Sardinien – Oristano

Das Frühstück in der Central Bar in Barumini fällt italienisch-spärlich aus: Ein Cappuccino und dazu ein mit Marmelade gefülltes Croissant. Dann wird gepackt und ausgecheckt und ich hocke mich auf eine Steinbank auf der Piazza gegenüber.

Zum Glück reicht das W-LAN vom Hotel bis hier rüber, sodass ich nicht nur die Aufzeichnung des gestrigen Tages vollenden kann, sondern auch meine Mails am Laptop checken. Das Ganze dauert gut 2,5 Stunden, und da mein Abholservice erst um 13:30 kommt, entschließe ich mich zu einem Mittagsmahl in der Pizzeria Su Pasiu, in der ich gestern wegen Überfüllung abgeblitzt bin.

Heute sieht das Ganze viel freundlicher aus: Ich bin der erste Gast und bekomme einen schönen Platz im Garten plus die volle Aufmerksamkeit des Chefs. Zwar steht draußen ein Menu von 10 Euro angeschrieben, aber ganz so günstig wird es dann doch nicht. Das „Touristenmenü“ kostet 20, bietet aber eine Auswahl zwischen je vier Primi und Hauptspeisen. Ich bestelle einen Krug Weißwein, und irgendwas mit Muscheln, die in einem nicht identifizierbaren Gemüse (?) schwimmen, das in der Konsistenz zwischen Mais und Kichererbsen liegt. Schmeckt aber nicht schlecht. Der Hauptgang ist ein Schwertfisch, der wunderbar ergänzt wird durch Rucola und Tomatenwürfel, sowie eine feine Pestosauce. Als Beilagen gibt es ebenfalls sehr feine Rosmarinkartoffeln.

Obwohl ich mich ein wenig beeilen muss, habe ich noch das Vergnügen, den beleibten und freundlichen Patrone bei der Arbeit zu beobachten. Er sieht, dass es mir schmeckt, und das scheint ihn zu freuen. So soll es sein.

Gerade rechtzeitig bin ich wieder an der Central Bar, um meinen Fahrer Giuliano zu treffen. Der macht irgendwie einen abgebrannten Eindruck und signalisiert mir gleich, dass er kein Geld hat bzw. ´rausgeben kann. Ich drücke ihm die verabredeten 40 Euro in die Hand, was ihn gleichermaßen fröhlich wie gesprächig stimmt. Schade, dass er nur Italienisch spricht, und ich mit meinem Englisch, Französisch, und bisschen Spanisch nur Bruchteile verstehe. Wieder einmal verfluche ich all die Zeit, die ich in der Schule mit Lateinstunden absitzen musste, wo ich statt einer lebendigen Sprache eine tote lernen musste. Ich hatte zwar kurz darüber nachgedacht, Italienisch mit einer App wie Duolingo oder Babbel wenigstens in Grundzügen zu lernen, dann aber eine Vermischung mit meinem Spanisch befürchtet, das mir wichtiger ist.

Um von Barumini zum 30 Kilometer entfernten Bahnhof von Samassi zu kommen, hat es aber doch gereicht. Der kaputte Tacho in Giulianos 26 Jahre altem Auto stand dabei dauerhaft auf Null. Ich darf Euch aber versichern, dass der Gute wesentlich schneller unterwegs war – wie sich überhaupt die Einheimischen um Geschwindigkeitsbeschränkungen nicht sonderlich kümmern.

Der Lohn der Raserei waren weitere 40 Minuten Wartezeit am Bahnhof von Samassi, der mich mit seiner Lage am Stadtrand, und den leeren Straßen irgendwie an den Western „High Noon“ erinnert hat. Nun also mein erster Zug auf Sardinien. Der Zug war genauso pünktlich wie die Busse davor und brachte mich durch eine grüne Landschaft ohne spektakuläre Aussichten in das gemütliche Städtchen Oristano. Vom Bahnhof hatte ich noch einen guten Kilometer zu laufen und konnte dann mein Zimmer im Via del Centro Guesthouse an der zentralen Piazza Eleonora beziehen. Es ist meine dritte Unterkunft, und erneut bekomme ich den Zugang zu meinen Schlüsseln per WhatsApp beschrieben.

Busse fuhren auch hier nicht, und so musste ich den Ausflug zur benachbarten Lagune di Mistras auf morgen legen, und mich mit einem kleinen Stadtrundgang begnügen. Schöne Kirche, schöne Häuser, schöne Cafés, und ein kleiner Park, in dem sich Familien mit ihren Kindern tummeln. „Parco de la Resistenza“ heißt die Grünanlage. Und angesichts des morgigen „Tag der Befreiung“ kann ich mir den Gedanken nicht verkneifen, dass im Rückblick in erstaunlich vielen Ländern erstaunlich viele Menschen „im Widerstand“ waren.

Wieder zurück an meiner Unterkunft setze ich mich zu den Einheimischen, die draußen im Cafe la Piazza Fußball schauen, dazu Warsteiner Bier für 3 Euro trinken, und dazu noch einen gar nicht kleinen Teller mit Käse, Wurst und anderen Leckereien spendiert bekommen.

Am Morgen darauf schiebe ich ein paar Stunden Arbeit ein, komme aber immerhin noch vor 10 Uhr los, und nehme mein Frühstück unterwegs auf dem Weg zum Fahrradladen „Bike Or“. Der liegt ein wenig außerhalb, und ich zahle dem Eigentümer Roberto satte 18 Euro Tagesmiete, obwohl ich das Rad geschätzt nur 3 Stunden brauche. Es ist ein Trekking-Rad, und auf meine Frage, ob ich den See (Stagno) de Mistras auf den bei Google dünn eingezeichneten Wegen wohl überqueren könne, sagt Roberto „nein“, und ich solle entlang der Straße fahren.

Ich probiere es natürlich trotzdem und werde für meinen Entdeckergeist mal wieder reichlich belohnt. Schon auf der Hinfahrt blüht es in allen Farben prächtig am Wegesrand, und nun kommt noch das Wasser, die Macchia und der Himmel dazu, sodass ich jede Menge schöne Fotomotive bekomme. Außerdem gibt es ca. 120 Flamingos und ein paar weitere Vögel, die ich meiner sardischen Artenliste hinzufügen kann – einschließlich eines riesigen Greifvogels, den ich als Gänsegeier identifiziere.

Dann kommt auch noch ein Hauch Abenteuer dazu, denn die Verbindung zu Sinis-Halbinsel besteht aus einem halben Dutzend Holzstege, die relativ ungesichert übers Wasser laufen. Ob sie immer offen sind, kann ich nicht garantieren. Ich aber habe heute Glück, die Temperatur ist noch angenehm warm und im Ort San Giovanni die Sinis komme ich gerade rechtzeitig an, um schnell in einer Trattoria meine Tortellini samt eisgekühltem Rosé und Blick auf´s Meer zu genießen. Für die archäologischen Stätten von Tharros reicht die Zeit nicht mehr – im Gegenteil muss ich kräftig in die Pedale treten, um (nach telefonischer Anmeldung meiner Rückkehr) wieder rechtzeitig zum Fahrradladen zu gelangen. Von dort sind es dann nur noch ein paar Hundert Meter zur Bushaltestelle mit der Verbindung zum nächsten Stopp: Alghero.

Sardinien – Cagliari

Am Morgen nach der Anreise mit dem Billigflieger ziehen ich den Vorhang zur Seite und erblicke einen strahlend blauen Himmel, an dem Möwen und Mauersegler kreisen. Etwa 36 Stunden habe ich eingeplant, um Cagliari zu erkunden, die Hauptstadt Sardiniens. Von Google Maps lasse ich mich zu einem Café und Frühstücksrestaurant hinter dem Häuserblock meines coolen Appartements („Spacebility„) lotsen. Das Caffé dell´Arte erweis sich als Volltreffer, mit einem freundlichen Kellner/Barista, der einen hervorragenden Cappuchino serviert, dazu ein frisch gepresster Orangensaft und ein paar pochierte Eier auf Toast – natürlich mit Speck.

Die Einrichtung ist originell, mit verspielten Lampen, alten Kaffeeautomaten und einer Ecke, in der Hunderte von Schallplatten in den Regalen stehen, und die als „Music Hall“ ausgeschildert ist. Mit nur leichtem Gepäck suche ich mir einen Bus – wieder mithilfe von Google Maps – und lasse mich in die Nähe des Naturparks Molentargius chauffieren. Dazu müsst Ihr wissen, dass eine meiner Leidenschaften die Vogelbeobachtung („Birding“) ist, und daher dieser Hotspot für mich vor allen anderen Sehenswürdigkeiten Cagliaris kam. Laut eBird, der besten Quelle für Birder, sind die Salinen der beste Hotspot unter den 131 der Insel. Von den 257 Arten, die man bislang auf Sardinien insgesamt gesehen hat, wurden 155 hier beobachtet. 

