Die AfD und der Islam

Als Mitglied der Alternative für Deutschland habe ich mich sehr gefreut über die gestrige E-Mail unseres Sprechers Bernd Lucke, in der er zehn Thesen über das Verhältnis unserer Partei zum Islam aufstellt. Sie wurde nicht als offizielle Pressemitteilung versandt, verdient es aber, publik gemacht zu werden. Ich unterstütze diese Thesen voll und ganz und werde meinen Teil dazu beitragen, dass der Dialog kritisch, aber konstruktiv geführt wird.

Thesen:

1. Deutschland ist ein tolerantes und weltoffenes Land. Jede große Weltreligion und eine Vielzahl von kleinen Religionen und Kulten werden in Deutschland praktiziert. Demgegenüber gibt es andere Staaten in der Welt, in denen keine Religionsfreiheit herrscht. In manchen islamischen oder kommunistischen Staaten werden religiöse Minderheiten unterdrückt und ihre Anhänger verfolgt. Oft sind auch Christen gewaltsamer Verfolgung ausgesetzt. Es ist Teil unserer Verpflichtung auf die Grundrechte, uns gegen derartige Übergriffe einzusetzen. Es ist ebenfalls Teil unserer Verpflichtung auf die Grundrechte, in Deutschland ansässige Glaubensgemeinschaften vor unberechtigten Vorwürfen einer geistigen Mittäterschaft zu schützen.

Hagia Sofia klein
Die Hagia Sofia in Istanbul. Erbaut von 532 – 537 war sie ein Jahrtausend lang die größte Kirche der Welt, wurde später genutzt als Moschee, und ist heute Museum und Weltkulturerbe.

2. Wenn der Satz „Der Islam gehört zu Deutschland“ nur die faktische Existenz des Islam in Deutschland feststellen sollte, ist er überflüssig, weil der Sachverhalt offenkundig ist. Wenn er die Toleranz und Weltoffenheit Deutschlands betonen sollte, ist unverständlich, warum er die vielen anderen in Deutschland praktizierten Religionen nicht erwähnt. Wenn er aber als eine implizite Bejahung des Islams in Deutschland gemeint ist, ist er falsch und töricht,  weil er sich pauschal und undifferenziert zu einem komplexen Phänomen äußert, das viele unterschiedliche Strömungen und Aspekte umfasst. Was zu Deutschland gehört, muss präzise benannt werden und sollte von Deutschland her gedacht werden.

3. Zu Deutschland gehören die Freiheit des Glaubens, die Freiheit des religiösen Bekenntnisses und das Recht der ungestörten Religionsausübung. Insbesondere hat jeder Moslem das Recht, seinen Glauben friedlich zu praktizieren, seine Kinder in diesem Glauben zu erziehen und sich in Moscheen mit anderen Moslems zu versammeln. Diese Rechte finden Beschränkungen nur dann, wenn sie andere Grundrechte berühren. Zur Freiheit des Glaubens gehört aber auch, sich unbedroht vom Glauben oder bestimmten Glaubensvorstellungen abwenden zu dürfen.

4. Zu Deutschland gehört die Gleichberechtigung der Frau. Islamische Glaubenslehren, die die Freiheit und Gleichberechtigung von Frauen einschränken, verstoßen gegen Grundwerte unserer Gesellschaft. Mädchen und Frauen, die unter diesen Glaubenslehren leiden, bedürfen unseres Schutzes und Beistands. Gleichwohl ist es das Recht jeder muslimischen Frau, diese Glaubenslehren und auch aus den Glaubenslehren abgeleitete Kleidungsvorschriften zu akzeptieren, solange dies in freier, ungezwungener Entscheidung geschieht. Dass Traditionen, familiäres und soziales Umfeld derartige Entscheidungen prägen, ist zu akzeptieren. Umgekehrt ist von muslimischen Mitbürgern zu akzeptieren, dass in deutschen Bildungseinrichtungen und der deutschen Gesellschaft andere Lebenseinstellungen für Frauen vertreten und vorgelebt werden.

5. Zu Deutschland gehört der moderne Rechtsstaat. Dieser Rechtsstaat ist unvereinbar mit den aus dem Koran abgeleiteten Rechtsvorstellungen der Scharia. In Deutschland wird nicht nach der Scharia Recht gesprochen und auch eine informelle Streitschlichtung, in der beide Seiten die Anwendung der Scharia wünschen, darf sich nicht an der Scharia orientieren, wenn dadurch Dritte in ihren Rechten beeinträchtigt werden.

