Sardinien – Oristano

Das Frühstück in der Central Bar in Barumini fällt italienisch-spärlich aus: Ein Cappuccino und dazu ein mit Marmelade gefülltes Croissant. Dann wird gepackt und ausgecheckt und ich hocke mich auf eine Steinbank auf der Piazza gegenüber.

Zum Glück reicht das W-LAN vom Hotel bis hier rüber, sodass ich nicht nur die Aufzeichnung des gestrigen Tages vollenden kann, sondern auch meine Mails am Laptop checken. Das Ganze dauert gut 2,5 Stunden, und da mein Abholservice erst um 13:30 kommt, entschließe ich mich zu einem Mittagsmahl in der Pizzeria Su Pasiu, in der ich gestern wegen Überfüllung abgeblitzt bin.

Heute sieht das Ganze viel freundlicher aus: Ich bin der erste Gast und bekomme einen schönen Platz im Garten plus die volle Aufmerksamkeit des Chefs. Zwar steht draußen ein Menu von 10 Euro angeschrieben, aber ganz so günstig wird es dann doch nicht. Das „Touristenmenü“ kostet 20, bietet aber eine Auswahl zwischen je vier Primi und Hauptspeisen. Ich bestelle einen Krug Weißwein, und irgendwas mit Muscheln, die in einem nicht identifizierbaren Gemüse (?) schwimmen, das in der Konsistenz zwischen Mais und Kichererbsen liegt. Schmeckt aber nicht schlecht. Der Hauptgang ist ein Schwertfisch, der wunderbar ergänzt wird durch Rucola und Tomatenwürfel, sowie eine feine Pestosauce. Als Beilagen gibt es ebenfalls sehr feine Rosmarinkartoffeln.

Obwohl ich mich ein wenig beeilen muss, habe ich noch das Vergnügen, den beleibten und freundlichen Patrone bei der Arbeit zu beobachten. Er sieht, dass es mir schmeckt, und das scheint ihn zu freuen. So soll es sein.

Gerade rechtzeitig bin ich wieder an der Central Bar, um meinen Fahrer Giuliano zu treffen. Der macht irgendwie einen abgebrannten Eindruck und signalisiert mir gleich, dass er kein Geld hat bzw. ´rausgeben kann. Ich drücke ihm die verabredeten 40 Euro in die Hand, was ihn gleichermaßen fröhlich wie gesprächig stimmt. Schade, dass er nur Italienisch spricht, und ich mit meinem Englisch, Französisch, und bisschen Spanisch nur Bruchteile verstehe. Wieder einmal verfluche ich all die Zeit, die ich in der Schule mit Lateinstunden absitzen musste, wo ich statt einer lebendigen Sprache eine tote lernen musste. Ich hatte zwar kurz darüber nachgedacht, Italienisch mit einer App wie Duolingo oder Babbel wenigstens in Grundzügen zu lernen, dann aber eine Vermischung mit meinem Spanisch befürchtet, das mir wichtiger ist.

Um von Barumini zum 30 Kilometer entfernten Bahnhof von Samassi zu kommen, hat es aber doch gereicht. Der kaputte Tacho in Giulianos 26 Jahre altem Auto stand dabei dauerhaft auf Null. Ich darf Euch aber versichern, dass der Gute wesentlich schneller unterwegs war – wie sich überhaupt die Einheimischen um Geschwindigkeitsbeschränkungen nicht sonderlich kümmern.

Der Lohn der Raserei waren weitere 40 Minuten Wartezeit am Bahnhof von Samassi, der mich mit seiner Lage am Stadtrand, und den leeren Straßen irgendwie an den Western „High Noon“ erinnert hat. Nun also mein erster Zug auf Sardinien. Der Zug war genauso pünktlich wie die Busse davor und brachte mich durch eine grüne Landschaft ohne spektakuläre Aussichten in das gemütliche Städtchen Oristano. Vom Bahnhof hatte ich noch einen guten Kilometer zu laufen und konnte dann mein Zimmer im Via del Centro Guesthouse an der zentralen Piazza Eleonora beziehen. Es ist meine dritte Unterkunft, und erneut bekomme ich den Zugang zu meinen Schlüsseln per WhatsApp beschrieben.

Busse fuhren auch hier nicht, und so musste ich den Ausflug zur benachbarten Lagune di Mistras auf morgen legen, und mich mit einem kleinen Stadtrundgang begnügen. Schöne Kirche, schöne Häuser, schöne Cafés, und ein kleiner Park, in dem sich Familien mit ihren Kindern tummeln. „Parco de la Resistenza“ heißt die Grünanlage. Und angesichts des morgigen „Tag der Befreiung“ kann ich mir den Gedanken nicht verkneifen, dass im Rückblick in erstaunlich vielen Ländern erstaunlich viele Menschen „im Widerstand“ waren.

Wieder zurück an meiner Unterkunft setze ich mich zu den Einheimischen, die draußen im Cafe la Piazza Fußball schauen, dazu Warsteiner Bier für 3 Euro trinken, und dazu noch einen gar nicht kleinen Teller mit Käse, Wurst und anderen Leckereien spendiert bekommen.