Derart motiviert entschließe ich mich an einer Übersichtstafel vor dem Naturschutzzentrum, die ca. 12 Kilometer einer zusammengesetzten großen Runde in Angriff zu nehmen. Dabei komme ich zwar vom Weg ab, sodass es am Schluss nur 6 Kilometer werden, jedoch sehe ich trotzdem 25 Arten, darunter mehr als 100 Rosa Flamingos und erstmals in meinem Leben Mönchssittiche, die ebenso wie die Halsbandsittiche ursprünglich aus Südamerika kommen und sich nun fern der Heimat ausbreiten.

Obwohl die Temperatur wohl kaum 25 Grad hat, knallt die Sonne ganz schön kräftig herunter. Cagliari soll ohnehin der wärmste Ort der Insel sein, und ich bin froh, dass ich nicht im Hochsommer da bin. Den Heimweg lasse ich mir wieder von Google Maps zeigen, und genehmige mir unterwegs am schönen, langen, breiten und sauberen Stadtstrand Spiaggia del Poetto ein Bier in einer Strandbar.

Am Abend suche ich ein Restaurant mit typisch sardischer Küche und finde auch mit dem „Ammentos“ unweit eine Wirtschaft, die dafür noch halbswegs günstige Preise aufruft. Als erster Gast des Abends kann ich zusehen, wie der Laden sich bis zum letzten Tisch füllt, und obwohl ich mal wieder der einzige Single bin, macht mir das fast nichts aus. Mit meiner Menuwahl bin ich nicht ganz glücklich, das Lamm hatte ich mir irgendwie weniger zerhackt und knochig vorgestellt, aber wahrscheinlich gehörte das so. 

Tags darauf mache mich auf, um am Vormittag noch ein wenig Cagliari zu erkunden. Weil mir die Gepäckaufbewahrung mit 10 Euro zu teuer ist, gehe ich mit Rucksack am Hafen entlang unter den schönen Arkaden prächtiger Häuser, dann bergauf zur Altstadt in der ehemaligen Zitadelle. Hier durften die Einheimischen unter der spanischen Herrschaft bei Todesstrafe nicht ´rein und wurden für den Versuch mit einem Wurf von den hohen Mauern bestraft. Ich bin zum Glück nur durch meinen Rucksack bestraft, mit dem ich mich ungezählte Stufen zur Bastione de San Remy hocharbeite, einem der wenigen Eingänge zur Zitadelle.

Den Blick von hier oben muss man nicht unbedingt schön nennen, aber immerhin liegt der Großraum Cagliari mit dem Hafen und der angrenzenden Bucht mir zu Füßen. Etwas flacher, ab immer noch bergauf, geht es zur Kathedrale Santa Maria. Deren Anfänge gehen bis ins 13 Jahrhundert zurück, aber natürlich wurde sie seitdem -zig Mal umgestaltet. Als typischer Mitteleuropäer hat man in meinem Alter vermutlich schon genug Kirchen gesehen – mir fällt es jedenfalls immer schwerer, mich für die künstlerischen Ausdrücke religiöser Gefühle und Machtansprüche zu begeistern. Bemerkenswert finde ich aber doch die Krypta unter dem Altar, in deren Nischen die Überreste von 200 sardinischen Märtyrern aufbewahrt werden.

Ich habe mich mehr für das Archäologische Nationalmuseum interessiert, das nur wenige Hundert Meter entfernt liegt. Dort werden nämlich u.a. jede Menge Relikte der bronzezeitlichen Nuraghenkultur ausgestellt, und ich finde es faszinierend, welche Kunstwerke diese Menschen vor 3500 Jahren geschaffen haben. Neben der fast schon üblichen Sammlung von Pfeil- und Speerspitzen, Schalen, Töpfen und anderer Keramik sind es die kleinen Bronzefiguren, die es mir angetan haben. Irgendwie haben diese Männekens (Frauen sind auch dabei) zwar stets die gleichen Gesichtszüge, sie scheinen aber unterschiedlichen Klassen bzw. Berufen anzugehören und machen die Ausstellung dadurch für mich sehr lebendig. Außerdem habe ich mir für diese Reise ja auch vorgenommen, das einzige Weltkulturerbe Sardiniens zu besuchen, und dies ist nun einmal eine exemplarische Ansammlung von Wehrtürmen und Hütten aus der Nuraghenkultur bei Barumini.

Ein Blick auf die Uhr zeigt, dass ich mich auf den Weg machen sollte. Und da ich ausnahmsweise für diesen Trip (noch) kein Mietauto genommen habe, verlasse ich mich auf das Netz von Regionalbussen, um mit ein Mal umsteigen nach Barumini zu kommen.

Fast hätte ich den Bus verpasst, weil ich in einem Feinkostladen als Proviant noch schnell ein Panini bestellt habe, ohne damit zu rechnen, dass die Lady hinterm Tresen daraus ein enorm zeitaufwändiges Kunstwerk machen wollte. Nachdem wir uns über den Belag verständigt hatten, galt es zuerst die Art des Brötchens auszuwählen. Dann wurde der Schinken beschnüffelt und für „bene“ befunden, in hauchdünne Scheiben geschnitten, gewogen, als zu leicht beurteilt, erneut geschnitten und schließlich die 70 Gramm zur Seite gelegt. Dazwischen verschwindet die Verkäuferin in einem Hinterraum, kommt wieder ´raus, bedient „geschwind“ eine andere Kundin, und kehrt zu mir zurück. Das gleiche, was sie mit dem Schinken getan hat, muss nun auch für den Mozarella erfolgen: Beschnüffeln, „bene“ finden, ein paar Scheiben schneiden, wiegen, noch ein paar Scheiben schneiden – und zur Seite legen. (Noch 10 Minuten, bis der Bus fährt). Jetzt erhält das aufgeschnittene Brot ein paar Spritzer Olivenöl – „bene“. Zwei kleine Tomaten müssen noch drauf, aber erst noch schneiden, und davor noch die Butzen entfernen. Soooo. Jetzt. (NOCH 6 MINUTEN). Es wird belegt, das Werk geht seiner Vollendung zu zu. Papierservietten müssen noch außenrum, aber die heften aneinander und sind nur mühsam, sorgfältig, immer mit der Ruhe, auseinander zu kriegen. Puh. Geschafft. (NOCH 4 MINUTEN). Und jetzt der Spoiler: In den letzten 3 Minuten hat Madame es tatsächlich hingekriegt, mein Panini in eine Papiertüte zu tun, zuzukleben, 6,37 Euro zu berechnen, und auf 20 Euro rauszugeben.

… und so habe ich den Bus doch noch erreicht – und bin nun endlich auf dem Weg nach Barumini, zum Su Nuraxi.

Costa Rica Update 08 – Selva Bananito Lodge

Heute geht´s mal weniger um die Suche nach einem Wohnsitz, sondern eher um Natur im Allgemeinen und Ökotourismus im Besonderen. Da Ökotourismus einschließlich der Vogelbeobachtung eine der Haupteinnahmequellen des Landes ist, findet man zahlreiche Lodges, die sich auf Verrückte wie mich spezialisiert haben.

Eine davon ist die Selva Bananito Lodge, am Fuße des Talamanca-Gebirges auf der karibischen Seite von Costa Rica und an der Grenze zum riesigen Nationalpark La Amistad, den man sich mit Panama teilt. Zu erreichen ist die Lodge ab Bananito Sur nur über eine ca. 15 Kilometer lange Allradpiste inklusive Durchquerung eines breiten und mehrerer kleiner Bäche. Wieder darf ich mich fühlen wie auf der Camel Trophy – und schiefgehen kann ja eigentlich nichts, weil die Betreiber der Lodge zur Not noch ein paar ernsthafte Geländewagen haben, um einen abzuholen.

Gerne erzählt der deutschstämmige Besitzer Jürgen Stein die Geschichte des Anwesens mit seinen 850 Hektar (!) Land, die der Vater hier 1974 den Einheimischen abgekauft hat. Der in Kolumbien nach dem ersten Weltkrieg eingewanderte Papa war ein erfolgreicher Agarunternehmer hatte sich aber wegen drohender Entführung / Schutzgelderpressung entschlossen, mit seiner Familie das Land blitzartig zu verlassen. Erst wurde die neue Heimat landwirtschaftlich (zur Viehzucht und zum Bananenanbau) genutzt, außerdem wurde auch Holz gewonnen – was man damals halt so unter der Erschließung des Landes verstanden hat. Dies war damals so gewünscht und aus dieser Zeit stammt wohl auch noch eine interessante Klausel im Besitzrecht Costa Ricas: Wer sein Land 5 Jahre lang nicht nutzt / bewirtschaftet, kann den Anspruch darauf verlieren und hat dann angeblich auch keine Handhabe gegen Leute, die dieses Land besetzen.