6. Über die Zulässigkeit von Beschneidung, Schächtung und anderen umstrittenen religiösen Praktiken muss letztlich der Rechtsstaat in einer Abwägung zwischen Religionsfreiheit und anderen wichtigen Rechten entscheiden. Diese Entscheidung muss von allen Beteiligten akzeptiert werden.

7. In Deutschland geht alle Staatsgewalt vom Volk aus und deshalb  gehört zu Deutschland die Demokratie. Theokratische Staatsvorstellungen sind damit unvereinbar. In Deutschland findet die freie Ausübung des Glaubens seine Grenzen da, wo dieser gegen den Rechtsstaat, die Demokratie oder die Grundrechte gewendet werden soll.

8. Zu Deutschland gehört die Meinungsfreiheit. Muslimische Staatsbürger haben genau wie jeder andere das Recht, sich kritisch zu gesellschaftlichen Gegebenheiten zu äußern, auch wenn dem andere Wertvorstellungen zugrunde liegen. Es steht ihnen auch frei, sich auf demokratischem Wege für die Erreichung ihrer Ziele einzusetzen.

9. Zu Deutschland gehören Gastfreundschaft und Toleranz. Dies gilt auch gegenüber Andersgläubigen. Religiöse Gefühle sollen geachtet werden und Provokationen unterbleiben. Um in Angelegenheiten von geringer Bedeutung Konflikte zu vermeiden, ist Großzügigkeit und Verständnis für die Situation des Anderen angezeigt. Dies gilt für alle Beteiligten und selbstverständlich auch für die Bevölkerungsmajorität.

10. Deutschland ist ein säkularer Staat mit einer tief verwurzelten christlichen Prägung. Von den heute unter uns lebenden Moslems sind viele trotz ihres anderen Glaubens glücklich darüber, dass sie in diesem säkularen Staat leben und keiner religiösen Bevormundung ausgesetzt sind. Viele unter uns lebende Moslems akzeptieren die Trennung von Staat und Religion trotz anderslautender Vorstellungen mancher islamischer Theologen. Diese Akzeptanz ist die Basis für ein gedeihliches Zusammenleben.

Bernd Lucke

Mit seiner Mail will Lucke, der schlaue Fuchs, offenbar nicht nur einen Konsens in der Partei herbeiführen, der die AfD für alle sichtbar von Extremisten abgrenzt. Ich sehe darin auch eine kluge und angemessene Reaktion auf einzelne Parteimitglieder, die in der aktuellen Programmdiskussion z.B. eine Festlegung auf ein traditionell-christliches Weltbild fordern und die damit zum Teil eine Pauschal-Kritik am Islam verbinden. Die 17000 Mitglieder der AfD werden deshalb aufgefordert, Zustimmung und/oder Kritik an Luckes Thesen per E-Mail zu signalisieren, sodass unser „Chef“ ein erstes Meinungsbild bekommt. Ich bin fest davon überzeugt, dass die zweite Fraktion in der Minderheit ist und plädiere deshalb dafür, Luckes Thesen ins Parteiprogramm zu übernehmen. Die AfD kommt aus der Mitte der Gesellschaft und dort soll sie auch bleiben. Ich will lösungsorientiert arbeiten und vertraue darauf, dass im Wettstreit der Ideen die besten gewinnen – unabhängig von der Religion oder Weltanschauung einzelner Parteimitglieder. Islamophobe und andere Extremisten, welche die AfD als Plattform zur Verbreitung ihrer Ideologien missbrauchen wollen, sollten in dieser Partei auch weiterhin keinen Platz haben.

Nachtrag: Obige Hoffung hat sich leider nicht erfüllt. Unmittelbar nach der Abwahl Bernd Luckes im Juli 2015 bin ich daher aus der AfD ausgetreten.

Betreff: Tunesien, Ägypten & Co.

Frage: Welcher unserer Politiker hätte wohl den Mut, sein Leben aufs Spiel zu setzen, um für Demokratie und Menschenrechte zu kämpfen? Können Sie sich unseren Außenminister Guido Westerwelle oder unseren Bundespräsidenten Christian Wulff vorstellen, wie die beiden mit handgemalten Plakaten in Peking auf dem Platz des Himmlischen Friedens stehen, um sich den Panzern der Obrigkeit in den Weg zu stellen? Wie sie umgeben von den Schlägertrupps eines brutalen und korrupten Regimes die Nacht auf dem Tahrir-Platz in Kairo verbringen, bewaffnet lediglich mit einem Handy, von dem aus sie unerschrocken den Fernsehsendern in aller Welt berichten?

