GR 221 – 10. Estellencs – Banyalbufar

Nach der gestrigen „Route der Steinmännchen“ von Ses Fontahelles bis Estellencs bin ich froh, heute nur eine leichte Etappe vor mir zu haben. Zwar verliere ich dadurch den Anschluss an Sandra, Martin und Tim, die heute etwa doppelt so weit laufen wollen. Dafür brauche ich aber keinen Wecker zu stellen, kann am Morgen noch ein paar Mails erledigen und bin nach der Ankunft in Banyalbufar so erholt, dass ich noch einen Stadtrundgang, ein fettes Törtchen und natürlich ein gemütliches Bierchen einschieben kann. Dazu noch die wenig beeindruckende Statistik, heute ´mal vorne weg: 6,5 Kilometer mit 328 Höhenmetern in 2:12 Stunden.

Die Route hat heute einen ganz anderen Charakter als gestern: Es ist keine Steinwüste mehr sondern man bekommt Ausblicke auf die vielen Terrassen -natürlich in Trockenbau aus Steinen aufeinandergesetzt. Dann folgen hauptsächlich Waldwege, wie meine geschundenen Knie dankbar registrieren.

Erst muss man zwar stadtauswärts wieder zwei Mal an der ungeliebten Straße Ma-10 entlang. Dann aber geht es rechts bergauf und am Wegesrand gibt es erst Zitronen- und dann jede Menge uralte Olivenbäume zu sehen, die in einem Wettbewerb um die knorrigsten Figuren zu stehen scheinen.

Knorrige Olivenbäume am Wegesrand (Copyright 2017, Michael Simm)

Nach den ersten 1,5 Kilometern läuft man zumeist im Schatten, wobei die kleinen Palmen hier dem Ganzen schon fast einen subtropischen Charakter verlieren. Zum Glück ist die Temperatur viel angenehmer. An diesem 1. April sind es 16 Grad bei bedecktem Himmel. Im Gegensatz zu vielen anderen Strecken dürfte es hier im Sommer ganz gut auszuhalten sein. Erst der letzte Kilometer ist dann wieder so ein Kniekiller; steil und steinig geht es bergab zum Zielort Banyalbufar.

Es hätte schlimmer kommen können. Bis ins vorige Jahr hinein mussten gesetzestreue Wanderer nämlich einen Großteil der Strecke auf der Straße laufen. Ein Rechtsstreit mit dem Besitzer der Finca Es Rafal hatte seit 2004 den freien Durchgang verhindert, entnehme ich dem Mallorca-Magazin. Erst als zahlreiche Zeugen bekundeten, dass dieser uralte Weg schon immer frei und öffentlich gewesen sei, fällte das Gericht in Palma sein Urteil zugunsten der Wanderfreunde und der beiden Nachbargemeinden, die bis dato wegen des eigensinnigen Finca-Besitzer auch Umsatzverluste beim Tourismus hinnehmen mussten.

Als wollte man diesen Sieg gebührend feiern ist die heutige Etappe die erste mit duchgehender Beschilderung. Mit anderen Worten: Man bräuchte nicht einmal eine Wanderkarte. Ich finde, das sollte für einen offiziellen Fernwanderweg ebenso selbstverständlich sein, wie für jede x-beliebige Autobahn. 

Damit genug gebruddelt für heute. Lieber noch etwas Klugschisserei: Der Name Banyalbufar entstammt laut meinem Reiseführer dem maurischen und bedeutet „Der kleine Weingarten am Meer“, wobei dieser Garten mit seinen rund 2000 Terrassen noch immer mithilfe eines uralten Systems aus Zisternen und gemauerten Kanälen bewässert wird. Früher wurde hier der Malvasier-Wein angebaut, über den die Wikipedia schreibt: „Dieser Wein war nicht umsonst am Hofe der Könige von Aragón bevorzugt, für Jaume I. soll es mit ein Grund gewesen sein, die Insel zu erobern.“

Banyalbufar am GR 221 auf Mallorca: 552 Einwohner teilen sich etwa 2000 Steinterrassen (Copyright 2017, Michael Simm)

Probieren geht über studieren, denke ich mir. Checke ein im Hostal Baronia, das mit seiner genialen Sonnenterrasse just am heutigen Tag, dem 1. April aufgemacht hat. Ich schaue den Mehlschwalben zu, die zeitgleich mit mir eingetroffen sind. Und ich lasse mich trotz einiger weiterer Optionen im Ort dazu überreden, auch im Hostal zu Abend zu essen. Ein gutes Argument sind 13 Euro für das 3-Gänge-Menü. Da bleibt noch genug Geld für eine Halbliterflasche mallorquinischen Wein. Der „Son Bordils Negre“, Jahrgang 2010 aus dem 40 Kilometer entfernten Inca ist dunkel wie Stierblut, intensiv und powert ohne Ende.