Ich finde, das ist eine recht interessante Auslegung von „Eigentum verpflichtet“, und womöglich eine ganz gute Maßnahme gegen Grundstücksspekulationen. Außerdem ist beim Immobilienerwerb zu bedenken, dass auch ältere Verträge angefochten werden können, insbesondere in Regionen, die als traditionelles „Indianerland“ gelten, und wo die Grenzziehungen nicht eindeutig nachzuvollziehen sind – z.B. weil es noch kein GPS gab, Flüsse ihren Lauf verändert haben etc.). Getrieben wird dies offenbar weniger von den „Ureinwohnern“ (Indigenes), sondern von Anwälten, die sich eine ordentliche Provision aus der resultierenden Abfindung sichern wollen. 

Solche Dinge nebenbei zu lernen ist einer der Gründe, warum sich diese Reise jetzt schon gelohnt hat. Aber zurück zur Geschichte der Lodge – so wie sie vom Sohnemann gerne erzählt wird: Der hatte nämlich als Jugendlicher jede Menge Ökoflausen im Kopf: Bewahrung der Natur, nachhaltiges wirtschaften, Geld verdienen mit Umweltschutz usw., die dem Senior wohl zunächst als Hirngespinste erschienen (eine Kontroverse, die mich ein bisschen an meine eigene Jugend erinnert hat). Jedenfalls haben die beiden sich geeinigt, der Senior lies dem Junior freie Hand, und der Junior hat über die Jahre das Anwesen in ein privates Reservat umgewandelt, eine Stiftung gegründet, eine Cabina nach der anderen hineingestellt, und ein umfassendes „ökotouristisches“ Angebot entwickelt. Hier kann man reiten, lernen auf einen Baum zu klettern, wandern und im Dschungel übernachten, oder einfach „nur“ birden.

Jürgen Stein und seine Angestellten leiden natürlich ebenso unter der Corona-Krise wie das ganze Land. Nur 3 der 19 Hütten waren besetzt, eine US-Reisegesellschaft, die sonst im Alleingang alles belegt hatte, hat die Buchungen storniert. So kam ich mit zwei Schweizer Pärchen in den Genuss einer besonders intensiven Betreuung inklusiver zweier Vorträge. Der eine drehte sich um die letzten hier noch vorkommenden Großkatzen – sowohl Pumas als auch Jaguare, die mit zahlreichen Fotofallen dokumentiert wurden, aber teilweise der Wilderei zum Opfer fielen (oder genauer: Dem Aberglauben reicher, impotenter Chinesen). Jürgens Verbitterung darüber, dass einer der Wilderer unbehelligt von den Behörden im Nachbarort lebt, obwohl er auf Facebook mit einem abgetrenntem Jaguar-Kopf posiert hat, verstehe ich gut. Seine Reaktion – die Schulklassen aus der Umgebung auf die Lodge einzuladen und die Einzigartigkeit dieser Wildkatzen zu erklären – finde ich großartig.

Der 2. Vortrag ist Jürgens neuestem Hobby und Angebot gewidmet: Er bietet Flüge mit dem Gyrocopter an, einer Art Mini-Helikopter mit offener Kabine für 2 Personen. In geringer Höhe hat man ein tollen Blick auf den Regenwald, samt Wasserfällen oder checkt ´mal eben die Lage im 70 Kilometer entfernten Puerto Viejo. Merian, GEO und natürlich das deutsche Fernsehen waren auch schon da, und haben alles ganz toll gefunden. Ich verkneife mir die Frage, wie sich das Rumfliegen mit dem Umweltschutz verträgt. Der Schweizer Kollege pflanzt tags darauf einen Baum (für 20 Dollar), aber meine Skepsis zum Thema Ökotourismus wird damit nicht kleiner.

Jeder von uns 5 Gästen muss ca. 20000 Kilometer für die Hin- und Rückreise zurücklegen. Wir fahren mit Geländewagen von Lodge zu Lodge, übernachten in Hotels mit Klimaanlagen (die ich auch häufig brauche), gelegentlich auch mit Pool, selbst in Gegenden absoluter Dürre. Also für meine CO2-Bilanz ist das nicht so toll, und wer glaubt, er könne dies durch eine Zahlung an Plant for the Planet oder ähnliche Firmen wettmachen, dem sei der Artikel „Der Märchenwald“ aus der Zeit empfohlen. Andererseits: Welchen Anreiz hätten Länder wie Costa Rica, die letzten Wildnisse der Erde zu bewahren, wenn Typen wie ich sie nicht dafür bezahlen würden? 

Genug philosophiert für heute: Der freundliche Allen, der hier als Guide und Mädchen für Alles arbeitet, entdeckt im Dunkeln im Baum einen Wickelbär – der erste, den ich in freier Wildbahn sehe. Weniger süß, und lieb, und niedlich ist die Lanzettotter, die einer der Schweizer Kollegen kurz darauf auf dem Weg zu seiner Cabina sieht. Laut Wikipedia ist sie „leicht erregbar, bewegt sich sehr schnell und ist extrem giftig“.  Es ist meine 2. Begegnung mit dieser Schlange. Zwar gibt es hier an die 130 Arten, darunter Dutzende giftige. Die Lanzettotter ist aber für die meisten schwerwiegenden Vergiftungen und Todesfälle verantwortlich, weshalb ich abseits der angelegten Pfade hier nur in Stiefeln unterwegs bin. In meiner Cabina, die auf Holzpfeilern steht, fühle ich mich aber recht sicher und träume schön, mit offenen Verandatüren in Richtung Dschungel. 

Die Lodge ist einer der ganz wenigen Orte in Costa Rica, an dem ich weder Handy-Empfang noch W-LAN hatte – aber das ist Teil von Jürgens Plan. Schon um 5:30 treffe ich mich mit Allen zur Vogeltour auf einem kleinen Rundweg. Er hat ein gutes Auge und ein hervorragendes Spektiv von Swarowski. Am Ende habe ich ca. 35 Vogelarten auf der Liste und wir sind beide happy. Die Selva Bananito Lodge ist ein gelungenes Experiment in Sachen Umweltschutz. Meine Empfehlung hat sie und Jürgen Stein meinen Respekt für seine Weitsicht. Dass ich der Verlockung eines Gyrocopter-Fluges widerstanden habe, möge er mir verzeihen… 

Fortsetzung folgt – aber anders als ursprünglich geplant.
Statt Nachträge auf dem Bog möchte ich nämlich alles zusammenfassen in einem eBook zum Thema „Ab nach Costa Rica“.  Wenn´s fertig ist, werdet ihr hier zuerst davon erfahren.

Apps für Vogelfreunde

Was will man machen, wenn der Lock-Down einem das Leben vermiest? Die Stammkneipe und die meisten Läden sind geschlossen, man darf die Freunde nur noch einzeln empfangen, und hat alle Filme auf Netflix und Amazon schon zwei Mal gesehen.

Hier ist mein Tipp: Gehen Sie raus in die Natur und beobachten Vögel. Das verschafft Bewegung, beruhigt die Nerven und ist lehrreich dazu. Schon in jedem Stadtpark gibt es was zu sehen, und alles, was man braucht ist ein Fernglas und ein bisschen Know-How, das heutzutage kostenlos in Form verschiedener Apps zu haben ist. Unter den Dutzenden dieser Mini-Programme gibt es einige sehr empfehlenswerte, die Ihnen dabei helfen, die Vögel anhand ihres Aussehens, der Verhaltensweise oder ihres Gesanges zu erkennen. Die folgenden fünf habe ich getestet und präsentiere hier meine Rangliste, samt ausführlicher Begründungen. Mit Ausnahme des Kosmos Vogelführer sind sie in der Basisversion alle kostenlos.

Platz 5: NABU Vogelwelt

Orientierungshilfe bei der Vogelbestimmung: Die Einstiegsseite der NABU Vogel-App.

Herausgegeben vom Naturschutzbund Deutschland (NABU) und von den Nutzern bei GooglePlay heute mit durchschnittlich 3,8 von 5 möglichen Punkten bewertet. Zum Einstieg gut geeignet, enthält in der neuen Version Informationen zu 308 regelmäßig bei uns vorkommenden Vogelarten. Die kann man sich anhand der Bilder nach Gruppen (Gänse, Möwen, Falken..) anzeigen lassen, oder alphabetisch nach Artnamen (Alpenbraunelle, Alpendohle…) oder nach Gruppennamen.

Die Seite „Identifikation“ erleichtert die Bestimmung unbekannter Arten. Hier kann man Eigenschaften wie Größe, Umgebung (Habitat), Farbe von Gefieder oder Füßen, oder die Schnabelform jeweils unter mehreren Möglichkeiten anklicken, bis die Zahl der möglichen Vögel auf eine Handvoll geschrumpft ist. Die schaut man sich dann an und hat sehr gute Chancen, seiner Beobachtung einen Namen geben zu können. Die eigenen Sichtungen können samt der Zahl der Vögel erfasst und verschiedenen Orten zugeordnet werden – eine für „Birder“ unentbehrliche Funktion.

