GR 221 – 09. Ses Fontahelles – Estellencs

Den Wecker hätte ich heute nicht zu stellen brauchen, denn der Hahn war schneller. Immerhin war der Gockel ziemlich nah dran an der gewünschten Weckzeit von 7:00. Zum Frühstück um 7:30 hatte man uns ermahnt, pünktlich zu sein, sonst wäre der Kaffee kalt. Das haben wir denn auch gleich verstanden, als wir im schönen, aber unbeheizten Frühstückssaal vor unseren Brötchen saßen. So schafften wir lässig den Check-Out-Termin von 9:00 und – weil ich ja einen Ruf als Eigenbrödler zu verlieren habe – ließ ich Sandra, Martin und Tim schon ´mal den Berg hinauf kraxeln.

Inklusive einer kleinen Variante über den 928 Meter hohen Gipfel Mola de s´Esclop  („Der gewaltige Holzschuh“) würden mich heute 15 Kilometer Distanz und 890 Höhenmeter erwarten, entnahm ich der GR 221-Wanderkarte. Etwa ein Viertel davon ist als Bergpfad / Wandersteig ausgewiesen, und laut unserem Gastgeber würde uns dort eine Steinwüste erwarten, in der die Orientierung schwer fällt. Vor meinem geistigen Auge sehe ich mich schon den Kollegen hinterher hecheln, und bin gespannt, wie ich das durchstehe.

„Im Frühtau zu Berge“ will ich noch schnell auf Facebook posten, um mir Mut zu machen und Zuspruch von meinen Freunden einzuholen. Dumm nur, dass unsere Herberge ja in einem Funkloch liegt, wie ich mich erinnere. Also los. Steil bergauf, 600 Höhenmeter auf den ersten beiden Kilometern. Relativ schnell verschwindet der Pfad unter Geröll, und spätestens jetzt bin ich den Mallorquinern dankbar für ihre Steinmännchen.

Wo ist das Steinmännchen? Die Orientierung ist diesem Gelände wäre ohne diese Markierungen noch schwieriger (Copyright 2017, Michael Simm)

Besser als jedes Schild funktionieren die kleinen Pyramiden hier oben, und alle paar Schritte freue ich mich, 30 Meter weiter den nächsten zu sehen. So geht das etwa eine Stunde lang. Zwischen zwei Gattern, die es zu übersteigen galt, wird es dann grüner und leichter, danach aber geht es wieder steil bergan – sogar mit einer leichten Kletterpassage.

Fall Ihr hier durchkommt: Nach dem zweiten Gatter und vor einer großen Gruppe entwurzelter Bäume geht es über eine kleine Mauer rechts hoch. Jetzt heißt es wieder „Steinmännchen gucken“ und im Schweiße seines Angesichts den Berg erklimmen. Die Kollegen von heute früh hatte ich da zu meinem eigenen Erstaunen überholt und konnte nun stolz von oben her den Weg weisen. Die erwähnte Kletterpassage ist zwar nicht schwer, aber ausgerechnet da, wo man die Hände braucht, ist der Boden abwechselnd bedeckt mit Disteln und mit Ziegenkötteln.

70 Meter unter dem Esclop gabelt sich der Weg und ich schlage die freundliche Einladung von Sandra, Martin & Tim aus, sie auf den Gipfel zu begleiten. Die Ausrede war, dass ich ja den GR 221 machen will, und den müsste ich dann für etwa einen Kilometer verlassen, und alle meine Aufzeichnungen stimmen dann nicht mehr, und überhaupt.

Auf der Karte sah mein Weg genau so weit aus, wie der über den Gipfel, und beide waren hier noch als Bergpfad gekennzeichnet. Als beim Zusammentreffen der beide Wege am Coll des Quer weit und breit niemand zu sehen war, ist der Eigenbrödler-Michel natürlich weiterspaziert. Bergab ging es über einen Hang, der dekoriert war mit zahlreichen schwarzen Baumstümpfen, die an den großen Waldbrand von 2013 erinnern.

Dann wird der Wanderweg breiter und verläuft aus einer Höhe von 650 Metern fast den ganzen Rest der Strecke abfallend auf holprigen Fahrwegen und Schotterpisten. Zwei Mal muss man ein kleines Stück an der Ma-10 entlang laufen und erblickt dann am Hang liegend endlich das schöne Dorf Estellencs mit seinen zahlreichen Terrassen. Diesen zweiten Teil der heutigen Strecke fand ich nicht so toll, und musste mich dann noch über einen Materialschaden ärgern:

An meinem Deuter Futura 28 Rucksack, den ich heute den fünften Tag auf dem Buckel habe, ist die Schnalle für den Bauchgurt gebrochen. Ziemlich schwache Leistung, Herr Deuter. Die Folge ist natürlich, dass ich den Gurt nicht mehr zuziehen kann und der Rucksack dann nicht mehr richtig auf der Hüfte sitzt. Und das bedeutet, dass ich die nächsten acht Tage schwerer zu tragen habe und meine Schultern noch mehr leiden müssen.

