Kommentar: Klare Sprache

Der Wille, Andere anzuhören, ist Grundlage für gerechte Entscheidungen – nicht nur in der Politik. Offensichtlich war die Mehrheit der politisch Verantwortlichen in Genf aber nicht bereit, den Ratschlägen der weltbesten Klimaforscher die gebotene Aufmerksamkeit zu schenken.

Über die Klimapolitik habe ich mich damals schon geärgert, aber das Vertrauen des Chefredakteurs Manfred Schell hat mich sehr gefreut: Mein erster Kommentar bei der WELT nach nur zwei Monaten als Redakteur im Wissenschaftsressort.

Namentlich die Hauptproduzenten des Treibhausgases Kohlendioxid – die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion – wollen sich aus der Verantwortung stehlen und ziehen sich auf angebliche Unsicherheiten in den Prognosen der Wissenschaftler zurück. Andere, wie die britische Premierministerin Margaret Thatcher, formulieren wohlklingende Erklärungen, um ihre Bremserrolle auf dem Gebiet des Umweltschutzes zu kaschieren. Da nützt es wenig, wenn Deutschland, Frankreich oder die kleine Schweiz drastische Maßnahmen beschließen, um ihrer Verantwortung für das Weltklima gerecht zu werden.

Seit Mai dieses Jahres liegt die Bilanz der führenden Klimaexperten vor. 170 Fachleute aus 25 Ländern haben eine Zusammenfassung des heutigen Standes der Klimaforschung vorgelegt, kondensiert auf 25 Seiten, geschrieben in verständlicher und klarer Sprache. Niemand behauptet, alle Fragen beantworten zu können, doch sind die Empfehlungen eindeutig:

Gehandelt werden muss jetzt, denn die 20 Milliarden Tonnen Kohlendioxid, welche jährlich buchstäblich verheizt werden, haben im Zusammenspiel mit FCKW, Methan und anderen Gasen die Zusammensetzung der Erdatmosphäre schon stärker verändert, als jemals zuvor in der Geschichte der Menschheit.

In Genf saßen Wissenschaft und Politik zwar am gleichen Tisch – aber nicht zur gleichen Zeit. Wenn dieses Beispiel Schule machte, sollte man auf derartige Konferenzen lieber verzichten: Durch die reduzierte Reisetätigkeit tausender Politiker, Forscher und Medienvertreter würde weniger CO2 produziert, man hätte dann einen konkreten Schritt gegen die globale Erwärmung getan.

(Erschienen in der WELT am 8. November 1990)

Klimapolitik: Die Macher und die Bremser

Gestern ging in Genf die zweite Weltklimakonferenz zu Ende, inmitten vollmundiger Erklärungen, aber ohne dass konkrete Maßnahmen beschlossen wurden. Nach Meinung der Wissenschaftler würde selbst eine sofortige Reduktion des freigesetzten Kohlendioxids um 60 Prozent die bereits stattfindende Erwärmung unserer Erde erst in der Mitte des nächsten Jahrhunderts stoppen können. Derartig drastische Einschnitte in die Energiewirtschaft werden selbst von Optimisten nicht für möglich gehalten.

Es lohnt sich daher zu betrachten, welche Maßnahmen ins Auge gefasst werden, um dieser Herausforderung zu begegnen. Bedauerlicherweise waren die Haupterzeugerländer USA und Sowjetunion nicht von der Notwendigkeit zu überzeugen, sich jetzt schon auf verbindliche CO2-Reduktionen festzulegen. In der UdSSR trifft man sogar noch vereinzelt auf die Meinung, das riesige Land könne bei den zu erwartenden globalen Klimaänderungen als der Gewinner dastehen. Die Permafrostböden Sibiriens so hofft man, könnten sich dann in fruchtbares Ackerland verwandeln.

Das Energiesystem des Landes ist noch immer durch niedrige Effizienz und hohen Pro-Kopf-Verbrauch gekennzeichnet, sodass Einsparungen um 50 Prozent theoretisch möglich wären. Die katastrophale wirtschaftliche Lage allerdings wird den Sowjets keinen Spielraum für diese Bemühungen erlauben.

Auch die USA verweisen auf ihre schlechte Wirtschaftslage. Eine mächtige Lobby versucht – ähnlich wie in Japan – jegliche Belastung der Industrie zu verhindern und verweist auf die angeblich unzuverlässigen Aussagen der Experten. Das Ansinnen, den Verbrauch fossiler Brennstoffe einzuschränken fällt hier auf wenig fruchtbaren Boden, da gerade das Luftreinhaltungsgesetz verschärft wurde. Der Preis für den „Clean Air Act“ wird mit jährlich 25 bis 35 Milliarden Dollar veranschlagt.