Für solche Apps eigentlich unentbehrlich ist die Suchfunktion. Nehmen wir an, Sie glauben, gerade einen Grünfink gesehen zu haben, tippen die ersten Buchstaben ein und landen auf einer Seite mit 5 Bildern, die Männchen und Weibchen darstellen, sowie ein Flugbild. Es folgt die Beschreibung von Aussehen, Verhalten und bevorzugtem Lebensraum; zudem einige Angaben zum Gesang und eine Verbreitungskarte. Sehr nützlich ist die Vergleichsfunktion, bei der man auf einen Blick die Unterschiede etwa zu einem Erlenzeisig oder Girlitz sehen kann. Wer mag, darf weitere Infos wie Tonaufnahmen der Vogelstimmen oder Videos einzeln dazukaufen, oder als Gesamtpacket, was dann aber schon 20 Euro kostet und angesichts der Leistungen anderer, kostenloser Apps eher eine Spende an den NABU darstellt.

Platz 4: NaturaList

Wer hat wann und wo welchen Vogel gesehen? Diese Infos liefert die App NaturaList

Optisch weniger ansprechend als die Konkurrenz, ist diese App eher für fortgeschrittene Vogelbeobachter gedacht, mit der aber auch alle anderen Tierarten erfasst werden können. Dazu muss man sich allerdings auskennen, denn eine Bestimmungsfunktion oder schöne Bilder sucht man hier vergeblich.

Dafür erlaubt die Vernetzung mit Datenbanken wie Ornitho.de es, die Beobachtungen von unterwegs dort automatisch zu speichern. Sie können dann anderen Birdern zugänglich gemacht werden und in wissenschaftliche Untersuchungen einfließen. Das funktioniert auch in die umgekehrte Richtung und dies ist für mich der größte Vorteil von NaturaList.

Nachdem ich mich auf der Webseite registriert und die bevorzugten Gebiete markiert habe, kann ich mir in der App anzeigen lassen, was die Kollegen in jüngster Zeit dort alles gesehen haben. Jede einzelne Beobachtung ist mit einer Ortsangabe versehen, und die wiederum wurde mit Google Maps vernetzt, sodass man sich auch routen lassen kann. Das ist eine sehr schöne Art, gute Beobachtungsgebiete zu entdecken und sie wird noch getoppt durch die Funktion „Rund um mich (selten)“ Ein Blick auf die aktuellen Einträge zeigt mir z.B. Prachttaucher, Eistaucher, Zwergsäger und einen Seeadler. Die Nutzer sind´s offenbar zufrieden: Durchschnittlich erhielt die App auf GooglePlay bisher eine Bewertung von 4,5.

Platz 3: Der Kosmos Vogelführer

Der Klassiker als App: Beschreibung des Wiedehopfs im Kosmos Vogelführer

Basierend auf dem gleichnamigen, meines Wissens besten Bestimmungsbuch für die Vögel Europas (aktuell für € 32 bei Amazon), eignet sich diese App durchaus als Ersatz für den Schmöcker. Sie ist nämlich mit € 14,99 nicht nur billiger, wiegt nichts, und ist per Handy immer am Mann.

Die Informationen zu 900 Arten Europas, Nordafrikas und Vorderasiens sind genauso hochwertig und vollständig wie im im Buch, die Qualität der gezeichneten Bilder ist eher noch besser (weil man sie vergrößern kann), und per Suchfunktion findet man seine Piepmätze zudem leichter und schneller. Auch eine gute Bestimmungsfunktion gibt es.  Die habe ich leider lange Zeit übersehen. 

Leicht zu übersehen: Die Bestimmungsfunktion des Kosmos Vogelführers steckt hinter dem rot markierten Symbol.

Mensch Michel! Man muss doch nur auf dem Startbildschirm oben das 2. Symbol von rechts antippen (siehe Bild).

Was noch bietet diese App? Für die meisten Vogelstimmen gibt es Tonaufnahmen inklusive. Videos werden als in-App-Käufe für extra Geld angeboten – die habe ich nicht getestet. Im Zweifel hilft eine sehr gute Vergleichsfunktion, und die gesehen Arten kann man auch in Listen speichern (Import/Export ist möglich).

Für den Austausch mit anderen Vogelfreunden ist diese App ungeeignet. Oder anders gesehen: Sie ist ideal für jene, die ihre Daten für sich behalten wollen. Ich benutze sie vorwiegend, als 2. Autorität, wenn ich mir nicht sicher bin, und als „Backup“ in Gegenden mit schlechtem Empfang, weil alle Funktionen auch offline verfügbar sind. Der durchschnittlichen Nutzerbewertung mit 4,5 von 5 Punkten kann ich mich durchaus anschließen. 

Platz 2: Merlin

Unter allen Apps macht diese hier am meisten Spaß. Sie hat mindestens 10 Mal so viele Bewertungen wie die vorherigen Apps und deren Drchschnitt liegt bei 4,7 von 5 möglichen Punkten! Entwickelt wurde Merlin vom Cornell Lab of Ornithology, der vielleicht besten wissenschaftlichen Institution für Vogelkunde weltweit. Die App ist hierzulande in deutscher Sprache verfügbar, im Gegensatz zu NABU Vogelwelt, NaturaList und Kosmos-Vogelführer funktioniert sie aber (mindestens auf englisch) auch in den USA, Kanada, Mexiko, in den Vogelparadiesen Mittel- und Südamerikas, sowie in Asien und Australien. Im Wesentlichen ist Merlin ein verdammt guter Assistent, der beim Bestimmen hilft. Er stellt dazu nur fünf Fragen:

  • Wo haben Sie den Vogel gesehen? Angenommen wird der aktuelle Standort, man kann aber auf der Karte auswählen.
  • Wann haben Sie den Vogel gesehen? Angenommen wird das aktuelle Datum, das man natürlich für zurückliegende Beobachtungen ändern kann.
  • Wie groß war der Vogel? Nun werden zum Vergleich mehrere bekannte Arten wie Spatz, Amsel oder Gans eingeblendet, zwischen denen man seine Sichtung einordnet.
  • Was waren die Hauptfarben? Nun wählt man bis zu 3 Farben aus 9 Möglichkeiten aus.
  • War der Vogel… (Auswahlmöglichkeit) fressend an Futterstelle, schwimmend oder watend, am Boden, in Bäumen oder Büschen, am Zaun oder Draht, kreisend oder fliegend?

Sofort präsentiert Merlin eine Liste mit Vorschlägen, allesamt bebildert, mit einer guten Beschreibung inklusive dem Gesang zum Anhören. Die Trefferquote ist sehr hoch, und wenn man nicht den richtigen Vogel findet, so liegt es meiner Erfahrung nach häufiger an falschen Antworten auf die Fragen als an der App. Ersteres lässt sich durch eine Korrektur leicht ändern, letzteres durch eine Rückmeldung mit einem Klick erledigen.

Einfach zu bedienen mit hohem Spaßfaktor: Merlin ist der beste Assistent, um Vögel zu bestimmen.

Ebenso faszinierend ist die zweite Möglichkeit, mit Merlin Vögel anhand von Fotos zu identifizieren. Dabei kommen offenbar Techniken der künstlichen Intelligenz und des Deep Learning zum Einsatz – also die Art von Erkennung, mit der China seine Bevölkerung überwacht. Hier aber ist der Zweck ein guter, und die Ergebnisse mindestens so gut wie mit dem Fragespiel. Selbst ziemlich unscharfe Bilder werden akzeptiert und meist richtig gedeutet. Wirklich toll! Bleibt nur das Problem, wie man die Bilder auf´s Handy kriegt, denn mit den eingebauten Kameras alleine wird´s schwer. Mögliche Lösungen sind: Kauft Euch ein Spektiv (also ein Fernrohr das speziell für die Vogelbeobachtung konstruiert wurde), und dazu einen Aufsatz, mit dem man das Handy hintendran schrauben kann. Eine große Auswahl dieser Teile findet ihr auf Amazon, aber lest die Bewertungen aufmerksam durch, denn nicht alles funktioniert so toll, wie es beworben wird. Inzwischen bieten auch viele Kameras die Möglichkeit, Bilder drahtlos aufs Handy zuschicken (ich benutze dafür eine Sony Alpha 6400, aber es geht auch billiger). Wenn Eure Kamera das nicht kann, funktioniert immer noch die 3. Variante: Ihr ladet Eure Bilder auf einen der Clouddienste wie Google hoch, und von dort wieder ´runter auf´s Handy.

Platz 1: eBird

Die Hotspots in meiner Nähe – eine von sehr vielen, sehr nützlichen Funktionen bei eBird.

