Kürzlich beim Freiheitsfest in Offenburg hatte ich wieder so ´ne typische Michel-Idee. Ein bisschen spinnert wohl, aber irgendwie auch interessant. Zur Feier meiner Unabhängigkeit von kommerziellen Zwängen, die ich zur Jahreshälfte erreicht glaubte, habe ich mir vorgenommen, von Offenburg bis ans Mittelmeer zu „pilgern“. Religiös bin ich zwar nicht, aber in mich gehen, um mich schauen und neue Wege beschreiten, das ist schon so mein Ding. Die Regel ist einfach: Ich muss das aus eigener Kraft tun, also per Fuß oder mit dem Fahrrad. Nicht an einem Stück, sondern durchaus mit häufigen Unterbrechungen, wobei ich dann die Reise ab dem jeweils erreichten Punkt wieder aufnehme. Ein zeitliches Limit habe ich nicht, und Umwege sind erlaubt; ich darf und werde also zwischendurch auch noch an anderen Orten meinen Schabernack treiben und von dort berichten. Doch diese Tour gen Süden hat hohe Priorität.
Bei einem Blick auf Google Maps habe ich festgestellt: Sooo weit ist es ja gar nicht bis zum Mittelmeer. Mein bevorzugtes Ziel Nizza wäre auf dem kürzesten Wege zu Fuß gerade 734 Kilometer entfernt, mit dem Fahrrad knapp 800. Diese Route würde über das Rheintal nach Basel via Bern führen – na ja. 100 Kilometer länger, dafür aber viel interessanter scheint mir eine Route, die zunächst stromaufwärts durch das Kinzigtal führt, dann über den Schwarzwald, hinunter zum Bodensee und auf dessen Schweizer Seite des Bodensees entlang bis knapp über die Grenze nach Österreich. Von dort ginge es dann weiter durch das Fürstentum Liechtenstein und wieder durch die Schweiz bis Lugano, sowie schließlich entweder über Turin oder Mailand nach Nizza ans Meer. Ja – so machen wir das!
Tatsächlich bin ich auch schon ´mal losgelaufen, und zwar von der Klinik, aus der ich am 3. August nach hartem Kampf um Mitternacht entlassen wurde schnurstracks und zu Fuß nach Hause. Die 2. Etappe war einige Tage darauf ein Rundgang mit geschärften Sinnen durch meine Wahlheimat Offenburg, wo binnen 2000 Schritten etwa ein Dutzend Sehenswürdigkeiten liegen. Nähere Erläuterungen überlassen ich der Tourist-Info. Für die 3. Etappe bin ich aufs Fahrrad gewechselt und entlang der Kinzig die 11,5 Kilometer von Offenburg nach Gengenbach gestrampelt. Wahrlich keine Heldentat, dafür aber ein Städtchen als Ziel, das wohl das schönste im ganzen Kinzigtal ist.
In der ehemaligen Freien Reichsstadt stehen Fachwerkhäuser dicht an dicht. Während des Pfälzischen Erbfolgekrieges wurde Gengenbach 1689 zwar von französischen Truppen genauso abgefackelt wie so ziemlich jede andere Stadt entlang des Oberrheingrabens auch. Anschließend wurde es aber prompt wiederaufgebaut und hat sich seine Bausubstanz praktisch unversehrt erhalten. So beeindruckt die Stadt schon von weiten mit ihren drei prächtigen Türmen, und nach durchschreiten der zwei verbliebenen Stadttore mit seinen hübschen Gassen in denen mehr als 200 gepflegte Fachwerkhäuser stehen. Mittendrin steht das klassizistische Rathaus, das sich während der Weihnachtszeit in den „größten Adventskalender der Welt“ verwandelt. Auch sonst wird hier das Jahr hindurch viel gefeiert. Absoluter Höhepunkt ist dabei für mich und meine Fasnet-Freunde das Erwecken des Schalkes, wobei Tausende seiner Anhänger in weißen „Hemdenglunckern“ solange jede Menge Radau machen, bis der Schalck im Niggelturm erwacht, mit seinen Getreuen zum Rathaus zieht und dort bis zum Aschermittwoch das Zepter übernimmt.
Noch zu erwähnen wären drei Museen – eines ist der Fastnacht gewidmet und befindet sich im schönsten der drei Türme, dem Niggelturm. Das ehemalige Palais Löwenberg bietet wechselnde Ausstellungen (häufig ´was mit Fotografie) und im Kinzigtorturm kann man auf 6 Etagen lernen, wie die Gengenbacher sich über die Jahrhunderte gegen ihre Feinde verteidigt haben. Ein letzter Tipp, bevor ich von hier aus meine Pilgerreise fortsetze: Das Flösserei- und Verkehrsmuseum unmittelbar vor den Mauern der Stadt vermittelt trotz seiner geringen Größe einen starken Eindruck von der Zeit, als man im tiefsten Schwarzwald die gefällten Bäume noch durch kleine Bäche mit viel Raffinesse ins Tal brachte und – zusammengebunden zu gewaltigen Flössen – bis ins ferne Amsterdam transportierte. Hut ab vor diesen Menschen, deren Spuren man nach einem Besuch dieses Museums mit nunmehr geschärften Sinnen bis auf die Höhen über dem Kinzigtal überall erkennen wird.