Im Kreise derer, die sich vor der Weltklimakonferenz für ein sofortiges Handeln aussprachen, fehlte auch nicht die britische Premierministerin Margaret Thatcher. Die First Lady muss sich allerdings an ihren bisherigen Taten messen lassen und hat auf dem Gebiet des Umweltschutzes wenig vorzuweisen. Ein „White Paper“ genanntes Dokument, das Ende September vorgestellt wurde, um das umweltpolitische Konzept der Regierung zu erläutern, stieß auf heftige Kritik von Umweltschützern und Parteien.

Bremserrolle beim Klimaschutz: Die ehemalige britische Premierministerin Margaret Thatcher, hier bei einem Truppenbesuch auf den Bermudas (Von White House Photo Office via Wikipedia)

Bereits vorhandene Programme werden zusammengefasst; in jedem Regierungsressort, so wird versprochen, soll ein Minister designiert werden, der für die Umsetzung dieser Programme geradesteht. Die Einführung einer Steuer auf den Verbrauch fossiler Brennstoffe wird „für die nächsten Jahre“ ausgeschlossen.

Als die Umweltminister der EG am 29. September in Luxembourg beschlossen, die CO2-Emissionen der Gemeinschaft bis zum Jahr 2000 auf dem gegenwärtigen Stand einzufrieren, behielt sich Großbritannien das Recht vor, diesen Schritt erst zu einem späteren Zeitpunkt zu vollziehen und reihte sich damit zwischen die „weniger entwickelten“ Länder der EG Spanien, Portugal, Griechenland und Irland ein.

Doch es gibt auch vereinzelte Lichtblicke zu vermelden: Der französische Umweltminister Brice Lalonde erklärte bereits Mitte September in einem Memorandum an Präsidium und Kommission der EG, dass die „Grande Nation“ ihren jährlichen Pro-Kopf-Ausstoß innerhalb eines Vierteljahrhunderts von 2,3 auf 2 Tonnen CO2 reduzieren werde. Vollmundig verkündete Ministerpräsident Michel Rocard in Genf: „Unsere Aufgabe ist nichts anderes als die Rettung unseres Planeten“. So gesehen erscheint die kürzlich beschlossene Verdopplung des Budgets für das Umweltministerium als angemessene Maßnahme, auch wenn Frankreich weltweit nur 1,8 Prozent der Treibhausgase emittiert.

Im letzten Jahrzehnt wurde die Abhängigkeit von der Kohle um 40 Prozent verringert und die Nutzung der Kernenergie konsequent vorangetrieben. Industrieminister Faroux will deren Anteil an der Energieerzeugung jedoch nicht weiter steigern, stattdessen soll ein Programm zur Entwicklung alternativer Energien und zum Energiesparen revitalisiert werden, das in den Schubladen der Bürokraten seinen Dornröschenschlaf hielt. Außerdem ist geplant, zusätzliche Gelder in die Entwicklung „sauberer“ Autos zu stecken, die vier Zehntel des „französischen“ Kohlendioxids freisetzten.

Besonders sauber wollen auch die Schweizer sein. Die Regierung hat sich in der letzten Woche grundsätzlich für eine Kohlendioxid-Steuer entschieden. Erwartet wird eine Erhöhung des Benzinpreises um 15 Prozent, Heizöl soll 23 Prozent teurer werden.

(erschienen in der WELT am 8. November 1990. Letzte Aktualisierung am 7. Mai 2017)

Was ist daraus geworden? Im Rückblick muss man leider feststellen, dass die Klimapolitiker insgesamt in drei Jahrzehnten kaum einen nennenswerten Beitrag geleistet haben, um die angekündigte Katastrophe abzuwenden. Bemerkenswert scheint mir auch, dass die Forscher in ihren Vorhersagen weitestgehend richtig lagen, sowohl was die Erwärmung angeht, als auch den steigenden Meeresspiegel und die Zunahme von „Extremereignissen“. Demgegenüber stehen Nationen wie die USA, Russland, oder auch Australien, die mit ihren 180-Gradwendungen die hiesigen Anstrengungen über den Haufen schmeissen, aber auch Umweltfanatiker, die glauben mit ihren Ideologien die Marktwirtschaft außer Kraft setzen zu können.