Der Alleskönner wurde ebenso wie Merlin von den Profi-Ornithologen der Cornell University entwickelt, und die zwei Apps arbeiten auch prima zusammen (wenn man sich bei beiden angemeldet/registriert hat). Als kleinen Vorgeschmack würde ich die Homepage von eBird empfehlen, wo man einen ersten Eindruck von der Qualität dieses Projekts gewinnt. Einige wenige Infos sind bisher nur auf englisch verfügbar, die App ist aber längst eingedeutscht, sodass es hier keine Hürden mehr gibt. Sie wurde mehr als 100000 Mal heruntergeladen und von über 2000 Benutzern mit durchschnittlich von 4,1 von 5 möglichen Punkten bewertet.

eBird kombiniert die Freude am Beobachten und Entdecken mit einem freundschaftlichen und zwanglosen Wettbewerb. „Diese kostenlose Dienstleistung macht es einfach für Sie nachzuvollziehen was sie gesehen haben, während Sie zugleich die Daten der Wissenschaft, Ausbildung und Naturschutz zur Verfügung stellen“, heißt es in den Infos zur App.

In Form von Checklisten kann jeder Benutzer an jedem Ort eintragen, was er gesehen hat. eBird weiß, welche Vögel hier am häufigsten vorkommen, und setzt diese nach oben auf die Liste, die Seltenheiten weiter unten. Die Merkmale der Vögel, ihr Gesang, Verbreitungsgebiet etc. sind nur einen Knopfdruck entfernt; was auf Merlin identifiziert wurde, kann an eBird übergeben werden. Es gibt Ranglisten, wer wo die meisten Vögel gesehen hat, und – ganz toll – die Möglichkeit, sich Hotspots (also Gegenden mit besonders vielen Arten) anzeigen zu lassen. Dies funktioniert schon aus der App heraus ganz prima, und von der Webseite aus kann man damit einen Traumurlaub für Birder planen, so wie ich es gerade für Costa Rica getan habe. Zu jedem Hotspot findet sich die Gesamtzahl der gesehen Arten, und welche dort wann und von wem beobachtet wurden.

Mir macht es großen Spaß mit buchstäblichen Hunderttausenden Gleichgesinnter zu diesem wissenschaftlichen Projekt beizutragen, aus dem schon Hunderte von Veröffentlichungen hervorgegangen sind. Mit dem Datenschutz sehe ich übrigens keine Probleme. Man kann nämlich auch als „anonymer eBirder“ teilnehmen, und ob man ein Profil anlegt oder teilt ist jedem selbst überlassen. Also worauf warten Sie noch? Probieren Sie es aus und hinterlassen Sie gerne ihre Erfahrungen hier, oder wir treffen uns bei eBird.

GR 221 – 17. Lluc – Pollenca

Ab sieben Uhr erwachen die Schnarcher im Refugi Son Amer. Statt deren nächtlichen Geräuschen erfüllt nun das Gequietsche der Matratzen den Raum. Um acht Uhr gibt es das eher bescheidene Frühstück, und eine halbe Stunde später bin ich wieder im Wald. Es wird noch einmal eine ziemlich lange Etappe, allerdings ohne große Kletterpartien und auf vergleichsweise angenehmen Untergrund.

Gut 16 Kilometer laufe ich so unter 5 Stunden, 250 Meter bergauf und 700 bergab. Bin eher schnell, kann aber der Realität nicht entkommen. Muss ständig an die Opfer islamistischer Terroristen denken. Gestern in Stockholm, davor in London, und in Oslo wurde eine Bombe heute noch rechtzeitig entschärft. Ich dachte, wenn ich alleine laufe, könnte ich solche Gedanken besser ausblenden, und mich auf Landschaft und Natur konzentrieren, statt auf die Suche nach den Verantwortlichen. Doch das ist ein Irrtum. Bestimmte Dinge schleppe ich offenbar immer mit mir herum…

Erst nach der Hälfte der Etappe gelingt es mir, das Kopfkino zu stoppen. Ich lasse ich den Wald hinter mir und passiere schöne Fincas entlang des Torrent de la Vall d´en Marc. Bazillionen von Rennradfahrern auf der nahe gelegenen Ma-10 machen mir vor, wie man sich entspannt. Und dann, kurz vor dem Zielort Pollenca, scheint mir Mallorca wie zur Belohnung einen Vogel vorbei zu schicken, den ich bisher noch nie gesehen hatte: Ein Wiedehopf, der auf der Wiese nach Nahrung sucht. In Deutschland steht er mit wenigen hundert Brutpaaren auf der Roten Liste der gefährdeten Arten.

Im schönen Pollenca, das ich vor zwei Jahren erstmals besucht habe, endet der GR 221 an der letzten Herberge, der Refugi del Pont Roma. So zeigt es meine Wanderkarte mit Stand Februar 2017, so schreibt es die Wikipedia, und so steht es auch in der offiziellen, mit unseren EU-Beiträgen gesponserten Broschüre zum Trockenmauerweg.

Doch was ist das? Auf der Landkarte am Refugi geht die rote Linie einfach weiter. Nochmals 1,5 Stunden wären da zu laufen bis zum Meer nach Port de Pollenca. Und zwar zu 90 % direkt an der Landstraße, vorbei auch am Industriegebiet von Pollenca. Nicht zum ersten Mal fühle ich mich auf diesem Weg veräppelt. Das Consell de Mallorca weist das kurze Stück jetzt kurzerhand als 8. Etappe des Weges aus. Und von da ab bis zum Cap de Formentor ganz im Osten ist der Weg gemäß dieser Karte geplant. „In Planung“ sind auf dieser Karte aber auch vier weitere Abschnitte, die ich in den vergangenen 11 Tagen ohne Probleme gelaufen bin: Port d´Andraxt – Sant Elm, Sant Elm – Sa Trappa, Coll de Sa Gramola – Ses Fontahelles, und Valldemossa – Deiá !

Offiziell endet der Trockenmauerweg GR 221 in Pollenca. Laut diesem Schild geht´s aber noch weiter nach Port de Pollenca. (Copyright 2017, Michael Simm)

Wenn ich mir dieses Chaos anschaue, kann ich eigentlich nur den Kopf schütteln. Wie viel besser haben wir es doch daheim im Schwarzwald, wo fast jede Kreuzung sauber ausgeschildert ist, mit eindeutigen Wegmarkierungen, Entfernungsangaben, Haltestellen für Busse und Bahnen und natürlich dem Hinweis auf die nächste Wirtschaft!

Epilog: In Pollenca gab´s noch eine feine Dorade bei dem Italiener La Trencadora, den ich mit meiner Foursquare-App gefunden habe. Dann ging´s mit dem Bus zum Touristrand Platja del Muro, ins Sportlerhotel Viva Blue & Spa mit vergleichsweise günstigen Preisen. Überlegte kurz, ob ich mir ein Rennrad leihen sollte und entschied: Vielleicht ein anderes Mal. Freute mich stattdessen an der Poollandschaft, dem riesigen Frühstücksbuffet und dem quasi hinterm Haus gelegenen Parc Natural de s´Albufera mit erstaunlich vielen Wasservögeln. Stieg zwei Tage später in den Bus nach Palma, fuhr von dort zum Flughafen und von Basel mit den Bahn nach Hause.

Die Tour hier war gut, keine Frage. Mein Plan ist weitestgehend aufgegangen, das Projekt gelungen. Allerdings war die Aktion auch ziemlich teuer. Alleine zu reisen ist eben ein Luxus. Und so werde ich nach meiner Rückkehr wohl einige Zeit brauchen, um die Reisekasse wieder aufzufüllen. Derweil werde ich den Frühling und den Sommer in Baden genießen und sicher auch ein paar Touren machen, um die nähere Heimat zu erkunden…

GR 221 – 07. Sa Dragonera & mehr

Erneut genieße ich das üppige Frühstück und den freundlichen Service im Hostal Catalina Vera, arbeite ein wenig am Laptop und nehme dann den 10:50-er Bus nach Sant Elm. In Andraxt, wo ich umsteigen muss, kommt der Anschluss-Bus zu spät. Ich laufe durch die Gassen, suche und finde ein Taxi. Für 13 Euro geht es dann nach Sant Elm zur Bootsablegestelle. Nur um festzustellen, dass ich dort zeitgleich mit dem Bus ankomme, der offenbar just in dem Moment mit 20 Minuten Verspätung ums Eck kam, als ich mich auf die Suche nach dem Taxi machte…

So schaue ich in Sant Elm dem 11:45-Boot hinterher und habe an diesem Morgen nicht nur 13 Euro verloren, sondern auch wertvolle Zeit für mein Tagesziel, Sa Dragonera. Ich setzte um 12:15 über und zahle für eine Strecke, die man fast schon schwimmen könnte, wiederum 13 Euro. Nein, das letzte Boot zurück um 15:00 darf ich auch nicht nehmen, denn das ist schon voll, belehrt mich der gut gelaunte Abkassierer auf dem Boot. Ich bekomme ein Ticket für 14:30. Wieder ist eine halbe Stunde weg, sodass mir gerade noch zwei Stunden bleiben…

Dafür, dass ich mir das antue und unbedingt auf Sa Dragonera will, habe ich ein halbes Dutzend Gründe:

  1. Ich war noch nicht dort.
  2. Ich mag Inseln.
  3. Ich mag Naturparks – und dies ist einer von nur dreien auf Mallorca.
  4. Ich mag Tiere und ganz besonders Vögel – und hier soll es gleich mehrere seltene Vogelarten geben.
  5. Eigentlich gehört Sa Dragonera bereits zu dem Gebirge, das ich durchwandern will. Es ist sozusagen ein im Meer gelegener Vorposten der Serra de Tramuntana.
  6. Der Blick auf Sa Dragonera vom höchsten Punkt der gestrigen Wanderung war so umwerfend, dass auch dies meinen Wunsch bekräftigt hat, dort einen halben Tag zu verbringen.

