Abschluss der Welterbe-Tour

Hintergrund: Im Mai 2023 habe ich mir ein Deutschlandticket gekauft, und war damit unterwegs, um auf meiner großen Tour sämtliche einheimischen Welterbe-Stätten zu besuchen.

Inzwischen ist mehr als ein Jahr vergangen, und ich habe mein Ziel zu 98 % erreicht. Die einzige deutsche Welterbe-Stätte, die noch fehlt, ist die Weissenhofsiedlung in Stuttgart, die als Teil der „Architektur der Moderne“ seit 2016 zum UNESCO-Welterbe gehört.

Da ich aber zusätzlich noch in Schwerin war, und das dortige Residenzensemble just (am 27. Juli 2024) als UNESCO-Welterbe ausgezeichnet wurde, habe ich 52 von 53 besucht. Damit bin ich sehr zufrieden, und Stuttgart werde ich bestimmt bald nachholen.

Mein neustes Projekt ist eine spezielle Art der Pilgerreise, und in diesem Rahmen folgt gleich der nächste Beitrag mit Wissenswertem über die Weinbergschnecke.

Bahn frei zur Großen Deutschland-Tour

So Freunde. Es ist soweit. Nach diversen Ärgernissen habe ich rechtzeitig zu Beginn des Monats mein Deutschlandticket erhalten. Die ersten 10 Fahrten mit Bus und Bahn nahe meiner Wahlheimat Offenburg haben allesamt geklappt, zwei Mal auch mit Fahrradmitnahme. Und die einzige Verspätung (von 13 Minuten) kam mir gerade recht, weil ich dadurch einen Zug noch erreicht habe, der sonst buchstäblich abgefahren wäre.

Und jetzt? Natürlich ärgere ich mich über den Streik der Bahn-Gewerkschaft. Nicht nur wegen Zugausfällen, sondern auch, weil ich deren Forderungen absolut überzogen und unsolidarisch finde. Wie immer wird man am Ende der Erpressung nachgeben. Und dann dürfen die Steuerzahler die Zeche übernehmen (und natürlich die Kunden, mit höheren Ticketpreisen).

Zum Glück habe ich kürzlich die Selbstbetrachtungen des Marc Aurelius gelesen. Der alte Römerkaiser hat schon vor fast 2000 Jahren erkannt, dass die ganze Aufregung ja ´eh nichts bringt, und er lehrt, dem Leben mit heiterer Gelassenheit zu begegnen. Und das heißt für mich: Bahn-Ärger hin oder her – ich werde mein Deutschlandticket ausreizen und genießen.

Natürlich kann der Michel nicht einfach so losfahren und sich überraschen lassen. Nein, er muss einen möglichst grandiosen Plan machen und seiner Liebe zum Enzyklopädischen frönen. Das Ergebnis ist der Entschluss, mit dem Deutschlandticket meine Heimat „komplett“ zu bereisen, und möglichst alles „Wichtige“ zu sehen.

Bei der Zusammenstellung habe ich mich an Leuten orientiert, die Ahnung haben. Also in meinen nicht wenigen Reiseführern und Lexika geschmökert, mein Textarchiv konsultiert und natürlich auch die Wikipedia und Google befragt. Und um dem Ganzen auch noch ein sportliches Element zu verleihen, habe ich versucht, eine Rundreise zu  entwerfen, die mit möglichst wenigen Kilometern alles abdeckt.

Für Insider: es geht hier um das „Problem des Handelsreisenden„. Start und Ziel sind gleich, alle anderen Orte werden nur einmal besucht, und die gesamte Reisestrecke soll so kurz wie möglich sein. Auf Papier bin ich mit meiner Lösung schon ziemlich weit, und eine Landkarte habe ich ebenfalls gebastelt. Hier sind allerdings in einem ersten Schritt nur die ersten 15 Top-Sehenswürdigkeiten (UNESCO-Welterbe) verzeichnet. Ich habe nämlich beschlossen, einfach mal loszufahren, statt immer nur zu planen. Den Rest ergänze ich dann von unterwegs, anhand meiner Recherchen vor Ort und gerne auch mit Euren Vorschlägen:

 

Ichenheim – Mein neues Leben im Ried

Ich habe es getan: Der nunmehr zehnte Umzug meines Lebens liegt (größtenteils) hinter mir und mit der Ummeldung bin ich seit dem 1. Januar 2011 nun auch offiziell ein Ichenheimer. Inspiriert von zweien meiner Lieblingsbücher und voller guter Vorsätze habe ich beschlossen, diese Herausforderung anzunehmen, die Kunst des Reisens auch in der neuen Heimat zu praktizieren und von der Schönheit des Guten zu berichten – auch wenn es mich ganz schön nervt, dass ich hier Internet-mäßig offenbar am A…… der Welt gelandet bin.

Ichenheim ist der bislang kleinste Ort, an dem ich gelebt habe und der erste, der in meinem Lieblingslexikon Encyclopedia Britannica nicht erwähnt wird („Sorry, we were unable to find an exact match“). Nein, ich habe nicht Hildesheim gemeint und auch nicht Rüdesheim!

