Guten Morgen. Sie haften mit 9500 Euro

Aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erfahre ich, dass die EU-Banken 3700 Milliarden Euro an „Staatshilfen“ erhalten. Staatshilfe heißt übersetzt: Wir Bürger haften und zahlen für die Schäden, die durch die Misswirtschaft der Banken entstanden sind. Ich versuche, meinen Anteil zu errechnen, scheitere aber zunächst daran, dass mein Taschenrechner nicht genug Stellen auf dem Display anzeigt. Also kürze ich ein paar Nullen weg und reche gleich mit Millionen. 3700 Milliarden, das sind 3700000 Millionen. In der Europäischen Union leben etwa 390 Millionen Menschen. Ergo beträgt mein Anteil 3700000 / 390 = 9487 Euro und 18 Cent. Ihrer übrigens auch. Einen guten Tag noch und seien Sie schön sparsam.

Märchenstunde nach der Europa-Wahl

Ok, ok – manchmal neige ich zu Übertreibungen. Diplomatie ist nicht meine Stärke. Und manchmal rege ich mich unnötig auf. „Schone Deine Nerven“, sagte ich mir deshalb im Vorfeld der Europawahl, „ändern kannst Du ja doch nichts“. Also ging ich nicht hin und war damit in bester Gesellschaft. 58 Prozent der stimmberechtigten Deutschen haben auf diese Wahl geschissen, in den EU-Ländern insgesamt waren es 57 Prozent und in Berlin sogar 67 Prozent. 30 Jahre nach der ersten Europa-Direktwahl ist die Ablehnung der EU so groß wie noch nie. Deutlicher kann man einen Denkzettel kaum formulieren, dachte ich mir und gab mich für einen Moment der Illusion hin, dass diese Form der Kritik bei den Mächtigen wie auch bei den Meinungsmachern ankäme.

Was aber muss ich in der Zeitung lesen? Es sei im Wahlkampf ja gar nicht um Europa gegangen, bemüht sich „Bild“ um eine Erklärung. Europa sei für die Nachkriegsgeneration selbstverständlich, mit Reisen ohne Pass, stabiler Währung und Frieden. Außerdem sei der Wahlkampf öde und ohne prominente Gesichter verlaufen, fügt Bild entschuldigend hinzu. „Wie bitte?“, frage ich – und spüre, wie mein Blutdruck steigt. Doch es kommt noch besser: Die Wahlmüdigkeit sei ein Zeichen grundsätzlicher Zufriedenheit mit Europa, fabuliert „Der Standard“ aus Wien und mein: „Es besteht kein wesentlicher Änderungsbedarf.“

STOPP! JETZT REICHT ES MIR!

Es ist schlimm genug, dass ich mit meinen Steuern einen Club finanzieren muss, dem ich nicht angehören will. Die EU ist noch immer ein gigantischer Geldverschiebebahnhof, der 40 Prozent seines Etats für Subventionen der Landwirtschaft verpulvert, statt eine soziale Marktwirtschaft zu fördern. Ein Schweinetrog, an dem die Schnellsten, die Cleversten, die Lautesten und die Unverschämtesten sich satt fressen. Ein Verein, dessen Mitglieder sich nicht einmal auf einen gemeinsamen Tagungsort einigen konnten, sodass EU-Parlamentarier mitsamt ihren Heerscharen von Übersetzern wohl noch bis in alle Ewigkeit in einer absurden Prozession zwischen Brüssel und Straßburg auf unsere Kosten hin und her pendeln werden.

Das Schlimmste aber ist: Die EU ist keine echte Demokratie und insbesondere die deutschen Wähler haben mit ihren Stimmen dort fast keinen Einfluss (laut einer Emnid-Umfrage glauben dies 79 Prozent aller Befragten). Warum gab es bei uns keine Volksabstimmung über den EU-Beitritt? Wurden Sie nach Ihrer Meinung gefragt, bevor man die Mark abgeschafft und den Euro eingeführt hat? Wen hätte ich wählen können, um die Osterweiterung der EU zu verhindern? Warum durfte ich nicht mit entscheiden, ob Europa eine Verfassung braucht?