Das Schicksal in Form eines unpünktlichen Busfahrers, unflexibler Bootstourenanbieter und strenger Zugangsregeln haben dann dafür gesorgt, dass der halbe Tag auf zwei Stunden geschrumpft ist.  Also runter vom Boot, rein ins Wärter-Häuschen und gleich den ersten Ranger dort gefragt, wo ich denn die besten Chancen hätte, einige der seltenen Vogelarten zu sehen?

Nun gibt es hier genau drei Wege: Einen kurzen und flachen zum nördlichen Leuchtturm, einen etwas längeren und flachen zum südlichen Leuchtturm, und den steilen Weg zum höchsten Gipfel mit seinen 386 Metern. Ja, ihr habt richtig geraten: Die beste Stelle zur Vogelbeobachtung sei dort oben, kurz unter dem alten Leuchtturm Faro Vell auf dem Gipfel, erklärte mir der junge Mann.

Ich hab´s versucht und schaffte doch nur drei Viertel der Strecke. Dabei war der Weg nicht zu verfehlen mit wunderschönen Ausblicken und im unteren Teil noch dazu einem Meer gelber Blüten.

Blick vom Puig de Far Vell auf der Insel Sa Dragonera zur nordwestlichen Küste von Mallorca (Copyright 2017 Michael Simm)

Was die Tierwelt angeht, so wurden laut Ranger an diesem Tag Eleonorenfalken gesichtet, Korallenmöwen, Gelbschnabelsturmtaucher, Balearensturmtaucher, sowie Mittelmeermöwen und Kormorane. Gesehen habe ich davon ca. 5000 Mittelmeermöwen und zwei Kormorane – beides Arten, die es auch daheim gibt, und die in die Kategorie „nichts besonderes“ gehören.

Zum Trost gab es gefühlt eine Milliarde Baleareneidechsen am Boden. Sie wuseln hier überall auch in den Ritzen der Steinmauern, erklimmen sogar Blumen und kleine Sträucher. Vor allem aber scheinen sie Mutproben zu mögen. Alle paar Schritte gab es welche die austesten wollten, wer gerade noch so unter meinen Sohlen durchwitschen konnte, ohne zerquetscht zu werden. Keine Sorge: Ich habe keine einzige platt gemacht.

Zwar habe ich auf Sa Dragonera weniger gesehen als erhofft, dennoch würde ich diese Insel unbedingt empfehlen und werde auch selbst einen zweiten Anlauf machen, sollte ich mal wieder in die Gegend kommen.

Wieder zurück in Sant Elm futterte ich eine Pizza bei Tigy´s, der zwar ordentlich und relativ preiswert ist, aber nicht so gut, wie die 8,4 Punkte in meiner Foursquare-App mich hoffen ließen. Die nächste Enttäuschung bereitete mir dann das Wassertaxi nach Port d´Andraxt, mit dem ich um 16:00 zurück wollte. Im Gegensatz zu meinem Bus am Vormittag kam es nicht zu spät. Sondern gar nicht.

So fand ich mich 75 Minuten später im gleichen Bus wieder wie am Vortag und wäre mit Umsteigen in Andraxt eine Stunde darauf im Hostal gewesen. Unzufrieden mit der Ausbeute des heutige Tages – um nicht zu sagen trotzig – habe ich mir dann aber spontan überlegt, dass ich doch lieber nach Hause laufen wollte. Und zwar nicht entlang der Straße Ma-1, sondern über die Serra de Binjorella östlich davon, wo auf meiner Wanderkarte ein verheißungsvoller Weg eingezeichnet war.

Dumm nur, dass mein Einstieg für diesen Weg am südlich von Andraxt gelegenen Coll Andrixtol nur über die Ausfallstraße in Richtung Peguera zu erreichen war. So musste ich zunächst jenseits der Leitplanken durch den Müll stapfen, den Touris und Einheimische hier reichlich hinterlassen haben. Wie üblich gab es keine Hinweisschilder, und erst im dritten Anlauf begriff ich, dass da, wo „Coll“ steht auch eine Erhebung gemeint ist.

Falls Euch also ebenfalls der Hafer stechen sollte und ihr es mir nachtun wollt: Der Weg geht vom höchsten Punkt der Verbindungsstraße rechts ab, ist ziemlich breit mit Anfangs weißem Untergrund, und schlängelt sich dann den Hang hoch in Richtung mehrerer Sendemasten. Wenn man ganz oben vor der verschlossen Tür des Geländes steht, liegt ein schmaler Weg links weniger Meter unterhalb, der durch ein wenig Kraxelei zu erreichen ist.

Ab hier wird es richtig schön. Man sieht zunächst südlich in der Ferne das Cap Andritxol, gerät dann aber auf die andere Seite des Hügels und schaut in das Tal zwischen Andraxt und Port d´Andraxt. Verfehlen kann man den Weg jetzt eigentlich nicht mehr; im Zweifelsfall folgt man den Spuren, die einige Mountainbiker hier hinterlassen haben. Kurz vor Port d´Andraxt kommt man durch Obstgärten in Richtung Straße und an dieser entlang die letzten paar Hundert Meter ans Wasser.

Für mich war´s damit dann auch mehr als genug für heute. Die morgige Tour von Sant Elm über Sa Trappa bis zur Wanderherberge Ses Fontahelles wird lang und endet offenbar in einem Funkloch. Außerdem gibt es dort nichts zu essen. Deswegen werdet ihr wohl bestenfalls übermorgen wieder von mir hören, wenn ich von Ses Fontahelles nach Estellencs gelaufen bin und in die Zivilisation zurückkehre. 

Lesefutter für Vogelfreunde

Unter vielen der Beste: Der neue Kosmos Vogelführer ist das einzige Buch, das Sie brauchen, um sämtliche bei uns vorkommenden Piepmätze zu bestimmen und außerdem alle Arten, die beim Urlaub in Europa, Nordafrika und Vorderasien an Ihnen vorbeifliegen, -wackeln oder -schwimmen könnten. 758 Arten auf 400 Seiten, mit mehreren Tausend Zeichnungen plus Verbreitungskarten ist dieser Schmöker die „Bibel aller Birder“, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung zu Recht urteilte.

Wo fliegen sie denn? Wer sich nicht damit begnügen mag, Vögel am winterlichen Futterhäuschen, am Ententeich im Park oder hinter Draht im Zoo zu beobachten, wird begeistert sein von der Kosmos Naturführer-Reihe „Vögel beobachten in…“. Ich habe mich von Christoph Moning und Christian Wagner mit „Vögel beobachten in Süddeutschland“ dazu verführen lassen, einige der „besten Beobachtungsgebiete zwischen Mosel und Watzmann“ aufzusuchen. In übersichtlichen Karten sind nicht nur Anfahrtswege und Parkmöglichkeiten dargestellt, sondern auch Rundgänge und Wanderungen mit exakten Markierung für jene Stellen, an denen es beispielsweise Eisvögel oder Neuntöter, Blaukelchen oder Beutelmeisen zu sehen gibt. Wer das Pech hat, nicht in Süddeutschland zu wohnen, braucht nicht traurig zu sein: Das Konzept war offensichtlich so erfolgreich, dass in kurzer Folge auch Bücher für den Rest von Deutschland vorgelegt wurden, nämlich „Vögel beobachten in Nordeutschland: Die besten Beobachtungsgebiete zwischen Sylt und Niederrhein“ und  „Vögel beobachten in Ostdeutschland: Die besten Beobachtungsgebiete zwischen Rügen und Thüringer Wald

Geadelt für seine Naturfilme: Sir David Attenborough (Foto: www.wildscreen.org, (c) 2003)
Geadelt für seine Naturfilme: Sir David Attenborough (Foto: www.wildscreen.org, (c) 2003)

Eigentlich wollte ich hier ja nur über den Glatzköpfigen Bülbül erzählen. Aber nachdem Sie mir nun schon so weit gefolgt sind, schreibe ich einfach weiter und lobe noch einen Menschen über den grünen Klee, der die für mich eindrucksvollste Doku-Serie über die Vogelwelt produziert hat: Was für die Deutschen Bernhard Grzimek ist der geadelte Tierfilmer Sir David Attenborough für Großbritannien und darüber hinaus.

