicht wiederkehrten. Ihre Entscheidung begründen die Science-Redakteure damit, dass Wissenschaftler zwar seit Jahrzehnten eine Immuntherapie gegen Krebs für möglich gehalten hätten, dass dieser Plan aber “unglaublich schwierig“ in die Tat umzusetzen war. Jetzt hätte man nach Meinung vieler Onkologen die Wende geschafft, weil zwei verschiedene Techniken einem Teil der Patienten helfen können. Die eine Vorgehensweise nutzt Antikörper, um eine Art Bremse bei T-Zellen zu lösen, sodass diese Tumorzellen erfolgreich angreifen können. Die andere Strategie besteht darin, T-Zellen von Patienten zu gewinnen, die dann im Labor derart modifiziert werden, dass sie ihre Zielzellen besser angreifen können. Schließlich werden diese Zellen zurück in den Körper der Patienten geleitet. Die am weitesten fortgeschrittene Therapie dieser Art kostet 120000 Dollar und wurde bislang an etwa 1800 Patienten mit Schwarzem Hautkrebs (Melanom) angewandt, die man ansonsten wohl als „hoffnungslose Fälle“ aufgegeben hätte. Die Firma Bristol Myers-Squibb, die diese Therapie verkauft, stellt es als großen Erfolg dar, dass nach drei Jahren 22 Prozent dieser Patienten am Leben waren – also etwas mehr als jeder Fünfte. Genaueres erfahren Sie in diesem Artikel, den ich für Medscape Deutschland geschrieben habe. Meine Vorstellung von einem Durchbruch sieht allerdings anders aus…

Alle Top-Themen der Wissenschaft 2013:

  1. Gene im Rampenlicht
  2. Gefährlicher Streifschuss
  3. Der stärkste Sturm?
  4. Kohlekraft schlimmer als Atomkraft?
  5. Immuntherapie gegen Krebs
  6. Erbgut vom Frühmenschen
  7. Der Preis des Frackings
  8. Hirnchen, Nierchen, Leberlein…
  9. Drohnen im Anflug
  10. Blick unter die Schädeldecke
  11. Spüli im Gehirn
  12. Ernie und Bert am Südpol gefangen

Top-Thema Nr. 9 – Drohnen im Anflug

Für Amazon-Chef Jeff Bezos sind sie ein Transportmittel mit großer Zukunft. Bald schon könnten die Päckchen des Unternehmens mithilfe der fliegenden Maschinen verteilt werden, verkündete er im Dezember. Andere fürchten angesichts der Schnüffelaktionen von NSA & Co., dass Drohnen wie geschaffen sind, um den Überwachungsstaat vollends zu verwirklichen.

Der "Reaper" - ein unbemanntes, bewaffnetes Flugzeug der US Air Force (Foto: Wikipedia)
Der „Reaper“ – ein unbemanntes, bewaffnetes Flugzeug der US Air Force (Foto: Wikipedia)

In der Kriegsführung haben sie sich schon lange „bewährt“- zumindest wenn man der militärischen Logik folgen mag, wonach die eigenen Truppen möglichst wenigen Risiken ausgesetzt sein sollten. Die Kehrseite zeigen Daten des Büros für investigativen Journalismus in London, die hier in einer Grafik dargestellt sind. Demnach waren unter den mehr als 3200 Opfern US-amerikanischer Drohnenangriffe in Pakistan bislang auch 535 Zivilisten und 175 Kinder.

Alle Top-Themen der Wissenschaft 2013:

  1. Gene im Rampenlicht
  2. Gefährlicher Streifschuss
  3. Der stärkste Sturm?
  4. Kohlekraft schlimmer als Atomkraft?
  5. Immuntherapie gegen Krebs
  6. Erbgut vom Frühmenschen
  7. Der Preis des Frackings
  8. Hirnchen, Nierchen, Leberlein…
  9. Drohnen im Anflug
  10. Blick unter die Schädeldecke
  11. Spüli im Gehirn
  12. Ernie und Bert am Südpol gefangen

Twitter: Für eine Handvoll Dollar

Von dem Zeilengeld das Jamie Oliver verdient, können Journalisten wie ich nur träumen. Für eine Kurzmitteilung auf Twitter – das sind maximal 140 Anschläge – würde der berühmte Fernsehkoch 3250 Dollar verlangen, berichtete die Tageszeitung The Guardien gestern auf ihrer Webseite in dem Artikel „The value of a tweet„. Den Kaufpreis für Olivers Twitterbotschaften hat der Autor des Artikels, Leo Hickman, der Webseite Sponsoredtweets.com entnommen. Deren Geschäftsmodell ist es offenbar, Menschen mit Einfluss und Firmen mit Geld zusammen zu bringen. Die Promis kriegen Kohle für ihre Empfehlungen von Produkten, und damit steigt natürlich der Umsatz bei Auftraggebern wie dem Blumenservice 1-800-Flowers, dem Kaufhaus Bloomingdales, bei Fernsehsendern wie FOX Home Entertainment, NBC und Time Warner Cable, beim Softwareproduzenten Microsoft ebenso wie bei Tony’s Pizza oder dem schwedischen Autobauer Volvo.