Wer angesichts solcher Missstände keinen „Änderungsbedarf“ erkennen kann, muss sich nicht nur fragen lassen, ob er das Wort „Demokratie“ wirklich verstanden hat. Und wer die offensichtliche Ablehnung der politischen Institution EU durch deren Bürger als „Zufriedenheit“ umdeutet, sollte statt Kommentaren lieber gleich Märchen schreiben. Ich jedenfalls habe die Europawahl nicht aus Faulheit versäumt. Vorsätzlich, bewusst, und um ein Zeichen zu setzen, bin ich nicht zu dieser Wahl gegangen. Im Wahl-Boykott sehe ich die einzige verbliebene Möglichkeit, um gegen eine Politik zu protestieren, die in erschreckender Weise den Willen der Mehrheit ignoriert.

Aber eigentlich wollte ich mich ja gar nicht aufregen. Und bevor Sie mich nun als Nationalisten beschimpfen oder gar in die Braune Ecke stellen, möchte ich klar stellen, dass ich an Freiheit, (Chancen-)Gleichheit und Gerechtigkeit glaube. In diesem Sinne hier ein paar Lesetipps und Links zum Thema Demokratie:

Liebe Bauern, böser Aldi?

Danke Aldi, dass ihr den Milchpreis heute um sieben Cent gesenkt habt. Der fallende Preis ist die logische Folge eines übergroßen Angebotes und einer vergleichsweise geringen Nachfrage. Jedes Schulkind könnte an diesem einfachen Beispiel lernen, wie eine freie Marktwirtschaft mit einem echten Wettbewerb ohne staatliche Einmischung uns Verbrauchern nützt. Doch die Wirklichkeit sieht anders aus.
„Die Milchbauern verurteilten die Preissenkung scharf und kündigten Proteste an“, lese ich in der Zeitung und – nur wenige Seiten weiter: „Deutsche Bauern erhalten 5,4 Milliarden Euro aus Brüssel.“ Gemeint sind die Agrarsubventionen der Europäischen Union, die noch immer den weitaus größten Teil des Haushalts ausmachen, und die zu einem erheblichen Teil von deutschen Steuerzahlern finanziert werden.
Wo bleibt da die Gerechtigkeit, wenn eine gut organisierte Minderheit sich nun schon seit Jahrzehnten derart von der Gemeinschaft bezuschussen lässt, während andere leer ausgehen? Warum gibt es kein Geld für die Tourismusbranche, frage ich mich, denn dann könnte ich sicher billiger in den Urlaub fliegen? Oder wie wär´s mit einer Steuerbefreiung fürs hiesige Gastgewerbe, die womöglich meine Kneipenrechnung um ein Drittel senken würde?
Nein, liebe Landwirte, ihr habt ebenso wenig ein Anrecht auf unser Steuergeld wie Kohlekumpel, Gebrauchtwarenhändler, Glühbirnenhersteller und – der Gipfel aller Unverschämtheiten – die „notleidenden Banken“. Und wer Angesichts solch himmelschreiender Ungerechtigkeit von mir Solidarität einfordert, dem zeige ich den Vogel!

Bilanzfälschung durch Gründung von Bad Banks

Ein Leserbrief an die Badische Zeitung bringt mein Unverständnis über die Pläne zur Gründung von Bad Banks auf den Punkt: Laut Handelsgesetzbuch sind Kaufleute verpflichtet, die Lage des Vermögens durch ordnungsgemäße Buchführung ersichtlich zu machen, schreibt Werner Schäffner aus Staufen. Er habe im Unterricht nichts davon gehört, dass man „giftigen Finanzschrott“ einfach ohne Gegenbuchung aus der Bilanz herausnehmen und an eine „Bad Bank“ übertragen könne. „Damals hatte man das noch Bilanzfälschung genannt“, schreibt Schäffner und nennt als einzigen ehrlichen Ausweg die Insolvenz.