Die Idee, vielleicht mal schnell bei Amazon Ersatz zu bestellen und in meine nächste Unterkunft schicken zu lassen scheitert an der Lieferzeit. Und auf der Webseite von Deuter finden ich bei „Händlersuche International“ nur eine Adresse in Spanien. Und die ist nicht in Palma, sondern in Madrid. Bin gespannt, ob ich für diese Schnalle wenigstens nach der Rückkehr Ersatz kriege und tröst mich mit dem Gedanken, dass das Material schneller schlapp macht, als ich.

Für die Statistiker möchte ich noch kurz erwähnen, dass es heute (gemessen mit der App Runtastic Pro) „nur“ 11,3 Kilometer und 656 Höhenmeter waren, für die ich satte 4:19 an reiner Gehzeit gebraucht habe.

Jetzt bin ich jedenfalls in Estellencs, das wie so viele Dörfer in diesem Teil der Insel an einem steilen Hang liegt. Hunderte von Jahren haben die Einwohner hier das Gelände terrassiert, doch die einzige Terrasse für die ich mich jetzt interessiere, liegt gegenüber meinem Hotel. Vom Vall Hermos hat man einen erhebenden Blick über das Meer, und es ist der ideale Platz für mein Ankunftsbier.

Überhaupt finde ich hier alles prima. In meinem Hotelzimmer im Maristel habe ich vom Balkon aus ebenfalls Meeresblick, sogar ein Spa gibt es hier, mit einem kleinen Pool, Hottub und Sauna. Dafür fehlt mir aber die Zeit, denn ich muss erst noch meine stinkigen Socken waschen, auf dem Balkon zum trocknen ausbreiten, und essen gehen, bevor hier alles dicht macht.

Ich folge der einzigen Empfehlung meines Reiseführers ins Restaurant Montimar, nur wenige Schritte von Hotel und Bierterrasse entfernt. Hier gibt es malorquinische Spezialitäten, und auf der Speisekarte stehen Lamminnereien ganz oben. Was bin ich froh, dass mittlerweile meine Wanderbekanntschaft Sandra aufgetaucht ist, denn Paella gibt es sogar in Spanien erst ab zwei Personen. Um uns herum lauter zufriedene Gäste. Ob Kaninchen oder Ferkel, der Koch versteht sein Handwerk.

Früh geht´s ins Bett-was soll man auch machen an einem Freitagabend in einem Ort ohne Kneipe? Noch ein Blick auf die Wanderkarte und die Gewissheit, dass es morgen nur eine kurze Etappe zu laufen gibt. Meinen Wanderkollegen ist der Weg nach Banyalbufar zu kurz oder sie haben weniger Zeit als ich und laufen deshalb morgen gleich durch nach Esporles. Mir doch egal. Ich bin hier auf Reisen und leiste mir den Luxus, jeden Tag in meinem eigenen Tempo zu gehen…

GR 221 – 08. Sant Elm – Sa Trappa – Ses Fontahelles

Angesichts einer etwas längeren Etappe habe ich den Wecker auf 7:15 gestellt – und prompt überhört. Dann kam auch noch per Mail zur Frühstückszeit Arbeit ins Haus. Aber da ich diese Tour ja auch als Probelauf für einen möglichen späteren Lebensabschnitt als digitaler Nomade betrachte, war dies eine ganz gute Übung. Einfach noch den Text redigieren und dafür den Abmarsch eine Stunde nach hinten verlegen. Habe ich gedacht.

Und jetzt ratet mal, wer am dritten Tag seiner Tour zum zweiten Mal vergeblich auf den Bus wartet? Inzwischen ist 12 Uhr durch, und ich sehe keine andere Möglichkeit, als wieder ein Taxi zu nehmen. Der Fahrer verdient sich seine 12 Euro in Rekordzeit. Anders gesagt: Er fährt wie eine gesengte Sau von Port d´Andraxt nach Sant Elm.

