Sardinien – Su Nuraxi

Von Cagliari bin ich mit dem Bus nach Barumini gefahren – eine Strecke von 67 Kilometern, die mich inklusive Umsteigen € 4,90 und  2:40 Stunden  gekostet hat. Knapp die Hälfte dieser Zeit saß ich als einziger alter Sack unter lauter Schuljungen und -Mädchen, was sich irgendwie komisch angefühlt hat. Aber ich wollte ja „volksnah“ reisen, und die sardische Jugend hat sich anständig benommen – wenn man von den beiden Teenies neben mir absieht, die sich einen Sitz geteilt und die Freuden der lesbischen Liebe für meinen Geschmack ein bisschen zu aufdringlich vorexerziert haben 😉
 
Jedenfalls war der Bus pünktlich, und wie schon in der letzten Unterkunft bin ich auch heute wieder per Zahlencode in mein Hotel und Zimmer gekommen, der mir per WhatsApp zugeschickt wurde. Bei all dem Personalmangel, der in unserem Gastgewerbe beklagt wird, frage ich mich, warum man sich hier kein Vorbild nimmt.
 
Mein Hotel in Barumini war das „Diecizero„, ein umgebautes ehemaliges Kino. Das war zwar ganz originell, hatte aber eine eher unterdurchschnittliche Ausstattung und fühlte sich durch die schummrige Beleuchtung auch irgendwie puffig an. Egal. Der Preis war ok, und die Lage könnte zentraler nicht sein, mit Bar, Tabakladen und Bäckerei im gleichen Gebäude und der empfehlenswerten Pizzeria Su Pasiu nur 100 Meter entfernt. Es ist 14:15 und ich bin startklar um mein Hauptziel auf dieser Reise nach Sardinien zu erobern:
 
Zu Fuß geht es zum knapp einen Kilometer entfernten Weltkulturerbe der UNESCO, Su Nuraxi. Diese Wehranlage aus der Bronzezeit ist sowohl die größte als auch die berühmteste ihrer Art auf ganz Sardinien. Und da hier immerhin mehr als 7000 Wehrtürme (Nuraghen) in der Landschaft stehen, hat das schon etwas zu bedeuten. Entdeckt wurde Su Nuraxi erst 1949, als starke Regenfälle Teile der Anlage freisetzten. Es folgte eine 7-jährige Ausgrabungszeit, und die Rekonstruktion der Geschichte dieser Anlage. Entstanden etwa ab 1500 v. Ch. wurde hier über kaum vorstellbare 1000 weitere Jahre hinweg immer wieder nachgebessert, vergrößert und umgebaut.
 
„Aus Sicherheitsgründen“ ist Su Nuraxi nur im Rahmen einer ca. 40-minütigen Führung zugänglich, und dafür verlangt man 15 Euro. Die haben sich aber gelohnt für diesen lehrreichen Ausflug in die Prähistorie. Der Turm in der Mitte war einst 20 Meter hoch, hat jedoch sein drittes und oberstes Stockwerk verloren, sodass heute „nur noch“ 15 Meter übrig sind. Um den zentralen Turm liegen 4 weitere, und in einem äußeren Ring hatte man später nochmals 7 Türme erstellt, von denen aber nicht mehr viel übrig ist. All das wirkt vor Ort auch dank der (englischsprachigen) Führung noch weitaus eindrucksvoller, als in der Beschreibung. Für mich ist es weniger die Aussicht auf die Ebene, die beeindruckt, sondern die Konstruktion der Anlage aus Steinklötzen, die in einem nahe gelegenen Basaltvorkommen gebrochen und hierher geschafft wurden – vermutlich gezogen von Ochsen und menschlicher Muskelkraft.
 