Buchbesprechung: Die Welt ist flach von Thomas Friedman

Wenn ein dreifacher Pulitzerpreis-Träger sich anschickt, seinen Lesern die Globalisierung zu erklären, dann darf man die Meßlatte ruhig etwas höher legen. Die Rede ist von dem Buch: „Die Welt ist flach“ (gelesen habe ich die englische Ausgabe, „Version 3.0“). Hier präsentiert der New York Times Auslands-Kolummnist Thomas L. Friedman in gewohnt flüssiger Schreibe seine These, dass die Welt „flach“ geworden sei. Aus vielen verschiedenen Ländern mit unterschiedlichen Wirtschaftssystemen, die sich mehr oder weniger stark voneinander unterscheiden und abgrenzen, wird ein globales Spielfeld.

Dass dieses Spielfeld „flach“ ist, dient als Metapher für den fast gleichberechtigten Zugang zu einigen der wichtigsten Ressourcen und Produktionsmittel unserer Zeit. Standardisierte, erschwingliche Software und ein praktisch kostenloses System zum weltweiten Austausch von Informationen versetzen immer mehr Menschen in die Lage, ihre Dienste anzubieten, zu wachsen und schließlich den ehemals dominierenden und abgeschotteten Unternehmen Konkurrenz zu machen. Zehn Kräfte listet Friedman, die die Welt geplättet haben sollen, darunter die Terroranschläge des 11. September und den Fall der Berliner Mauer, der Aufbau des Internet als weltumspannende Datenautobahn und effizienz-steigernde Trends wie Outsourcing, Offshoring oder Supply-Chaining. Sie alle werden mit anscheinend zwingender Logik und zahlreichen faszinierenden Anekdoten belegt. Friedman ist viel gereist und sichtlich beeindruckt von all den Arbeitsessen mit den Wirtschaftsführern dieser Welt zurück gekommen, um uns zu erklären, warum zum Beispiel Walmart und UPS über lange Zeit so erfolgreich waren. Dieses erste Drittel ist für mich der stärkste Teil des Buches und liefert starke Argumente für die Globalisierung, die auch Kritiker zur Kenntnis nehmen sollten.

Enttäuschend allerdings und eines Pulitzerpreis-Trägers unwürdig scheint es mir, sich von den Profiteueren der Globalisierung hofieren zu lassen, und deren dunkle Seiten mit erschreckender Naivität einfach auszublenden. Hätte Friedman nicht auch einen Abstecher in die Slums von Bombay machen können? Warum sprach er nicht mit jenen zwangsenteigneten und vertriebenen chinesischen Bauern, auf deren Land nun milliardenweise billige Socken für den Export gefertigt werden? Und wird Friedman eigentlich eine Version 4.0 dieses Buches schreiben, wo er uns erklärt, dass die „Bankenkrise“ eigentlich nur ein kleiner Betriebsunfall war?

Bezeichnend scheint mir, dass die Originalversion des Buches in den USA von den Hobbykritikern bei Amazon im Durchschnitt vier von fünf möglichen Sternen erhielt. Dagegen vergaben die Rezensenten der deutschen Version auf amazon.de durchschnittlich nur drei Sterne. Kritisches Denken, so scheint mir, ist zumindest auf dieser Seite des Atlantiks noch nicht völlig aus der Mode gekommen. Und Friedman? Der haut weiter in die Tasten. „Hot, Flat and Crowded“ heißt sein jüngster Erguss in dem der „Guru der Globalisierung“ doch tatsächlich die These vertritt, die – us-amerikanische – Marktwirtschaft sei das effektivste und fruchtbarste System, um uns in eine bessere, grünere Zukunft zu katapultieren. Der deutsche Titel „Was zu tun ist“ setzt noch einen ´drauf.