Oder unsere Kanzlerin: Die war, vermeldet lapidar die Wikipedia, vor der Wende weder in der zivilen noch in der kirchlichen Opposition aktiv. Am Tag als die Mauer fiel, hat Angela Merkel nicht einmal die Nachrichten verfolgt. Statt dessen saß sie mit einer Freundin in der Sauna, berichtet der Politjournalist Gabor Steingart in „Die Machtfrage„.

Nun könnte man ja argumentieren, dass dies vielleicht sogar ganz gut ist, denn um einen Staat zu lenken braucht es einen kühlen Kopf und eine gehörige Portion Sachverstand. Und dass diejenigen, die nach Jahrzehnten der Unterdrückung im Laufe einer Revolution an die Macht kommen, auch nicht die idealen Staatslenker wären. Womöglich würden sie erst einmal alte Rechnungen begleichen wollen. Ein paar Köpfe rollen lassen. Oder sich zumindest jene Schätze unter den Nagel reißen, die das alte Regime nicht rechtzeitig außer Landes gebracht hat. Das wollen wir dann auch wieder nicht.

Mäßigung ist also angebracht angesichts der Revolutionen in Tunesien und Ägypten, argumentierte Freund G. bei unserer gestrigen Stammtischrunde. Und außerdem seien die meisten dort sowieso nicht reif genug für die Demokratie. Nicht einmal bei uns. „Und am Ende wählen sie dann die Muslimbrüderschaft und dann haben wir den Scheiß.“

Um meine rhetorische Eingangsfrage zu beantworten: Niemand kann sich unsere höchsten Repräsentanten als Freiheitskämpfer vorstellen. Aber ein paar deutliche Worte an Herrn Mubarak – ist das zu viel verlangt? Warum schweigt die EU? Warum gibt es keine Unterstützung für die Vorkämpfer der Demokratie in Tunesien und Ägypten, in Jordanien, Jemen und Algerien? Was tun Merkel, Obama & Co eigentlich, um den Menschenrechten in diesen Ländern zum Durchbruch zu verhelfen? Und was haben unsere Staatsoberhäupter, die Chefs der ach so freien westlichen Welt denn dafür in den vergangenen Jahrzehnten getan?

Those who deny freedom to others deserve it not for themselves.

Das ist eines meiner Lieblingszitate. Es stammt von Abraham Lincoln, dem 16. Präsidenten der USA. Über seine Motive mag man streiten, aber erst hat er die geteilte Nation vereinigt und dann die Sklaverei abgeschafft. Das macht ihn nicht nur sympathisch, sondern auch glaubwürdig. Ich wünschte mir, die USA, die EU und auch unsere politische Kaste würde sich an Lincolns Weisheit erinnern. Ich wünschte mir, unsere Repräsentanten würden endlich damit aufhören, Diktatoren in aller Welt in den Hintern zu kriechen. Und ich schäme mich für mein Land, solange auch bei uns Wirtschaftsinteressen immer wieder über Menschenrechte gestellt werden.

Dass viele Jugendliche im arabischen Raum uns für Heuchler halten, die westliche Lebensweise verachten und ihr Heil im radikalen Islam suchen hat vielleicht auch damit zu tun, wie unserer „Realpolitiker“ deren Unterdrücker seit Jahrzehnten hofieren – mit Staatsempfängen und Gipfeltreffen, durch Waffenlieferungen und Wirtschaftsabkommen, vor allem aber durch konsequentes Wegschauen angesichts Unterdrückung und Korruption, Willkür und Folter.

Jetzt gibt es eine historische Chance, es besser zu machen. Statt mit Armeen westliche Verhältnisse erzwingen zu wollen, wie in Afghanistan und im Irak, könnte man es zur Abwechslung´mal mit friedlichen Mitteln versuchen. Wie wär´s zum Beispiel mit ein paar Milliarden Euro Starthilfe für junge Demokratien? Gekoppelt natürlich an die Bedingung freier Wahlen unter neutraler Beobachtung. Ich wette, dafür gäbe es mehr Verständnis als für den Euro-Rettungsschirm. Statt Waffenlieferungen könnte man den Austausch von Schülern und Studenten fördern. Technologien zur Nutzung der Solarkraft gemeinsam weiter entwickeln als Alternative zum Bau neuer Atomkraftwerke. Die Märkte öffnen für Agarprodukte, statt mit EU-Subventionen die Ungleichheiten zu zementieren…

War´n nur so ein paar Gedanken. Bisschen ´rumgesponnen. Bin halt ein Dummerle und verstehe nicht, warum die Unterstützung von Diktatoren alternativlos ist.

