GR 221 – 17. Lluc – Pollenca

Ab sieben Uhr erwachen die Schnarcher im Refugi Son Amer. Statt deren nächtlichen Geräuschen erfüllt nun das Gequietsche der Matratzen den Raum. Um acht Uhr gibt es das eher bescheidene Frühstück, und eine halbe Stunde später bin ich wieder im Wald. Es wird noch einmal eine ziemlich lange Etappe, allerdings ohne große Kletterpartien und auf vergleichsweise angenehmen Untergrund.

Gut 16 Kilometer laufe ich so unter 5 Stunden, 250 Meter bergauf und 700 bergab. Bin eher schnell, kann aber der Realität nicht entkommen. Muss ständig an die Opfer islamistischer Terroristen denken. Gestern in Stockholm, davor in London, und in Oslo wurde eine Bombe heute noch rechtzeitig entschärft. Ich dachte, wenn ich alleine laufe, könnte ich solche Gedanken besser ausblenden, und mich auf Landschaft und Natur konzentrieren, statt auf die Suche nach den Verantwortlichen. Doch das ist ein Irrtum. Bestimmte Dinge schleppe ich offenbar immer mit mir herum…

Erst nach der Hälfte der Etappe gelingt es mir, das Kopfkino zu stoppen. Ich lasse ich den Wald hinter mir und passiere schöne Fincas entlang des Torrent de la Vall d´en Marc. Bazillionen von Rennradfahrern auf der nahe gelegenen Ma-10 machen mir vor, wie man sich entspannt. Und dann, kurz vor dem Zielort Pollenca, scheint mir Mallorca wie zur Belohnung einen Vogel vorbei zu schicken, den ich bisher noch nie gesehen hatte: Ein Wiedehopf, der auf der Wiese nach Nahrung sucht. In Deutschland steht er mit wenigen hundert Brutpaaren auf der Roten Liste der gefährdeten Arten.

Im schönen Pollenca, das ich vor zwei Jahren erstmals besucht habe, endet der GR 221 an der letzten Herberge, der Refugi del Pont Roma. So zeigt es meine Wanderkarte mit Stand Februar 2017, so schreibt es die Wikipedia, und so steht es auch in der offiziellen, mit unseren EU-Beiträgen gesponserten Broschüre zum Trockenmauerweg.

Doch was ist das? Auf der Landkarte am Refugi geht die rote Linie einfach weiter. Nochmals 1,5 Stunden wären da zu laufen bis zum Meer nach Port de Pollenca. Und zwar zu 90 % direkt an der Landstraße, vorbei auch am Industriegebiet von Pollenca. Nicht zum ersten Mal fühle ich mich auf diesem Weg veräppelt. Das Consell de Mallorca weist das kurze Stück jetzt kurzerhand als 8. Etappe des Weges aus. Und von da ab bis zum Cap de Formentor ganz im Osten ist der Weg gemäß dieser Karte geplant. „In Planung“ sind auf dieser Karte aber auch vier weitere Abschnitte, die ich in den vergangenen 11 Tagen ohne Probleme gelaufen bin: Port d´Andraxt – Sant Elm, Sant Elm – Sa Trappa, Coll de Sa Gramola – Ses Fontahelles, und Valldemossa – Deiá !

Offiziell endet der Trockenmauerweg GR 221 in Pollenca. Laut diesem Schild geht´s aber noch weiter nach Port de Pollenca. (Copyright 2017, Michael Simm)

Wenn ich mir dieses Chaos anschaue, kann ich eigentlich nur den Kopf schütteln. Wie viel besser haben wir es doch daheim im Schwarzwald, wo fast jede Kreuzung sauber ausgeschildert ist, mit eindeutigen Wegmarkierungen, Entfernungsangaben, Haltestellen für Busse und Bahnen und natürlich dem Hinweis auf die nächste Wirtschaft!

Epilog: In Pollenca gab´s noch eine feine Dorade bei dem Italiener La Trencadora, den ich mit meiner Foursquare-App gefunden habe. Dann ging´s mit dem Bus zum Touristrand Platja del Muro, ins Sportlerhotel Viva Blue & Spa mit vergleichsweise günstigen Preisen. Überlegte kurz, ob ich mir ein Rennrad leihen sollte und entschied: Vielleicht ein anderes Mal. Freute mich stattdessen an der Poollandschaft, dem riesigen Frühstücksbuffet und dem quasi hinterm Haus gelegenen Parc Natural de s´Albufera mit erstaunlich vielen Wasservögeln. Stieg zwei Tage später in den Bus nach Palma, fuhr von dort zum Flughafen und von Basel mit den Bahn nach Hause.

