Der Himmel so blau, die Luft so klar, die Leute so freundlich und das Glück auf unserer Seite. Kurzum haben wir deshalb heute unseren Aufenthalt auf Åland um zwei Tage verlängert. Eine Stornierung im Gasthaus Christiansund machts möglich und selbst auf der Fähre war am Sonntag-Abend noch einer der letzten Plätze frei – also haben wir nicht lange gefackelt. Klar bin ich neugierig auf Uppsala und Sigtuna, das Skolkloster und den Tiveden-Nationalpark – aber hier auf Åland nach nur zwei Tagen wieder abzureisen, erschien uns wie ein Frevel – zumal es offenbar noch jede Menge zu entdecken gibt.
So wie gestern, als ich mir ein Dreigang-Fahrrad mit Körchen vor dem Lenker geliehen habe, um unseren Zipfel der Insel Eckerö zu erkunden. Gewünschter Nebeneffekt: Ich bleibe im Training für die Renchtalrunde (aber das ist eine andere Geschichte). Na jedenfalls war die Insel dann doch nicht ganz so flach, wie sie von der Fähre ausgesehen hat. Und meine mountainbikenden Freunde hätten bestimmt ihren Spass daran gehabt zu sehen, wie ich immer wieder aus dem Sattel gehen musste, um die achterbahnmäßige Schotterstrecke nach Långöjen (auch „Långön“ geschrieben) zu bewältigen, wo ich nicht nur das Ende der Straße erreichte, sondern auch den laut Karte nordöstlichsten Punkt von Eckerö.
Schon kurz nach der Abzweigung von der Hauptstraße 1 der Insel stieß ich dabei auf das Eckerö Hotel und dessen bunte Reklametafel für den „Elvis von Aland“, der mit bürgerlichem Namen Ronald Karsson heißt und hier sechs mal pro Saison seine Show abzieht. Das man sich in dem Hotel deshalb gleich mit Graceland vergleicht, läßt mich schmunzeln. Und obwohl man für ein „exklusives Elvis-Menü“ samt Eintritt 53 Euro hinblättern müsste, wäre ich an solch einem Abend doch gerne einmal dabei.
Vorbei ging es am Campingplatz und Konferenzzentrum Käringsund, mit seinen vielfältigen Freizeitangeboten und einem vergleichsweise preiswerten Restaurant mit großen Portionen. Geschätzte 12 Kilometer weit war der Weg, der zunächst auf Asphalt, dann auf Schotter durch den teilweise recht schütteren Wald führte, wo sich zähe Kiefern, Flechten und Moose auf dem roten Granit festkrallen. Mal links, mal rechts gab es Ausblicke auf die blaue Ostsee. Eine Lachsfarm mit allerlei Bottichen, Geräteschuppen und Maschinen unterbrach kurz die Idylle und dann ging es vor einem Windrad rechts ab, das letzte Stück Straße bis zum handgemalten Ortschild von Långöjen.
Dort endete die Schotterpiste direkt am Meer und ich erblickte rund herum die offenbar typische schwedische Grundausstattung: Ein schmuckes Holzhaus am Meer (oder wahlweise auch auf einer grünen Wiese oder an einem See), Doppelgarage mit Volvo oder ähnlich repräsentativem Auto davor (in diesem Fall eine dreifach-Garage mit einem 500er Mercedes und einem Volvo), Bootsschuppen und Anlegestelle. Die Einwohnerzahl von Långöjen, schließe ich messerscharf, entspricht der Zahl der Bewohner dieses Hauses. Ob es wohl drei, vier oder fünf sind?