Dem Wein verdanke ich es auch, dass ich in meiner doch eher kalten Kemenate mit ihrer schwachbrüstigen Heizung die Nacht gut überstehe, und tags darauf die nächste kleine Etappe nach Esporles frohen Mutes in Angriff nehmen kann...

GR 221 – 09. Ses Fontahelles – Estellencs

Den Wecker hätte ich heute nicht zu stellen brauchen, denn der Hahn war schneller. Immerhin war der Gockel ziemlich nah dran an der gewünschten Weckzeit von 7:00. Zum Frühstück um 7:30 hatte man uns ermahnt, pünktlich zu sein, sonst wäre der Kaffee kalt. Das haben wir denn auch gleich verstanden, als wir im schönen, aber unbeheizten Frühstückssaal vor unseren Brötchen saßen. So schafften wir lässig den Check-Out-Termin von 9:00 und – weil ich ja einen Ruf als Eigenbrödler zu verlieren habe – ließ ich Sandra, Martin und Tim schon ´mal den Berg hinauf kraxeln.

Inklusive einer kleinen Variante über den 928 Meter hohen Gipfel Mola de s´Esclop  („Der gewaltige Holzschuh“) würden mich heute 15 Kilometer Distanz und 890 Höhenmeter erwarten, entnahm ich der GR 221-Wanderkarte. Etwa ein Viertel davon ist als Bergpfad / Wandersteig ausgewiesen, und laut unserem Gastgeber würde uns dort eine Steinwüste erwarten, in der die Orientierung schwer fällt. Vor meinem geistigen Auge sehe ich mich schon den Kollegen hinterher hecheln, und bin gespannt, wie ich das durchstehe.

„Im Frühtau zu Berge“ will ich noch schnell auf Facebook posten, um mir Mut zu machen und Zuspruch von meinen Freunden einzuholen. Dumm nur, dass unsere Herberge ja in einem Funkloch liegt, wie ich mich erinnere. Also los. Steil bergauf, 600 Höhenmeter auf den ersten beiden Kilometern. Relativ schnell verschwindet der Pfad unter Geröll, und spätestens jetzt bin ich den Mallorquinern dankbar für ihre Steinmännchen.

Wo ist das Steinmännchen? Die Orientierung ist diesem Gelände wäre ohne diese Markierungen noch schwieriger (Copyright 2017, Michael Simm)

Besser als jedes Schild funktionieren die kleinen Pyramiden hier oben, und alle paar Schritte freue ich mich, 30 Meter weiter den nächsten zu sehen. So geht das etwa eine Stunde lang. Zwischen zwei Gattern, die es zu übersteigen galt, wird es dann grüner und leichter, danach aber geht es wieder steil bergan – sogar mit einer leichten Kletterpassage.

Fall Ihr hier durchkommt: Nach dem zweiten Gatter und vor einer großen Gruppe entwurzelter Bäume geht es über eine kleine Mauer rechts hoch. Jetzt heißt es wieder „Steinmännchen gucken“ und im Schweiße seines Angesichts den Berg erklimmen. Die Kollegen von heute früh hatte ich da zu meinem eigenen Erstaunen überholt und konnte nun stolz von oben her den Weg weisen. Die erwähnte Kletterpassage ist zwar nicht schwer, aber ausgerechnet da, wo man die Hände braucht, ist der Boden abwechselnd bedeckt mit Disteln und mit Ziegenkötteln.

70 Meter unter dem Esclop gabelt sich der Weg und ich schlage die freundliche Einladung von Sandra, Martin & Tim aus, sie auf den Gipfel zu begleiten. Die Ausrede war, dass ich ja den GR 221 machen will, und den müsste ich dann für etwa einen Kilometer verlassen, und alle meine Aufzeichnungen stimmen dann nicht mehr, und überhaupt.