Selbst die Wikipedia befindet meine neue Heimat offenbar nicht würdig für einen eigenen Eintrag. Und wer jetzt schon ´mal in seinen großen Weltaltlas zu suchen beginnt, wird wahrscheinlich ebenfalls nicht fündig – es sei denn, das Teil ist mindestens 37 Jahre alt. Das liegt nicht etwa daran, dass Ichenheim eine Geisterstadt wäre. Vielmehr wurde der Ort am 1. Januar 1973 ein Opfer der baden-württembergischen Gemeindereform. Zusammen mit Altenheim, Dundenheim, Müllen und Schutterzell wurde Ichenheim an diesem Tag zum Ortsteil der Großgemeinde Neuried degradiert – und verschwand damit von zahlreichen Landkarten. Dies ist auch der Grund, warum mich mit dem Navi, dem Tripadvisor oder -zig anderen nützlichen Einrichtungen keiner findet: Wer „Ichenheim“ statt „Neuried“ eingibt bekommt lediglich eine Fehlermeldung.

Schade eigentlich, denn auch wenn Ichenheim mit seinen aktuell 2870 Einwohnern nicht gerade der Nabel der Welt ist, so gibt es „im Ried“ doch einiges zu entdecken. Früher wurde hier vorwiegend Tabak für Roth-Händle & Co angebaut und noch immer ist Neuried eine der größten Tabakanbaugemeinden Deutschlands. Weil aber heute kaum einer mehr ungestraft rauchen darf und weil sogar die EU ihre Subventionen für das tödliche Kraut nach jahrelangem Gezeter auslaufen lies, haben die hiesigen Bauern flexibel reagiert. Jetzt versperren sie uns im Sommer mit Maisfeldern die Sicht, die das Rohmaterial für ökologisch völlig unsinnigen Biosprit liefern und die natürlich ebenfalls subventioniert werden. Grummel. Und nun zurück zum Thema – Michel!

Gleich hinter den Maisfeldern liegt im Westen der Rhein mit seinen stillen Altwassern und Seegraswiesen, umgeben von oft dichtem Unterholz und bewohnt von zahlreichen Vogelarten. Pflanzenfreunde dürfen sich an allerlei Sumpfgewächsen und den gelegentlichen Orchideen freuen, und auf den vielen Streuobstwiesen könnte man das halbe Jahr über Äpfel, Birnen, Kirschen, Pflaumen oder Mirabellen klauen – wenn das nicht verboten wäre und wenn nicht all die feinen Früchtchen für das Obstwasser gebraucht würden. Diese Landschaft ist dem 20 Kilometer entfernten Taubergießen recht ähnlich, wenn auch weitaus weniger Besucher hierher finden.

Am schönsten erlebt man den Altrhein mit dem Kanu, das Eingeweihte z.B. in der Rheinstraße in Ottenheim ins Wasser lassen. Von dort dümpelt man dann gemütlich westlich an Meißenheim vorbei, um nach einer Rast am Ichenheimer Anglerheim mit ein oder zwei kurzen Umtragungen weiter zu paddeln hinter Altenheim vorbei bis knapp südlich der dortigen Rheinbrücke (eine genauere Beschreibung gibt es z.B. bei Kanu-Wolf unter „Ottenheimer“).

Erfrischung ohne Kanu bieten nahe gelegene Baggerseen, wie z.B. der bei Tauchern sehr beliebte Matschelsee an der B36 in Richtung Lahr oder der Blattsee, die allerdings beide in Privatbesitz sind und deren Zugänglichkeit daher schwankt.

Verhungern muss in Ichenheim auch keiner. Gut geschmeckt hat es mir im vorwiegend vegetarisch orientierten Löwen (Hauptstr. 40), der allerdings nur an Mittwoch- und Donnerstagsabenden geöffnet hat(!). Schräg gegenüber gibt es den nur Montags geschlossenen Schwanen, der auf seiner langen Speisekarte ökologisch korrekt vorwiegend regionale Gerichte aus einheimischen Zutaten anpreist, und zwischen Löwen und Schwanen liegt der Prinzen, wo ich trotz Fastnachtstrubel auch schon ein ordentliches Schnitzel gekriegt habe.

Da wir nun schon mal in Downtown Ichenheim sind, will ich auch die katholische Kirche erwähnen, die 1822 von Hans Voss im Weinbrenner-Stil erbaut wurde. Heute wird die Kultur nicht nur von dem Verein „Läwe im Lewe“ gepflegt, sondern es gibt hier wie auch in den benachbarten Ortschaften eine sehr lebendige und m.E. unterschätzte Künstlergemeinde (z.B. die Malerin Ellen Vetter oder mein (nun ehemaliger) Nachbar, der Fotograf Jürgen Rudolf, sowie die aus Altenheim stammende und heute in Prag tätige Birgitt Fischer).

 

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