Die Tour hier war gut, keine Frage. Mein Plan ist weitestgehend aufgegangen, das Projekt gelungen. Allerdings war die Aktion auch ziemlich teuer. Alleine zu reisen ist eben ein Luxus. Und so werde ich nach meiner Rückkehr wohl einige Zeit brauchen, um die Reisekasse wieder aufzufüllen. Derweil werde ich den Frühling und den Sommer in Baden genießen und sicher auch ein paar Touren machen, um die nähere Heimat zu erkunden…

GR 221 – 16. Sa Font de Noguer – Lluc

Gar nicht so einfach, nach der gestrigen Niederlage weiter zu schreiben. Aber wenn ich schon eine Lücke beim Wandern verschuldet habe, so will ich doch wenigstens den Rest des Projektes zu Ende bringen. Also geht es heute früh planmäßig weiter; schon um 8:30 stehe ich an der Bushaltestelle in Soller. Der Bus besorgt denn auch zunächst die Kletterei für mich und zahlreiche weitere Wanderfreunde. Schraubt sich über zahlreiche Serpentinen bergauf vorbei an Fornalutx, entlang an militärischem Sperrgebiet und immer weiter bis zum Cúber Stausee auf ca. 750 Metern. Kurz danach ist Sa Font des Noguer erreicht – so heißt die Bushaltestelle im Nirgendwo, von der die heutige Wanderung startet.

Zum Glück wenden sich vier Fünftel der Wanderfreunde in Richtung Stausee – offenbar wollen sie die Route zurück nach Soller laufen oder zur Herberge Tossals Verds, in der ich vor zwei Monaten vergeblich versucht hatte, ein Bett für die Nacht zu kriegen. Nur ein halbes Dutzend Wanderer läuft vor mir her in nordöstlicher Richtung, einem kleinen Beton-Kanal folgend, der Wasser talwärts leitet.

Es ist frisch, so weit oben und so früh am Morgen. Dafür gibt es auf dem zunächst ebenen Weg schöne Ausblicke auf den Gorg Blau Staussee und auf den höchsten Gipfel der Insel, den Puig Major (1447 Meter). Der ist zwar nicht einmal so hoch wie der Feldberg im Schwarzwald, dennoch hat die Landschaft hier oben schon alpinen Charakter.

Das merke ich mit zunehmender Höhe beim Aufstieg zum Coll des Prat (1205 Meter), wo der Wind so heftig pfeift, das die Rastenden Zuflucht hinter einer Mauer suchen und ich mich frage, ob ich nicht doch ein paar Handschuhe hätte einpacken sollen. Während ich ein Schild auf dem Gipfel fotografiere gestikuliert ein Spanier heftig, aber leider erfolglos. „Hinter mir“, hat er wohl gerufen und mich darauf hinweisen wollen, dass dort ein Adler am Himmel zu sehen war.

Bis ich es endlich kapiere, ist der aber schon wieder weitergeflogen und hinter den Felsen verschwunden. Den Rest des Tages ärgere ich mich, dass ausgerechnet mir als passioniertem Vogelbeobachter der Adler entgangen ist. Immer wieder schaue ich während des Abstiegs gen Himmel, doch will sich partout keiner mehr zeigen.

Im Gegensatz zu den Etappen zwischen Valdemossa und Soller sind hier oben mehr „ernsthafte“ Wanderer unterwegs. Das sieht man zwar auch an der Größe der Rucksäcke, vor allem aber an der Geschwindigkeit, mit der manche an mir vorbei zischen. Zwei sind mir sogar begegnet, die den Wanderweg gerannt sind, und auch ein Mountainbiker hatte sich hier hoch verirrt, der jedoch eher unglücklich aussah.

Restaurierte Trockensteinmauer auf dem Cami Vell de Ses Voltes d´en Galileu (Copyright 2017, Michael Simm)

Zunehmend unglücklicher werde auch ich bei den fast 1000 Metern Abstieg an diesem Tag. Zwar gibt es weiterhin schöne Ausblicke und an manchen Stellen geradezu spektakuläre Abschnitte jener restaurierter Trockensteinmauern, die diesem Weg seinen Namen geben. Mir erscheint der Weg heute jedoch besonders schwierig, steinig, und unfallträchtig. Mehrfach komme ich ins Stolpern und frage mich, ob es am Weg liegt, oder an mir. Später melden mir meine Apps, dass ich für 14,5 Kilometer 6,5 Stunden unterwegs war, und dabei 45 Minuten Pause gemacht haben soll… 

Irgendwann erreiche ich dann aber doch das Kloster Lluc, wo ich auf Heerscharen von Rennradfahrern und Touristen treffe. Kaum zu glauben, dass dies hier das „spirituelle Zentrum“ Mallorcas sein soll. Aber nochmals 20 Minuten später ist dann auch die Herberge erreicht, das Refugi Son Amer. Gut, dass ich vor zwei Monaten schon reserviert habe, denn der Laden ist komplett voll und muss sogar einige Wanderer abweisen, die dann im Wald kampieren.

Hut ab vor den Betreibern, die hier eine wirklich schöne Hütte errichtet haben, und zum kleinen Preis ein überraschend gutes Abendmahl servieren – Rotwein inklusive. Friedlich richten sich daraufhin 24 Männlein und Weiblein ihre Betten im großen Schlafsaal, und um 23:00 geht das Licht aus. Das anschließende Konzert für Gewisper, Quitschbetten, Sägen, Pfeifen und sonstige Körpergeräusche war heftig. Am Ende aber hat meine Müdigkeit gesiegt und mir doch satte fünf Stunden Schlaf beschert, mit denen ich morgen die letzte Etappe angehen werde.