Das ganze sei natürlich total ethisch, versichert Sponsoredtweets.com auf seiner Webseite, denn wer gesponserte Tweets verbreitet, müsse die Beziehung mit seinem Auftraggeber offenlegen. Dies verlangt jedenfalls die in den USA für Verbraucherschutz zuständige Behörde FTC, die Federal Trade Commission, und ich frage mich, ob solch ein Gesetz nicht auch bei uns längst überfällig ist (Und falls Sie sich jetzt fragen, ob ich hier vielleicht auch Schleichwerbung betreibe, lautet die schlichte Antwort: Nein.)

Zurück zu Hickmans Geschichte, denn die hat mich so neugierig gemacht, dass ich die Sache mit den gesponserten Tweets einmal nachgerechnet habe. In Mathe war ich zwar nie besonders gut, aber den Dreisatz kriege ich vielleicht doch noch hin. Damit könnte ich dann nicht nur ´rauskriegen, was ein Standard-Tweet wert ist, sondern hätte vielleicht auch ein Gefühl dafür, wie lange ich mich hier noch abrackern muss, bis ich meine erste Million zusammengetwittert habe. Aaaalso:

56 (die aktuelle Zahl meiner Follower bei meinem Twitterkonto) geteilt durch 2125482 (die aktuelle Zahl der Koch-Fans laut Olivers Twitterkonto) = 0,0002634696. Diese Zahl entspricht dem relativen Wert meiner Fangemeinde im Vergleich zum Promi-Koch.

Den absoluten Wert bekomme ich durch Multiplikation mit dem Marktpreis von 3250 US-Dollar und das sind satte 8,562762 US-Cent oder umgerechnet 6,4184 Euro-Cent – für jeden meiner Tweets. Bis hierhin habe ich aber schon 752 Kurznachrichten ´rausgehauen, deren theoretischer Gesamtwert somit auf 48,27 Euro zu taxieren wäre – hätte ich denn jeden einzelnen Tweet so gut verkaufen können, wie Oliver die seinen.

Gerade sehe ich, dass die Webseite TweetValue.com einem derartige Berechnungen abnehmen will. Dort gibt man einfach seine Adresse bei Twitter ein und bekommt sofort den hypothetischen Wert seines Profils ausgespukt – in meinem Fall 91 Dollar, bei Jamie knapp 70000.

Noch interessanter finde ich den Stundenlohn für meine Twitter-Arbeit, den ich jetzt wieder aus dem oben ermittelten Gesamtwert von 48,27 Euro herleiten will. Angenommen, ich bräuchte jeweils zwei Minuten um einen mehr oder weniger klugen Gedanken als knackige Kurznachricht zu formulieren, so hätte mein „Gesamtwerk“ bislang 25 Stunden beansprucht (752 Tweets x 2 Minuten)/60 Minuten pro Stunde = 25,0666.. und der Stundenlohn läge gerundet bei 48,27 / 25,07 = 1,93 Euro.

Oliver müsste vielleicht gar nicht so lange nachdenken wie ich, sondern nur das tweeten, was seine Sponsoren gerne lesen würden. Veranschlagen wir dafür trotzdem zwei Minuten, so kommt er auf 2436,10 Euro / Tweet x 30 = 73083 Euro / Stunde.

Die Schlussfolgerung meiner mathematischen Beweisführung lautet somit eindeutig:

Ein richtig guter Koch ist verdammt viel mehr wert als ein mittelmäßiger Blogger. q.e.d.

Fernsehen heute

Gestern wieder ausführlich darüber diskutiert, was schief läuft im Lande. Meinungen zu den Piraten, Facebook, Euro-Rettung und Volksabstimmungen im Freundeskreis jeweils ziemlich genau 6:1. Der Eine war – natürlich – ich. Immerhin durfte ich meine Meinung vortragen und bedanke mich heute für die übergroße Toleranz bei meinen Freunden mit einem etwas leichteren Stück darüber, wie man einen Fernsehbeitrag bastelt.

Martin Giesler, ein Volo beim ZDF, hat das Video zusammengeschnitten und die Wiederverwendung unter der Creative Commons Lizenz erlaubt. Danke dafür und Film ab:

„Ja, klar!“ Es gibt für derartige Produktionen einen regelrechten Baukasten und feste dramaturgische Mittel, beantwortet Giesler die selbst gestellte Frage. Und weiter:

Wie das in der Regel so funktioniert, habe ich mal etwas überspitzt für meinen Volo-Abschlussfilm zusammengebaut. Es ist ein Parodie-Versuch und läuft aber dennoch irgendwie genau so täglich bei ARD, ZDF, RTL, Sat1 und allen anderen Sendern

Die Inspiration habe er sich bei der BBC geholt, sagt Giesler, und verlinkt auch auf den Journalisten und Satiriker Charlie Brooker, der dort unter anderem die Sendung Newswipe moderiert hat, in der die Gesetzmäßigkeiten der Medien beleuchtet wurden. Fast 2,5 Millionen Zuschauer haben diesen Beitrag von Brooker bei YouTube gesehen und wer sich das Original anschaut wird mir wohl zustimmen, dass die BBC ihren Zuschauern einfach mehr bietet als unsere Sende-Anstalten.

Ergänzen will ich die zwei schönen Beispiele noch durch ein ziemliches witziges Mockumentary, einen Beitrag also, der das Genre der Dokumentarfilme auf die Schippe nimmt. Hier geht es um das geheime Leben der Plastiktüte. Einfach köstlich wie Umweltschützer hier ihr Anliegen vortragen! Mein Held, der britische Tierfilmer Sir David Attenborough hätte es nicht besser machen können 😆