Mit seinen unnachahmlichen, gleichermaßen liebenswerten wie lehrreichen Moderationen zu Filmaufnahmen auf höchstem technischen Niveau hat der mittlerweile 82-jährige sich eine riesige Fangemeinde erobert. Die schlechte Nachricht ist, dass Attenboroughs Werke in Deutschland (und auf deutsch) nur zum Teil erhältlich sind und dann oft nur zu überhöhten Preisen. So kostet das deutsche DVD-Set zur BBC-Reihe „Das geheime Leben der Vögel“ stolze 116 Euro. Nicht viel besser sieht es mit den Büchern zur Serie aus. „Das geheime Leben der Vögel“ wird wohl nicht mehr gedruckt und muss ebenso wie das englische Original „The Life of Birds“ z.B. bei Amazon indirekt über Zweitanbieter erworben werden.

Mein Tipp lautet daher 1. Abwarten und die TV-Zeitschrift studieren, bis einer unserer Staatssender sich bequemt, neben den Unmengen von Gebühren-finanziertem Müll auch Attenboroughs Vogel-Serie zu wiederholen. Dann mitschneiden und aufheben für einen schönen, lehrreichen und unterhaltsamen Familienabend. Und der zweite Tipp: Da es noch jede Menge andere Bücher und Filme (als DVDs) von David Attenborough gibt, suchen Sie sich diejenigen aus, die zu fairen Preisen angeboten werden. Meine Favoriten sind die DVD-Box „Verborgene Welten – Das geheime Leben der Insekten“ und das Buch „Das geheime Leben der Pflanzen„. Der dritte Tipp lautet: Lernen Sie englisch und genießen Sie Attenborough im Original. Oder umgekehrt: Genießen Sie Attenborough im Original und lernen Sie dabei englisch. Am besten und – im Vergleich zu den obigen Angeboten – auch noch äußerst preiswert geht das mit: „David Attenborough: The Life Collection„. Die von der BBC veröffentlichte Sammlung von Meilensteinen des Naturfilms umfasst auf 24 DVDs acht von neun „Life“-Serien Attenboroughs, nämlich Life on Earth (1979), The Living Planet (1984), The Trials of Life (1990), Life in the Freezer (1993), The Private Life of Plants (1995), The Life of Birds (1998), The Life of Mammals (2002) und Life in the Undergrowth (2005). Es fehlt lediglich die jüngste Produktion „Live In Cold Blood“ über Amphibien und Reptilien und die ist – sorry Sir David – zwar ebenfalls gut, aber für mich längst nicht so toll wie die Vögel-, Pflanzen- und Insektenserie.

Vogelparadies Wagbachniederung

Fast fünfzig Vogelarten in nur fünf Stunden gesehen – das war die Bilanz unserer ersten Expedition nach Waghäusel im März. So begeistert waren Andi, Ralph und ich, dass wir gelobten, gleich zu Beginn der Brutzeit nochmals dorthin zu fahren – und am vergangenen Karfreitag war es dann soweit. Diesmal haben wir fast das gesamte Naturschutzgebiet der Wagbachniederung umrundet, dabei eine Strecke von etwa zehn Kilometern zurück gelegt – und wurden erneut reichlich belohnt.

Mindestens zwei Purpurreiher (Ardea purpurea) waren unterwegs, einen davon konnten wir ausgiebig beim Nestbau beobachten. Als stark gefährdet wird dieser prächtige Vogel in der Roten Liste der seltenen Arten geführt und auf meiner Liste war er in diesem Jahr die 160ste Art. O.k., ich geb´s zu: etwa die Hälfte davon habe ich in Costa Rica gesehen. Aber auch Deutschland hat für „Birder“ viel zu bieten. Und so macht mein „Big Year-Projekt„, bei dem ich mir vorgenommen habe, möglichst viele verschiedene Spezies in diesem Jahr zu sehen, weiter Fortschritte. So konnte ich am vergangene Wochenende auch das Blaukehlchen (Luscinia svecica) der Liste hinzu fügen, und hier ist der Beweis:

Was will uns dieser Vogel sagen? Egal – es ist ein Blaukehlchen!

Keine Angst, ich werde hier nicht erneut die komplette Artenliste aufführen, diese Form der Buchhaltung habe ich nämlich inzwischen auf ornitho.de verlagert, eine wirklich großartige Webseite für ehrgeizige Vogelbeobachter, komplett mit Verbreitungskarten und den Sichtungen von bald 9000 Mitwirkenden, die man sich sogar nach Regionen filtern lassen kann. Ein tolles Projekt, bitte weiter so!

Zurück in die Wagbachniederung, dem Naturschutzgebiet und Vogelparadies bei Waghäusel: Schön zu sehen waren hier ein gutes Dutzend Kiebitze (Vanellus vanellus) im Balzflug: Hoch hinaus und dann im Sturzflug Richtung Wasseroberfläche, wo sie haarscharf die Kurve kratzten und das nächste Manöver flogen. Tja, was tut Mann nicht alles, um die Weibchen zu beeindrucken. Ganz sicher waren wir uns nicht bei einigen Watvögeln (Limikolen), haben uns dann aber auf Kampfläufer (Philomachus pugnax) geeinigt, die hier offenbar auf der Durchreise waren.

Unter den Greifvögeln waren diesmal zwei Schwarze Milane (Milvus migrans) am Himmel zu sehen, von denen einer im Flug seine Beute verspeist hat, außerdem ein Pärchen Rohrweihen (Circus aeruginosus). Wer auf Gänse und Enten steht, bekam am Karfreitag ebenfalls wieder das volle Programm geboten: Graugänse (mit den ersten Jungen!), Kanadagänse sowie eine Streifengans (Anser indicus) und eine Nilgans (Alopochen aegyptiacus), beides sicher die Nachkommen von Gefangenschaftsflüchtlingen sowie neben den häufigeren Arten auch Knäk-, Krick– und Kolbenenten.

Den ersten Kuckkuck der Saison habe wir ebenfalls am Karfreitag in der Wagbachniederung gehört, und pflichtgemäß wollten wir zudem vermelden: Der Sommer ist da. Denn auch wenn eine Schwalbe noch keinen Sommer macht, die etwa 20 Rauchschwalben (Hirundo rustica), die wir gesehen haben lassen keine Zweifel zu: Die kalte Jahreszeit ist vorbei.

Und wie geht´s weiter? Gleich ergänze ich die Liste der in Waghäusel gesehenen Arten bei der Encyclopedia of Live. Und ich freue mich an dem Fernglas meines Vaters, das meine Mutter mir als schönstes Osterei gestern mit auf den Weg gegeben hat. Das Zeiss 8×20 B ist ein Klassiker und schlägt um Längen die Billigoptik, mit der ich mich bislang zufrieden geben musste. Erst vor wenigen Stunden habe ich mit dem kompakten neuen Fernglas mein erstes Schwarzkehlchen (Saxicola rubicola) erspäht, fast direkt vor der Haustür hier in Ichenheim (Neuried). Mit der Erfahrung wächst die Begeisterung und jetzt, wo der sportliche Ehrgeiz geweckt ist, reizt mich auch das Birdrace, bei dem es bundesweit am 5. Mai darum geht, wer die meisten Vogelarten zu Gesicht bekommt. Das wäre doch gelacht, wenn Andi, Ralph und ich nicht mindestens… (Fortsetzung folgt)

Entdeckt: Haarvogel mit Glatze

Wie bereits erwähnt bin ich gerade dabei, meine Webseiten neu zu sortieren. Aktuell verbringe ich einen Teil meiner Freizeit mit der Vogelbeobachtung und was dabei so ´rauskommt konntet Ihr ja bereits in den letzten paar Beiträgen lesen. Statt nun wieder über den Euro zu schimpfen oder Gauck zu loben, wie es meiner sprunghaften Natur entspräche, will ich erst einmal beim „Birding“ bleiben. Ich gestehe, dies auch in der Hoffnung zu tun, hier noch ein paar mehr Vogelfreunde anzuziehen und eine gewisse „kritische Masse“ zusammen zu bringen. Nun also weiter mit dieser Meldung, die ich von meinem Blog hierher umgezogen und dabei gleichzeitig mit einem Update versehen habe:

Erst wusste ich nicht so recht, ob ich diese Meldung überhaupt aufgreifen sollte. Andererseits gibt es eine Entdeckung zu vermelden (siehe Untertitel), ich bin ein Vogelfreund, freue mich immer wieder an der Vielfalt der Natur im Allgemeinen und an neu entdeckten Arten im Besonderen. Und dann sieht dieser Piepmatz auch noch ziemlich lustig aus und hat ebenso wie ich kaum noch Haare auf dem Kopf. Dass der Glatzkopf zur Familie der Bülbüls gehört, die auch Haarvögel genannt werden, passt wie die Faust auf´s Auge, also gebe ich hier wieder, was die englischsprachige Pressemitteilung der Wildlife Conservation Society hergibt:

Entdeckt wurde die neue Vogelart von Forschern eben dieser Wildlife Conservation Society (WCS) und der Universität Melbourne in einer selten besuchten, kargen Waldregion in Laos. Es sei der einzige kahle Singvogel auf dem gesamten asiatischen Kontinent, so die WCS. „Diese Entdeckung macht wieder einmal deutlich, wie viel es noch auf der ganzen Welt zu lernen gibt“, freute sich der WCS-Direktor für Asien,  Colin Poole. Der etwa Amsel-große Vogel hat ein grünlich-olives Gefieder und eine hell gefärbte Brust, ein charakteristisches federloses pinkfarbenes Gesicht, und um die Augen eine blau gefärbte Haut, sowie auf dem Scheitel eine schmale Linie haarähnlicher Federn. „Trotz seiner auffälligen Verhaltensweise und Rufe ist dieser Vogel unbemerkt geblieben, weil er in einer für Menschen wenig reizvollen Umgebung lebt“, vermutet Mitentdecker Iain Woxvold von der Universität Melbourne.