Wieder ist Friedman mehrmals um den Globus geflogen, um sich von seinen Gesprächpartnern beeindrucken zu lassen. Er entdeckt, dass die Erde sich erwärmt und die Bevölkerung wächst und er merkt, dass dies ein Problem werden könnte für das ausgerechnet die USA die Lösung berät halten. Eine Kostprobe: „Es gibt nur eine Sache, die größer ist als Mutter Natur – und das ist Vater Profit“. Wer so etwas heute immer noch behauptet, glaubt wahrscheinlich auch, die Welt sei eine Scheibe.

Abwrackprämie: 39 für Einen

Jetzt ist es also beschlossen: Nicht nur 1,5 Milliarden Euro sondern mehr als die dreifache Summe müssen wir Steuerzahler in den nächsten Jahren, vielleicht Jahrzehnten bezahlen, damit andere sich neue Autos kaufen dürfen. 5 000 000 000, weil Lobbyisten wieder einmal erfolgreich waren und weil die regierenden Parteien beschlossen haben, lieber Wahlkampfgeschenke zu verteilen, als mit unserem Geld sorgfältig zu wirtschaften. Zugute kommt dies immer noch nur einer kleinen Minderheit, auch wenn die Zahl von zwei Millionen Autos zunächst beeindruckend erscheint. Eine einfache Überschlagsrechnung zeigt nämlich, dass damit nur etwa jeder vierzigste Einwohner in den Genuss dieser Subvention kommt. Anders gesagt: 39 Menschen zahlen, einer macht Gewinn. Geht man von etwa 50 Millionen Steuerzahlern aus, so berappen diese pro Kopf 100 Euro für die Abwrackprämie – Zinsen nicht eingerechnet.

Genau so ungerecht geht es in der Wirtschaft zu: Heute profitieren Gebrauchtwagenhändler und die vorwiegend ausländischen Hersteller kleiner Wagen – alle anderen Branchen gehen leer aus. Selbst die Subventionsempfänger jammern schon ´mal vorsorglich, weil natürlich die Nachfrage ab dem 1. Januar 2010 zusammenbrechen wird, denn schließlich ist der Markt dann auf Jahre gesättigt. Wie kurzsichtig darf Politik eigentlich sein? Ist es nicht offensichtlich, dass die allermeisten derjenigen, die sich von der Abwrackprämie zum Autokauf verlocken lassen, dann eben kein Geld mehr haben, um beispielsweise ihr Dach zu renovieren, ihre Garderobe zu erneuern, in die Wirtschaft zu gehen oder einen neuen Computer zu kaufen? Subventionen – und um nichts anderes handelt es sich hier – sind das Gegenteil von Solidarität.

„Dies ist nun einmal der Preis, den wir zahlen müssen, damit es uns bald allen wieder besser geht“, höre ich Sie sagen. Mir wäre es wohler, ich hätte dieses Geld behalten dürfen. Aber wenn diese Regierung es sich schon anmaßt, die Steuereinnahmen und Steuererhöhungen der Zukunft in „Konjunkturprogramme“ zu stecken, dann bitte so, dass alle davon profitieren. Ein Vorschlag, der bereits auf dem Tisch lag und zugunsten erfolgreicher Lobbyisten beiseite gefegt wurde lautet: Zumindest die Hälfte aller Gelder zu Rettung der Konjunktur sollte in Form von Konsumgutscheinen verteilt werden, über deren Verwendung die Empfänger frei entscheiden können.

Ich würde damit zuerst ins Eiscafé gehen und mit dem Rest in den Biergarten 😉

Und wie sieht Ihr Traum von einem gerechten Konjunkturpaket aus?

P.S.: Am besten bringt es Winand von Petersdorf heute in einem Kommentar der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Online auf den Punkt: „Einige Menschen in diesem Land zahlen fleißig Steuern, haben kein Auto zum Abwracken, sind nicht systemrelevant und darüber hinaus nicht mit der Macht und Chuzpe gesegnet, die Politiker zu erpressen. Sie beziehen keine Sozialhilfe. Sie arbeiten und wappnen sich gegen schlechte Zeiten durch Sparsamkeit. Sie gehören in diesem Land zu den ärmsten Hunden.“