Taktvoll halte ich mich abeits des Hauses, stelle fest dass dessen Besitzer auch einen kleinen Sandstrand vorzuweisen hat, neben dem ein Ruderboot und zwei Kanus im Gras liegen. Zwischen den Felsen hat er an einer windgeschützen Stelle einen rustikalen Holztisch mit zwei Bänken eingepasst und ein paar Meter weiter lädt ein sorgfältig ausgerichteter Stamm dazu ein, den Blick aufs Meer und die vorgelagerten kleinen Inseln zu genießen. Dies tue ich ausgiebig, schaue den Seeschwalben beim Fischfang zu und versuche recht erfolgreich, nicht neidisch zu sein.
Als ich mich wieder auf´s Fahrrad schwingen will, begegne ich dem Hausbesitzer, der mich nach meiner Herkunft fragt. Ich antworte und mache ihm ein Kompliment für sein schönes Haus „am Ende der Welt“. Für ihn sei es die Mitte der Welt, entgegnet er und fügt auf deutsch hinzu, dass er schon mindestens 50 Mal in Deutschland gewesen sei. Auch in Baden-Baden, erklärt er auf meine Versuche, Offenburg in der Nähe von Straßburg zu verorten. Wieder ´was dazu gelernt, denke ich auf dem Heimweg und sinniere über den sehr speziellen Charakter von Åland:
Dessen weniger als 30000 Einwohner verteilen sich auf 6700 Inseln – macht durchschnittlich 4 Personen pro Eiland. Wo sonst auf der Welt gibt es noch solch eine Quote, frage ich mich verblüfft. Die Karibik mag höhere Duchschnittstemperaturen haben. Aber die langen Sommernächte, die klare Luft und das satte Grün wird man dort vergebens suchen. Die Attraktionen hier sind zugegebenermaßen nicht gerade atemberaubend. Aber die Inseln, die erst vor 8000 Jahren aus der Ostsee aufgetaucht sind, haben eine interessante Geschichte vorzuweisen. Mal schwedisch, mal russisch waren sie Durchgangsstation und Transportweg auf dem Weg von Stockholm ins heutige Finnland, wovon noch heute eines der größten Gebäude hier zeugt: Das Post- und Zollamt auf Eckerö war der westlichste Außenposten des Zaren und musste deshalb auch entsprechend repräsentativ sein. Heute ist ein kleines Museum ´drin und ein Café und von hier ab finden sich immer wieder Infotafeln auf schwedisch, englisch, finnisch und deutsch, auf denen die Sehenswürdigkeiten entlang des alten Postweges erklärt sind.
Biegt man von der Fähre kommend nach zwei oder drei Kilometern auf der Inselstraße mit der Nummer 1 recht ab in Richtung Torp und fährt noch einige Kilometer weiter nach Süden landet man auf dem Campingplatz Degersand und seinem Restaurant „Q“. Hier findet sich ein echter Sandstrand, dekoriert auf seiner östlichen Seite mit einem Dutzend schmucker Holzhäuschen. Wir dagegen entscheiden uns für die westliche Sete des Strandes, wo wir uns bis in den Abend hinein auf die glatten, warmen Granitfelsen fläzen. Und so ganz ohne Ablenkung entdeckt wir auch bald jede Menge Tierchen , die die Flut in ein paar Pfützen hinterlassen hat: Gestreifte Fischlein, kaum größer als ein Fingerglied, Wasserasseln und Schwärme weißer Pünktchen – Wassermilben vielleicht? – die scheinbar zielllos hin und her wuselten.
Mit so viel Zeit scheuten wir nicht einmal vor dem Besuch der Kirche von Eckerö zurück, die um 1400 aus groben Steinen exakt zusammen gesetzt wurde und die mit Schindeln gedeckt ist. Nur ein paar Meter entfernt davon liegen einige Hügelgräber, deren Umrisse man unter dem Gras erahnen kann, und die offenbar exakt nach Norden ausgerichtet wurden. Was auch immer sich die Menschen in der Zeit zwischen 400 und 1000 n.Ch. dabei gedacht haben mögen, dass ihre Inseln einmal zu solch einer friedlichen Oase würden, haben sie wohl kaum erahnt.