Am Morgen darauf schiebe ich ein paar Stunden Arbeit ein, komme aber immerhin noch vor 10 Uhr los, und nehme mein Frühstück unterwegs auf dem Weg zum Fahrradladen „Bike Or“. Der liegt ein wenig außerhalb, und ich zahle dem Eigentümer Roberto satte 18 Euro Tagesmiete, obwohl ich das Rad geschätzt nur 3 Stunden brauche. Es ist ein Trekking-Rad, und auf meine Frage, ob ich den See (Stagno) de Mistras auf den bei Google dünn eingezeichneten Wegen wohl überqueren könne, sagt Roberto „nein“, und ich solle entlang der Straße fahren.

Ich probiere es natürlich trotzdem und werde für meinen Entdeckergeist mal wieder reichlich belohnt. Schon auf der Hinfahrt blüht es in allen Farben prächtig am Wegesrand, und nun kommt noch das Wasser, die Macchia und der Himmel dazu, sodass ich jede Menge schöne Fotomotive bekomme. Außerdem gibt es ca. 120 Flamingos und ein paar weitere Vögel, die ich meiner sardischen Artenliste hinzufügen kann – einschließlich eines riesigen Greifvogels, den ich als Gänsegeier identifiziere.

Dann kommt auch noch ein Hauch Abenteuer dazu, denn die Verbindung zu Sinis-Halbinsel besteht aus einem halben Dutzend Holzstege, die relativ ungesichert übers Wasser laufen. Ob sie immer offen sind, kann ich nicht garantieren. Ich aber habe heute Glück, die Temperatur ist noch angenehm warm und im Ort San Giovanni die Sinis komme ich gerade rechtzeitig an, um schnell in einer Trattoria meine Tortellini samt eisgekühltem Rosé und Blick auf´s Meer zu genießen. Für die archäologischen Stätten von Tharros reicht die Zeit nicht mehr – im Gegenteil muss ich kräftig in die Pedale treten, um (nach telefonischer Anmeldung meiner Rückkehr) wieder rechtzeitig zum Fahrradladen zu gelangen. Von dort sind es dann nur noch ein paar Hundert Meter zur Bushaltestelle mit der Verbindung zum nächsten Stopp: Alghero.

Sardinien – Su Nuraxi

Von Cagliari bin ich mit dem Bus nach Barumini gefahren – eine Strecke von 67 Kilometern, die mich inklusive Umsteigen € 4,90 und  2:40 Stunden  gekostet hat. Knapp die Hälfte dieser Zeit saß ich als einziger alter Sack unter lauter Schuljungen und -Mädchen, was sich irgendwie komisch angefühlt hat. Aber ich wollte ja „volksnah“ reisen, und die sardische Jugend hat sich anständig benommen – wenn man von den beiden Teenies neben mir absieht, die sich einen Sitz geteilt und die Freuden der lesbischen Liebe für meinen Geschmack ein bisschen zu aufdringlich vorexerziert haben 😉
 
Jedenfalls war der Bus pünktlich, und wie schon in der letzten Unterkunft bin ich auch heute wieder per Zahlencode in mein Hotel und Zimmer gekommen, der mir per WhatsApp zugeschickt wurde. Bei all dem Personalmangel, der in unserem Gastgewerbe beklagt wird, frage ich mich, warum man sich hier kein Vorbild nimmt.
 
Mein Hotel in Barumini war das „Diecizero„, ein umgebautes ehemaliges Kino. Das war zwar ganz originell, hatte aber eine eher unterdurchschnittliche Ausstattung und fühlte sich durch die schummrige Beleuchtung auch irgendwie puffig an. Egal. Der Preis war ok, und die Lage könnte zentraler nicht sein, mit Bar, Tabakladen und Bäckerei im gleichen Gebäude und der empfehlenswerten Pizzeria Su Pasiu nur 100 Meter entfernt. Es ist 14:15 und ich bin startklar um mein Hauptziel auf dieser Reise nach Sardinien zu erobern:
 
Zu Fuß geht es zum knapp einen Kilometer entfernten Weltkulturerbe der UNESCO, Su Nuraxi. Diese Wehranlage aus der Bronzezeit ist sowohl die größte als auch die berühmteste ihrer Art auf ganz Sardinien. Und da hier immerhin mehr als 7000 Wehrtürme (Nuraghen) in der Landschaft stehen, hat das schon etwas zu bedeuten. Entdeckt wurde Su Nuraxi erst 1949, als starke Regenfälle Teile der Anlage freisetzten. Es folgte eine 7-jährige Ausgrabungszeit, und die Rekonstruktion der Geschichte dieser Anlage. Entstanden etwa ab 1500 v. Ch. wurde hier über kaum vorstellbare 1000 weitere Jahre hinweg immer wieder nachgebessert, vergrößert und umgebaut.
 