Auf der Karte sah mein Weg genau so weit aus, wie der über den Gipfel, und beide waren hier noch als Bergpfad gekennzeichnet. Als beim Zusammentreffen der beide Wege am Coll des Quer weit und breit niemand zu sehen war, ist der Eigenbrödler-Michel natürlich weiterspaziert. Bergab ging es über einen Hang, der dekoriert war mit zahlreichen schwarzen Baumstümpfen, die an den großen Waldbrand von 2013 erinnern.

Dann wird der Wanderweg breiter und verläuft aus einer Höhe von 650 Metern fast den ganzen Rest der Strecke abfallend auf holprigen Fahrwegen und Schotterpisten. Zwei Mal muss man ein kleines Stück an der Ma-10 entlang laufen und erblickt dann am Hang liegend endlich das schöne Dorf Estellencs mit seinen zahlreichen Terrassen. Diesen zweiten Teil der heutigen Strecke fand ich nicht so toll, und musste mich dann noch über einen Materialschaden ärgern:

An meinem Deuter Futura 28 Rucksack, den ich heute den fünften Tag auf dem Buckel habe, ist die Schnalle für den Bauchgurt gebrochen. Ziemlich schwache Leistung, Herr Deuter. Die Folge ist natürlich, dass ich den Gurt nicht mehr zuziehen kann und der Rucksack dann nicht mehr richtig auf der Hüfte sitzt. Und das bedeutet, dass ich die nächsten acht Tage schwerer zu tragen habe und meine Schultern noch mehr leiden müssen.

Die Idee, vielleicht mal schnell bei Amazon Ersatz zu bestellen und in meine nächste Unterkunft schicken zu lassen scheitert an der Lieferzeit. Und auf der Webseite von Deuter finden ich bei „Händlersuche International“ nur eine Adresse in Spanien. Und die ist nicht in Palma, sondern in Madrid. Bin gespannt, ob ich für diese Schnalle wenigstens nach der Rückkehr Ersatz kriege und tröst mich mit dem Gedanken, dass das Material schneller schlapp macht, als ich.

Für die Statistiker möchte ich noch kurz erwähnen, dass es heute (gemessen mit der App Runtastic Pro) „nur“ 11,3 Kilometer und 656 Höhenmeter waren, für die ich satte 4:19 an reiner Gehzeit gebraucht habe.

Jetzt bin ich jedenfalls in Estellencs, das wie so viele Dörfer in diesem Teil der Insel an einem steilen Hang liegt. Hunderte von Jahren haben die Einwohner hier das Gelände terrassiert, doch die einzige Terrasse für die ich mich jetzt interessiere, liegt gegenüber meinem Hotel. Vom Vall Hermos hat man einen erhebenden Blick über das Meer, und es ist der ideale Platz für mein Ankunftsbier.

Überhaupt finde ich hier alles prima. In meinem Hotelzimmer im Maristel habe ich vom Balkon aus ebenfalls Meeresblick, sogar ein Spa gibt es hier, mit einem kleinen Pool, Hottub und Sauna. Dafür fehlt mir aber die Zeit, denn ich muss erst noch meine stinkigen Socken waschen, auf dem Balkon zum trocknen ausbreiten, und essen gehen, bevor hier alles dicht macht.

Ich folge der einzigen Empfehlung meines Reiseführers ins Restaurant Montimar, nur wenige Schritte von Hotel und Bierterrasse entfernt. Hier gibt es malorquinische Spezialitäten, und auf der Speisekarte stehen Lamminnereien ganz oben. Was bin ich froh, dass mittlerweile meine Wanderbekanntschaft Sandra aufgetaucht ist, denn Paella gibt es sogar in Spanien erst ab zwei Personen. Um uns herum lauter zufriedene Gäste. Ob Kaninchen oder Ferkel, der Koch versteht sein Handwerk.

Früh geht´s ins Bett-was soll man auch machen an einem Freitagabend in einem Ort ohne Kneipe? Noch ein Blick auf die Wanderkarte und die Gewissheit, dass es morgen nur eine kurze Etappe zu laufen gibt. Meinen Wanderkollegen ist der Weg nach Banyalbufar zu kurz oder sie haben weniger Zeit als ich und laufen deshalb morgen gleich durch nach Esporles. Mir doch egal. Ich bin hier auf Reisen und leiste mir den Luxus, jeden Tag in meinem eigenen Tempo zu gehen…