Na ja. Um 12:30 beginne ich endlich die heutige Etappe von der Bushaltestelle in Sant Elms über das zerfallene Kloster Sa Trappa zur Wanderherberge Ses Fontanelles. Der erste Kilometer führt sanft auf einer Fahrstraße durch den Wald bergan. Ab dem zweiten Kilometer beginnt der „richtige“ Wanderweg, dessen Grenzen durch viele längs liegende Äste und gelegentliche Steinmännchen markiert sind. Steil geht es bergauf und bei Kilometer 2,5 fließt zusätzlich zum Schweiß auch noch das Adrenalin.

You never walk alone – jedenfalls nicht auf dem Weg Sant Elm nach Sa Trappa.

Hier gibt es eine kurze, laut Wanderführer leichte, Kletterpassage die über die Felsen sehr nah an einem ziemlich tiefen Abgrund entlang führt. Nicht so gut für Leute mit Höhenangst, aber für so manches ergraute Pärchen offenbar kein Problem. Kurz danach blickt man auch schon auf die Ruine des Kloster Sa Trappa. Hier soll irgendwann einmal eine Wanderherberge entstehen. Geplant ist sie seit 2009. Meinem Wanderführer „präsentierte sie sich mehrfach als Baustelle“, und als ich dort vorbei lief, waren dort zwar viele Wanderer, aber keine Bauarbeiter. Pfui.

Die Aussichten aber waren wieder toll, der Weg ab hier nur sanft an- und absteigend und schwer zu verfehlen. Nächster Höhepunkt war dann der Mirador (=Ausssichtspunkt) d´en Josep Sastre. 450 Meter unter mir liegt das Meer, und im Westen wirkt die Insel Sa Dragonera aus dieser Perspektive noch zackiger, als sie ohnehin schon ist.

Eine Einzelwanderin beschämt mich damit, dass sie heute früh mit dem Bus von Palma nach Port d´Andraxt gefahren und dort in den GR 221 eingestiegen ist. Somit hat sie schon ´mal 7,5 Kilometer mehr als ich in den Beinen und ist an diesem Tag auch noch die einzige, die mich überholt! Später treffe ich Sandra wieder, wir stellen fest, dass wir heute das gleiche Ziel haben, und die Schmach lässt etwas nach als ich erfahre, dass sie bereits im Kaukasus und im Himalaya trecken war…

Erst am Putxet des Guixers – ca. 14 Kilometer nach dem Beginn des GR 221 – sehe ich das erste Schild, auf dem dieser Fernwanderweg ausgezeichnet ist. Von hier geht es dann recht easy auf einem Fahrweg bis zum Coll de Sa Gramola, wo ich die Straße Ma-10 treffe. Auf der Karte verläuft der Weg gestrichelt (für „in Planung“) an der Straße entlang, und es bleibt mir nichts anderes übrig, als den unzähligen Mietwagen und Rennradfahrern entgegen zu laufen, die hier hochkommen. Erst nach einem Kilometer gibt es wenigstens einen Grünstreifen an der Straße, und bald darauf erreiche ich die schön gelegene Herberge Ses Fontahelles.

Etwa 12 Kilometer und 650 Höhenmeter liegen hinter mir, gebraucht habe ich dafür 4:20 netto.

Freundlich begrüßt uns der deutsche Inhaber und zeigt uns die Räumlichkeiten: Den großen Schlafsaal für 12 Leute – heute nur mit vier Wanderern belegt, den Frühstücksaal und das Glöckchen am Haupthaus, das man läuten muss, um ein Bier zu bekommen. Alles sehr gepflegt, mit Chill-Out-Area, einem hauseigenen Mirador mit Blick aufs Meer, und nicht zuletzt: Einem ordentlichen Bad, heißes Wasser inklusive.

Noch zwei Wanderer sind heute hier: Vater & Sohn alias Martin & Tim. Die haben etwas größere Rucksäcke als ich und holen daraus zu meiner Überraschung allerlei Grillzeug hervor, das sie sogar teilen wollen. Die Versuchung ist groß, aber ich bleibe bei meiner Diät, die heute und morgen aus zwei mitgebrachten Baguettes und ein paar Nüssen besteht.

Morgen wird´s dann richtig hart, erfahre ich übereinstimmend von meinen Mitwanderern: Sandra hat eine Spezialkarte nur für den GR 221, deren Maßstab zwar 1:50000 ist, dafür aber auch alle Tagesetappen beschreibt. Was da drin steht, verrate ich Euch im nächsten Bericht zur Strecke Ses Fontahelles nach Estellencs. Und wer´s verpasst hat findet hier eine Übersicht zu den bislang sieben Beiträgen für meine Wanderung auf dem Trockenmauerweg.