Wie kann das sein? Wie konnten die Menschen im 6. Jahrhundert binnen 5 Jahren solch ein Bauwerk erstellen? Mir ging es wie den meisten Besuchern der Hagia Sophia in Istanbul: Schon beim Eintritt überfiel mich eine Mischung aus ungläubigem Stauen und Demut. Und genau so sollte das wohl sein. Die Hagia Sophia ist ein Monument, das den Glauben an Größeres fördert. Ganz egal, ob man zum Beten hingeht, oder mit der Volkshochschule. Das Gotteshaus zählt noch heute zu den imposantesten Gebäuden der Menschheitsgeschichte. Ich frage mich, wie es wohl auf die ersten Besucher gewirkt hat, die es betraten, als hier Kaiser Justinian regierte und Istanbul (damals noch „Konstantinopel“) das kulturelle Zentrum der Welt war?
In 55 Metern Höhe schwebt eine riesige Kuppel über dem Boden. Sie hat einen Durchmesser von 31 Metern, zieht den Blick immer wieder nach oben, und sorgt mit ihren 40 Fenstern für ein magisches, sich stetig wandelndes Licht im Inneren. Verstärkt wird dieser Effekt noch durch die zahlreichen, goldglänzenden Mosaiken. Während man sonst meist nur den Kaiser kennt, „unter dem“ ein Bauwerk errichtet wurde, haben bei der Hagia Sophia auch die Architekten ewigen Ruhm erlangt. Es sind Anthemios von Tralleis und Isidor von Milet, die sich offensichtlich mit Mathematik, Mechanik und Statik besser auskannten, als sämtliche Baumeister vor ihnen. Fünf Jahre haben sie gebraucht, von 532 – 537.
Seitdem sind nahezu 1500 Jahre vergangenen. Endlose Umwälzungen, Umstürze, Kriege und Naturkatastrophen hat das Gebäude seitdem überstanden, und natürlich auch zahlreiche Reparaturen und bauliche Veränderungen. So stürzte 558 bei einem Erdbeben ein Teil des Doms herab, die Kirche wurde 1206 durch die Kreuzfahrer (!) ausgeplündert, und nach der Eroberung Konstantinopels durch die Türken 1453 in eine Moschee verwandelt. Außenrum wurden vier Minarette hochgezogen und der Großteil der christlichen Mosaiken mit Wandputz überdeckt. Auf Erlass von Kemal Atatürk, dem Gründer der modernen Türkei, wurde die Hagia Sophia dann 1935 in ein Museum verwandelt. Sie ist seit 1985 Teil des Weltkulturerbes, und für die meisten Menschen war das wohl eine gute Lösung.
Nicht aber für den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan. Der gab im Juli 2020 die jüngste „Statusänderung“ bekannt und öffnete die ehemalige Kirche wieder für Muslime zum Gebet. Der Status als Museum wurde vom Obersten Verwaltungsgericht der Türkei aberkannt, und unmittelbar danach begannen – unter Protesten vor allem aus Griechenland und Russland – die Arbeiten zur „Umwidmung“.