„Aus Sicherheitsgründen“ ist Su Nuraxi nur im Rahmen einer ca. 40-minütigen Führung zugänglich, und dafür verlangt man 15 Euro. Die haben sich aber gelohnt für diesen lehrreichen Ausflug in die Prähistorie. Der Turm in der Mitte war einst 20 Meter hoch, hat jedoch sein drittes und oberstes Stockwerk verloren, sodass heute „nur noch“ 15 Meter übrig sind. Um den zentralen Turm liegen 4 weitere, und in einem äußeren Ring hatte man später nochmals 7 Türme erstellt, von denen aber nicht mehr viel übrig ist. All das wirkt vor Ort auch dank der (englischsprachigen) Führung noch weitaus eindrucksvoller, als in der Beschreibung. Für mich ist es weniger die Aussicht auf die Ebene, die beeindruckt, sondern die Konstruktion der Anlage aus Steinklötzen, die in einem nahe gelegenen Basaltvorkommen gebrochen und hierher geschafft wurden – vermutlich gezogen von Ochsen und menschlicher Muskelkraft.
 
Selbst mit Hilfe einiger Freunde hätte ich wohl keinen einzigen dieser Brocken bewegen können, schießt es mir durch den Kopf. Doch diese prähstorischen Menschen haben Reihe um Reihe emporgezogen, die Steine teilweise auch noch behauen und ohne Mörtel so stabil aufeinander getürmt, dass das Zentrum der Anlage 3500 Jahre relativ gut überdauert hat. Vor der Anlage liegen die Reste etlicher Steinhäuser, in denen einst nach Schätzungen ein paar Hundert bis zu 1000 Menschen lebten. Die durften wohl bei Gefahr ins Innere der Burgmauern flüchten, von wo man sich mit Pfeil und Bogen durch Schießscharten verteidigen konnte.
 
Der Zugang lag auf 7 Meter Höhe und erfolgte damals vermutlich über Strickleiter, die sich bei Angriffen einfach hochziehen ließen. Heute hat man ein paar Treppen davor gestellt und startet die Führung ins Innere von dem Loch in der Mauer. Damals wie heute ging man nicht über Leitern, sondern durch einen schmalen Gang mit steilen Steinstufen im Inneren der Burgmauer, bis man schließlich in den Hof kommt. Dort hatten die Nuraghen einen tiefen Brunnen ausgehoben und offenbar auch einen Wasserkult betrieben. Nichts Genaues weiß man nicht, denn die Bewohner waren zwar tolle Baumeister und haben auch einige schöne Bronzeskulpturen hinterlassen (die stehen in Cagliari im Archäologischen Nationalmuseum) – schreiben konnten sie aber nicht. Aber die Vorstellung, dass diese Menschen vor so langer Zeit durch die gleichen Gänge gekrabbelt sind und sich womöglich auf den gleichen Steinen abgestützt haben, wie unsere 5-köpfige Touri-Gruppe, ist schon prickelnd.
 
Wer mehr über den Steinhaufen wissen will, findet den offiziellen Eintrag (auf englisch) hier. Für mich hat sich der Besuch auf jeden Fall gelohnt – und zwar nicht nur, weil ich bei den „Most Traveled People“ auf meinen Listen ein weiteres Häkchen setzen durfte und nunmehr 69 Stätten des UNESCO-Welterbes gesehen habe.
 
Auf die Begeisterung folgt Ernüchterung, als ich für den morgigen Tag meine Fahrt nach Oristano planen will. Eigentlich kommt man mit dem Bus in 90 Minuten dort hin. Dumm nur, dass morgen Sonntag ist, und dass am Sonntag eben kein Bus geht. Das steht zwar auch in Google Maps klein und in Klammern dabei, doch habe ich diese Info blöderweise übersehen. Ich denke kurz darüber nach, mit meinem Rucksäckchen zum nächsten Bahnhof zu laufen – doch das wären entlang der Straße 29 Kilometer, und auf einem Wanderweg, den Komoot mir vorschlägt 35 – zu bewältigen in ca. 9 Stunden. Uber gibt´s hier auch nicht, und wenn ich die Taxikosten von vorgestern extrapoliere, würde mich das einen dreistelligen Betrag kosten. Auch die Möglichkeit, meine Megawanderung mit gelegentlichem Trampen abzukürzen, wird erwogen. Aber auch gleich wieder verworfen, denn ich will nicht abhängig sein von der Güte fremder Menschen und außerdem ist so etwas nicht planbar und viel zu unsicher.
 
Schließlich überwinde ich meinen Stolz und schicke eine WhatsApp an meine Vermieterin mit der Bitte um Rat. Und siehe da: Sie kennt jemanden aus dem Dorf, der mich für 40 Euro zum Bahnhof bringt. „Die Automiete für einen Tag wäre billiger gewesen“, grummle ich in einen Bart, nehme das Angebot dann aber doch dankbar an.
 
Der Tag geht ziemlich unbefriedigend zu Ende, denn ich finde zwar mit Su Pasiu eine offensichtlich gute Trattoria. Die ist an diesem Samstag aber so voll, dass ich keinen Platz mehr kriege, weil ohne Reservierung So verbringe ich die letzten drei Stunden des Tages mit Schreiben, buche noch ein Hotel in Oristano und finde mich damit ab, dass ich morgen den kompletten Vormittag verliere, weil ich zu dämlich war, einen Busfahrplan zu lesen…