Selbst mit Hilfe einiger Freunde hätte ich wohl keinen einzigen dieser Brocken bewegen können, schießt es mir durch den Kopf. Doch diese prähstorischen Menschen haben Reihe um Reihe emporgezogen, die Steine teilweise auch noch behauen und ohne Mörtel so stabil aufeinander getürmt, dass das Zentrum der Anlage 3500 Jahre relativ gut überdauert hat. Vor der Anlage liegen die Reste etlicher Steinhäuser, in denen einst nach Schätzungen ein paar Hundert bis zu 1000 Menschen lebten. Die durften wohl bei Gefahr ins Innere der Burgmauern flüchten, von wo man sich mit Pfeil und Bogen durch Schießscharten verteidigen konnte.
 
Der Zugang lag auf 7 Meter Höhe und erfolgte damals vermutlich über Strickleiter, die sich bei Angriffen einfach hochziehen ließen. Heute hat man ein paar Treppen davor gestellt und startet die Führung ins Innere von dem Loch in der Mauer. Damals wie heute ging man nicht über Leitern, sondern durch einen schmalen Gang mit steilen Steinstufen im Inneren der Burgmauer, bis man schließlich in den Hof kommt. Dort hatten die Nuraghen einen tiefen Brunnen ausgehoben und offenbar auch einen Wasserkult betrieben. Nichts Genaues weiß man nicht, denn die Bewohner waren zwar tolle Baumeister und haben auch einige schöne Bronzeskulpturen hinterlassen (die stehen in Cagliari im Archäologischen Nationalmuseum) – schreiben konnten sie aber nicht. Aber die Vorstellung, dass diese Menschen vor so langer Zeit durch die gleichen Gänge gekrabbelt sind und sich womöglich auf den gleichen Steinen abgestützt haben, wie unsere 5-köpfige Touri-Gruppe, ist schon prickelnd.
 
Wer mehr über den Steinhaufen wissen will, findet den offiziellen Eintrag (auf englisch) hier. Für mich hat sich der Besuch auf jeden Fall gelohnt – und zwar nicht nur, weil ich bei den „Most Traveled People“ auf meinen Listen ein weiteres Häkchen setzen durfte und nunmehr 69 Stätten des UNESCO-Welterbes gesehen habe.
 
Auf die Begeisterung folgt Ernüchterung, als ich für den morgigen Tag meine Fahrt nach Oristano planen will. Eigentlich kommt man mit dem Bus in 90 Minuten dort hin. Dumm nur, dass morgen Sonntag ist, und dass am Sonntag eben kein Bus geht. Das steht zwar auch in Google Maps klein und in Klammern dabei, doch habe ich diese Info blöderweise übersehen. Ich denke kurz darüber nach, mit meinem Rucksäckchen zum nächsten Bahnhof zu laufen – doch das wären entlang der Straße 29 Kilometer, und auf einem Wanderweg, den Komoot mir vorschlägt 35 – zu bewältigen in ca. 9 Stunden. Uber gibt´s hier auch nicht, und wenn ich die Taxikosten von vorgestern extrapoliere, würde mich das einen dreistelligen Betrag kosten. Auch die Möglichkeit, meine Megawanderung mit gelegentlichem Trampen abzukürzen, wird erwogen. Aber auch gleich wieder verworfen, denn ich will nicht abhängig sein von der Güte fremder Menschen und außerdem ist so etwas nicht planbar und viel zu unsicher.
 
Schließlich überwinde ich meinen Stolz und schicke eine WhatsApp an meine Vermieterin mit der Bitte um Rat. Und siehe da: Sie kennt jemanden aus dem Dorf, der mich für 40 Euro zum Bahnhof bringt. „Die Automiete für einen Tag wäre billiger gewesen“, grummle ich in einen Bart, nehme das Angebot dann aber doch dankbar an.
 
Der Tag geht ziemlich unbefriedigend zu Ende, denn ich finde zwar mit Su Pasiu eine offensichtlich gute Trattoria. Die ist an diesem Samstag aber so voll, dass ich keinen Platz mehr kriege, weil ohne Reservierung So verbringe ich die letzten drei Stunden des Tages mit Schreiben, buche noch ein Hotel in Oristano und finde mich damit ab, dass ich morgen den kompletten Vormittag verliere, weil ich zu dämlich war, einen Busfahrplan zu lesen…