Noch hat das Tier keinen offiziellen wissenschaftlichen Namen, doch die vorläufige englische Bezeichnung könnte man mit „Kahlgesichtiger Bülbül“ übersetzen. Ich fände Glatzkopf-Bülbül aber viel passender. Also wenn dies einer jener deutschen Ornithologen lesen sollte, die bei der Namensgebung mit entscheiden dürfen, bitte ich hiermit um Beachtung meines Vorschlages.

nicht gerade eine Schönheit – die neu entdeckte Art aus der Familie der Haarvögel (Foto: Iain Woxvold, University of Melbourne)

Aktualisierung vom 23.3.2012. An der Abstimmung, die ich im Sommer 2009 auf meinem Blog gemacht habe, haben sich ganze 23 Personen beteiligt. Inklusive zweier nicht ganz ernst gemeinter Vorschläge ergab sich dabei folgendes Bild:

Mein Vorschlag wurde also mit relativer Mehrheit angenommen. Doch ob die deutschen Ornithologen sich inzwischen auf einen Namen geeinigt haben, weiß ich nicht. Im Englischen blieb es jedenfalls beim „Bare-faced Bulbul“ und der für Alle Fachleute verbindliche lateinische Name lautet Pycnonotus hualon. Die meisten Informationen über diese Art habe ich noch bei BirdLife International gefunden, doch ist dieser Eintrag – ebenso wie der bei Wikipedia leider nur auf englisch verfügbar. Nebenbei habe ich dann auch noch versucht, eine belastbare Zahl zu finden, wie viele Vogelarten es überhaupt gibt. „Um die 10000“, war die beste Antwort, die ich finden konnte. Und die Erklärung für eine solch ungenau Angabe lautet, dass verschiedene Systeme der Klassifizierung nebeneinander existieren und dass – natürlich – die Forschung immer weiter geht. Ich bin jedenfalls bei meinem „Big Year“-Projekt inzwischen bei exakt 150 verschiedenen Arten angekommen, die ich in diesem Jahr (2012) gesehen habe: 76 davon in Deutschland, 76 in Costa Rica und zwei davon (Graureiher und Silbereiher) in beiden Ländern. Jetzt warte ich auf die erste Schwalbe, denn der Frühling ist – gefühlt und kalendarisch – bei uns im Badischen schon seit Tagen angekommen…

Power-Birding bei Waghäusel

Verzeihung erst Mal für den „reißerischen“ Titel. Aber auch wenn die echten Profis unter den Vogelguckern & Birdern angesichts meiner Beobachtungen nur müde lächeln können, so bin ich doch absolut begeistert von der Vielzahl an Arten, die ich gestern binnen nur fünf Stunden in der Wagbachniederung gesehen habe, einem Naturschutzgebiet nahe bei Waghäusel. Laut der Infoseite von birdinggermany.de brüten dort 96 Arten und insgesamt wurden schon etwa 250 beobachtet. Immerhin ein Fünftel all dieser Arten bei nur einem einzigen Halbtagesausflug zu sehen – darauf bin ich schon ein wenig stolz. Danke an dieser Stelle Ralph für´s Mitnehmen und Andy für das Know-How und das großzügige Teilen Deines Super-Spektivs.

Das Gebiet ist absolut flach und daher leicht zu begehen, lediglich der Anfang des Weges ist oft etwas matschig. Dafür gibt es in der Wagbachniederung aber auch zwei Beobachtungsstände, was die Sache vor allem bei schlechtem Wetter angenehmer macht. Was wir gesehen haben? Ich beginne mit jenen Arten, die ziemlich selten sind und daher bei einer Sichtung die wohl größten Glücksgefühle auslösen: Ein Schwarzhalstaucher (Podiceps nigricollis), ein Raubwürger (Lanius excubitor), fünf Singschwäne (Cygnus cygnus) sowie eine ziemlich komplette Sammlung an Enten, als da wären: Schnatterente (Anas strepera), Löffelente (Anas clypeata), Krickente (Anas crecca), Tafelente (Aythya ferina), Pfeifente (Anas penelope), Spießente (Anas acuta), Knäkente (Anas querquedula) sowie die auch anderswo sehr häufige Reiherente (Aythya fuligula) und natürlich die Stockente (Anas platyrhynchos).

Weiter mit den Wasservögeln: Eher selten ist wohl auch der einzelne Zwergtaucher (Tachybaptus ruficollis), den wir gesehen haben, wogegen ich eigentlich mehr Haubentaucher (Podiceps cristatus) erwartet hätte als das einsame Pärchen, das hier Anfang März bereits die ersten Balzbewegungen einübte. Dazu kamen vier Kiebitze (Vanellus vanellus) und natürlich gab es jede Menge Höckerschwäne (Cygnus olor) und Blässrallen (Fulica atra), die wohl eher unter ihrem alten Namen „Blässhuhn“ bekannt sein dürften.

In diesem Naturschutzgebiet lebt auch eine Kolonie von Kormoranen (Phalacrocorax carbo) und unter den Gänsen sahen wir neben Graugänsen (Anser anser) und Kanadagänsen (Branta canadensis) vergleichsweise viele Nilgänse (Alopochen aegyptiaca). Letztere sind die Nachkommen von Gefangenschaftsflüchtlingen, die sich ja auch im nicht weit entfernten Karlsruhe am Rhein und in Heidelberg am Neckar breit machen. Über uns flogen so an die 30 Lachmöwen (Larus ridibundus) und unter den Singvögeln waren vielleicht auch wegen ihres frühen Auftretens im Jahr noch bemerkenswert zwei Heckenbraunellen (Prunella modularis), ein Zilpzalp (Phylloscopus collybita), eine Bachstelze (Motacilla alba), eine Schwanzmeise (Aegithalos caudatus) und große Scharen von Wacholderdrosseln (Turdus pilaris).

An Greifen sahen wir paar Mäusebussarde (Buteo buteo) und einen Sperber (Accipiter nisus), Reiher gab es dagegen zu unserer Verwunderung keine – die waren an diesem Tag wohl lieber entlang der Autobahn unterwegs. Ein schöner und ergiebiger Ausflug war es natürlich trotzdem, mit insgesamt 45 Arten, die ich inzwischen auch bei der Encyclopedia of Live als Sammlung „Birding in Waghäusel“ organisiert habe. So habe ich einerseits ein Protokoll und gleichzeitig können Birder aus anderen Ländern sich auch ohne deutsche Sprachkenntnisse anhand der Bilder einen Überblick verschaffen. Einen Umweg lohnt das nicht weit von Heidelberg und Karlsruhe entfernte Vogelparadies auf jeden Fall. Und ich konnte meinem Big-Year-Projekt gleich 13 neue Arten hinzu fügen, sodass der Zähler nunmehr auf 135 steht. In ein paar Wochen, wenn die ersten Zugvögel da sind, schauen wir wieder vorbei…

Weitere Informationen:

  • Bei HD-Birding können angemeldete Benutzer ihre Beobachtungen von Vögeln in ganz Nordbaden melden.
  • Auf ornitho.de habe ich mich auch gerade angemeldet. Diese Webseite soll „einen aktuellen Überblick über das vogelkundliche Geschehen in Deutschland und Luxemburg geben und im Verbund mit anderen ornitho-Systemen in einen europäischen Zusammenhang stellen. Es soll darüber an der Vogelwelt Interessierte zusammenführen, Menschen für die Avifaunistik begeistern und die Umweltbildung unterstützen. Die in ornitho.de versammelten Daten werden in geprüfter Form für wissenschaftliche Auswertungen bereitgehalten und im Sinne des Naturschutzes eingesetzt.“ – Und das gefällt mir!