Einen „Klassiker“ nennt mein Wanderführer den Weg von Soller nach Deià. Ich will ihn in die andere Richtung laufen, schließlich folge ich ja dem GR 221. Darüber, wie lange diese Etappe sein soll, gehen die Angaben wieder einmal auseinander. Laut Dietrich Höllhuber, dem Autor des Wanderbüchleins, sind es 3:40 für 8,8 Kilometer, und in meiner Richtung 270 Meter Aufstieg und 400 Meter Abstieg. Noch in Deià sehe ich eines der Schilder des GR 221, wonach es bis nach Soller nur 2:30 sind.
Na prima, denke ich mir, da ist das Ankunftsbier ja nicht mehr weit. Aber der Weg zieht sich wie Kaugummi, und es quälen mich Heerscharen von Landsleuten. Statt Rucksäcken tragen die meisten schwere Kameras vor ihren Bäuchen, und manch einer wackelt hier auch mit Sandalen entlang. Alle scheinen sie nur das eine Ziel zu haben: Entlang des Weges einmal einen frisch gepressten Orangensaft zu trinken, dazu noch ein Törtchen ´reinzudrücken, und sich dabei gegenseitig fotografieren.
Allerlei Klischees gehen mir durch den Kopf: Walldorfschullehrer, vegane Fair-Trade-Gutmenschen. Weiß gar nicht, warum ich heute so mies ´drauf bin. Der Trubel geht mir auf die Nerven. Das muss er sein: Der Ort, an dem Gerhard Polt und Loriot sich ihre Inspirationen geholt haben. Also schnell einen Orangensaft mit Schokotörtchen bestellt und dann gleich weiter.
Immer dem GR 221 nach, der hier einen Abstecher an die Küste vorsieht, zum Refugi de Muleta. Dumm nur, dass es von dort nach Soller laut Schild noch 1:50 sein sollen. Dabei bin ich jetzt doch schon länger gelaufen, als die ganze Tagesstrecke dauern sollte! So hatte ich mir das nicht vorgestellt. Zur Besänftigung meiner selbst bestelle ich mir im Refugi „Pa amb oli“, das typische Brot mit Olivenöl und in diesem Fall Schinken und Käse. Und natürlich ein Bier dazu.
Und während ich so in der Sonne sitze und aufs Meer hinaus schaue schwindet sie dahin, meine Willensstärke. Gemäß meinen eigenen Spielregeln dürfte ich heute eigentlich gar nicht ans Wasser. Statt dessen müsste ich jetzt auf dem GR 221 zurück bis zur Abzweigung, und dann nochmals 90 Minuten laufen bis nach Soller. Doch dann habe ich mich an ein Buch erinnert, das ich im Vorjahr mit großem Gewinn gelesen habe: „Einen Scheiss muss ich„.
Bloß weil da einer eine gestrichelte Linie eingezeichnet hat, darf ich nicht ans Meer? Pah! Also runtergewackelt am Leuchtturm Far de Cap Gros vorbei, an einigen fetten Villen durch, und mit schönen Ausblicken auf Port de Soller bis zum Strand hinunter. Ja, hier wäre ich gerne noch etwas verweilt. Hätte dann aber drei Stunden auf den nächsten Bus nach Palma warten müssen, und das wollte ich nun auch wieder nicht.
Mit dem Tag versöhnt habe ich mich dann spätabends in einer angesagten Tapas Bar ganz in der Nähe meiner Unterkunft. In der Casa Gallega genoss ich von meinem Platz am Tresen den Blick auf all die Leckereien und schaute den Obern bei der Arbeit zu. Sie hatten sogar einen, der den ganzen Abend nichts anderes tat, als hauchdünne Scheibchen von einem anfangs noch ziemlich großen Schinken ´runterzuschneiden.
Das war ein richtig schöner Ausklang für meinen letzten Abend auf Palma. Zwar tut sich durch die heutige Entscheidung jetzt auf meiner Route eine Lücke zwischen dem Refugi Muleta und Soller auf. Im Großen und Ganzen ist mein Plan bisher jedoch aufgegangen. Und morgen geht es dann wieder mit dem Bus nach Soller, und von dort erneut in die Berge, wo noch drei große Etappen auf mich warten.