Nachtrag vom 18.2.:

Schön, dass die Ägypter ihre Revolution alleine hin gekriegt haben. Peinlich, die markigen Worte Merkels und Westerwelles nach dem Fall des Regimes. Mubaraks Konten in der EU sind immer noch nicht gesperrt (die Schweizer haben das schon lange getan).

Buchbesprechung: Atatürks Kinder von Hans-Joachim Löwer

Was sind das eigentlich für Menschen, die Türken? Wie leben sie in ihrem Land? Und wie denken sie über sich, über uns, über Gott und die Welt? Fragen, die mich bislang allenfalls am Rande interessierten, wurden im Frühsommer 2009 auf einmal wichtig. Nicht als ahnungsloser Touri wollte ich den zweiwöchigen Urlaub in  Istanbul und in Kiyiköy am Schwarzen Meer verbringen, sondern als Reisender. Respektvoll, aber nicht unkritisch. Mit wachen Sinnen und stets bereit, Neues zu lernen, meine Vorurteile zu überprüfen und gegebenenfalls auch zu korrigieren.

Wenn es Ihnen genau so geht, kann ich „Atatürks Kinder“ von Hans-Joachim Löwer nur wärmstens empfehlen.

Löwer, der 16 Jahre lang Auslandsreporter des „Stern“ war, durchreiste für dieses Buch die Türkei von Ost nach West mit leichtem Gepäck um – so der Klappentext – „ihren Menschen nahe zu kommen und zu verstehen, wie sie sich und ihre Zukunft in Europa sehen“. Das Ergebnis sind 30 einfühlsame, elegant geschriebene Porträts äußerst unterschiedlicher Menschen. Der Weg führt von ebenso armen wie bescheidenen Bergbauern im Karcal-Gebirge an der Grenze zu Georgien über den bedrohlich-verschlossenen und ungastlichen Scheich Seyed Abdul Bakir in dem Dorf Menzil bis zur Powerfrau Zeynep Gül Aktas, die an der Börse von Istanbul täglich Millionen bewegt. Dazwischen mischt Löwer sich unter die Scharen von Touristen, die bei Sonnenaufgang die gewaltigen Steinskulpturen auf dem 2150 Meter hohen Berg Nemrut Dagi bewundern, und er trifft in Derinkuyu auf den einsamen Forscher Metin Göksen, der ihm seine Theorien über die unterirdischen Höhlenstädte Kappadokiens erläutert.

Löwer spricht mit strengen Militärs und ebenso strengen Vätern, mit Baulöwen am Atatürk-Staudamm wie auch mit Gastarbeitern, die nach Jahrzehnten harter Arbeit als alte Mäner aus Deutschland in ihr sterbendes Heimatdorf Mentes zurück gekehrt sind, um dort ihren Lebensabend zu beschließen. Der Autor widmet ein Kapitel den Nöten der Istanbuler Hausfrau Perihan Pinar und beschreibt deren Alltag ebenso spannend wie in einem anderen Kapitel den traumhaften Aufstieg des Teppichhändlers Fettah Tamince zum Besitzer der Nobelhotelgruppe Rixos. Löwer ist ein exzellenter Schreiber und so schafft er es, auf jeweils einigen wenigen Seiten, den unbequemen, weil kurdischen Verleger Fatih Tas genau so eindrucksvoll zu porträtieren wie den Umweltschützer Hayrettin Karaca, den jedes Schulkind in der Türkei als „Herr der Eichen“ kennt und dessen Stiftung TEMA heute mit 264000 Mitgliedern die zweitgrößte zivile Vereinigung des Landes ist.

Hans-Joachim Löwer gelingt das Kunststück, mit leichter Feder auf gerade einmal 200 Seiten mehr Wissen und Verständnis über die Türkei zu vermitteln, als jeder noch so gute Reiseführer. Sein Buch „Atatürks Kinder“ ist das Beste, das ich seit langem gelesen habe und es hat mir große Lust gemacht auf weitere Reiseberichte dieses hervorragenden Journalisten.

Nachtrag: Wenn wir von hervorragenden Journalisten reden, darf Peter Scholl-Latour nicht fehlen. Der hat sich nämlich früher als andere mit dem heraufziehenden Konflikt zwischen dem Islam und der westlichen Welt befasst. Sein Reisebericht „Allahs Schatten über Atatürk: Die Türkei in der Zerreißprobe. Zwischen Kurdistan und Kosovo“ stammt zwar aus dem Jahr 1999 und ist damit nicht mehr ganz taufrisch. Angesichts des immensen Wissens und des gewaltigen Erfahrungsschatzes Scholl-Latours steht dieses Buch jedoch in meiner „Leseliste Türkei“ noch immer ganz weit oben.