Ab sieben Uhr erwachen die Schnarcher im Refugi Son Amer. Statt deren nächtlichen Geräuschen erfüllt nun das Gequietsche der Matratzen den Raum. Um acht Uhr gibt es das eher bescheidene Frühstück, und eine halbe Stunde später bin ich wieder im Wald. Es wird noch einmal eine ziemlich lange Etappe, allerdings ohne große Kletterpartien und auf vergleichsweise angenehmen Untergrund.
Gut 16 Kilometer laufe ich so unter 5 Stunden, 250 Meter bergauf und 700 bergab. Bin eher schnell, kann aber der Realität nicht entkommen. Muss ständig an die Opfer islamistischer Terroristen denken. Gestern in Stockholm, davor in London, und in Oslo wurde eine Bombe heute noch rechtzeitig entschärft. Ich dachte, wenn ich alleine laufe, könnte ich solche Gedanken besser ausblenden, und mich auf Landschaft und Natur konzentrieren, statt auf die Suche nach den Verantwortlichen. Doch das ist ein Irrtum. Bestimmte Dinge schleppe ich offenbar immer mit mir herum…
Erst nach der Hälfte der Etappe gelingt es mir, das Kopfkino zu stoppen. Ich lasse ich den Wald hinter mir und passiere schöne Fincas entlang des Torrent de la Vall d´en Marc. Bazillionen von Rennradfahrern auf der nahe gelegenen Ma-10 machen mir vor, wie man sich entspannt. Und dann, kurz vor dem Zielort Pollenca, scheint mir Mallorca wie zur Belohnung einen Vogel vorbei zu schicken, den ich bisher noch nie gesehen hatte: Ein Wiedehopf, der auf der Wiese nach Nahrung sucht. In Deutschland steht er mit wenigen hundert Brutpaaren auf der Roten Liste der gefährdeten Arten.
Im schönen Pollenca, das ich vor zwei Jahren erstmals besucht habe, endet der GR 221 an der letzten Herberge, der Refugi del Pont Roma. So zeigt es meine Wanderkarte mit Stand Februar 2017, so schreibt es die Wikipedia, und so steht es auch in der offiziellen, mit unseren EU-Beiträgen gesponserten Broschüre zum Trockenmauerweg.
Doch was ist das? Auf der Landkarte am Refugi geht die rote Linie einfach weiter. Nochmals 1,5 Stunden wären da zu laufen bis zum Meer nach Port de Pollenca. Und zwar zu 90 % direkt an der Landstraße, vorbei auch am Industriegebiet von Pollenca. Nicht zum ersten Mal fühle ich mich auf diesem Weg veräppelt. Das Consell de Mallorca weist das kurze Stück jetzt kurzerhand als 8. Etappe des Weges aus. Und von da ab bis zum Cap de Formentor ganz im Osten ist der Weg gemäß dieser Karte geplant. „In Planung“ sind auf dieser Karte aber auch vier weitere Abschnitte, die ich in den vergangenen 11 Tagen ohne Probleme gelaufen bin: Port d´Andraxt – Sant Elm, Sant Elm – Sa Trappa, Coll de Sa Gramola – Ses Fontahelles, und Valldemossa – Deiá !
Wenn ich mir dieses Chaos anschaue, kann ich eigentlich nur den Kopf schütteln. Wie viel besser haben wir es doch daheim im Schwarzwald, wo fast jede Kreuzung sauber ausgeschildert ist, mit eindeutigen Wegmarkierungen, Entfernungsangaben, Haltestellen für Busse und Bahnen und natürlich dem Hinweis auf die nächste Wirtschaft!
Epilog: In Pollenca gab´s noch eine feine Dorade bei dem Italiener La Trencadora, den ich mit meiner Foursquare-App gefunden habe. Dann ging´s mit dem Bus zum Touristrand Platja del Muro, ins Sportlerhotel Viva Blue & Spa mit vergleichsweise günstigen Preisen. Überlegte kurz, ob ich mir ein Rennrad leihen sollte und entschied: Vielleicht ein anderes Mal. Freute mich stattdessen an der Poollandschaft, dem riesigen Frühstücksbuffet und dem quasi hinterm Haus gelegenen Parc Natural de s´Albufera mit erstaunlich vielen Wasservögeln. Stieg zwei Tage später in den Bus nach Palma, fuhr von dort zum Flughafen und von Basel mit den Bahn nach Hause.
Die Tour hier war gut, keine Frage. Mein Plan ist weitestgehend aufgegangen, das Projekt gelungen. Allerdings war die Aktion auch ziemlich teuer. Alleine zu reisen ist eben ein Luxus. Und so werde ich nach meiner Rückkehr wohl einige Zeit brauchen, um die Reisekasse wieder aufzufüllen. Derweil werde ich den Frühling und den Sommer in Baden genießen und sicher auch ein paar Touren machen, um die nähere Heimat zu erkunden…