Singapur renoviert mit Gefühl

Auch in Singapur hat sich die Ansicht durchgesetzt, dass prall gefüllte Einkaufszentren, Luxushotels und steil aufragende Bürogebäude wenig zum Charme einer Stadt beitragen. Deutliches Zeichen für frisch gewonnene Einsichten ist ein milliardenschwerer Feldzug, mit dem die ethnischen Bezirke des Stadtstaates zu neuem Leben erweckt werden sollen.

Zusammen mit dem privaten Sektor fließen etwa drei Milliarden Mark in die Erhaltung und Renovierung so beliebter Viertel wie Chinatown, Little India, Arab Street und Kampong Glam. Gerade westliche Touristen lassen sich gerne von der Exotik dieser Bezirke verzaubern. Dort in den faszinierenden alten Ladenhäusern nach einheimischen Erzeugnissen zu stöbern vermittelt mehr vom Zauber Asiens, als jede noch so prunkvoll gestaltete Hotellobby.

Die Skyline von Singapur im Jahr 1989 – Gerade noch rechtzeitig hat man begonnen, das Erbe zu bewahren und viele historische Gebäude vor dem Abriss gerettet (© Michael Simm)

Denn die alten Viertel haben sich ihre Eigenheiten bewahrt. In Chinatown etwa wird das Straßenbild geprägt von Händlern, deren Läden mit Haushaltswaren, tropischen Früchten und exotischen Gewürzen überladen sind. Stinkfrüchte (Durians) locken mit ihrem Aroma die Einheimischen – und stoßen die Fremden ab.

Körbe voller getrockneter Pilze, Meeresgetier und anderer Köstlichkeiten lassen die heimische Küche ärmlich und phantasielos erscheinen. Von den Balustraden der zweigeschossigen Häuser hängen Bambuskäfige, in denen Singvögel zwitschern. Kalligraphen verzieren rotes Glückspapier mit Goldbuchstaben oder schreiben Briefe für alte Leute. Auch Apotheken fehlen nicht, in denen Freunden der Naturheilkunde zu jedem denkbaren Wehwehchen der entsprechende Pflanzenextrakt geboten wird, oder auch ein Pülverchen aus den Weichteilen von allerlei Getier.

Diese Idylle wäre in den letzten Jahren beinahe zerstört worden. Das Ministerium für nationale Entwicklung begann bereits in den frühen sechziger Jahren mit einer Stadterneuerung, bei der die Beseitigung der Elendsviertel und die Umgestaltung des Stadtkerns im Mittelpunkt standen. Mittlerweile reihen sich in der City Bürogebäude, Einkaufszentren und Hotels aneinander. Ganze Straßenzüge des alten Chinatown mussten eintönig-farblosen Mietskasernen weichen. Doch damit nicht genug: Auch der Singapur River wurde 1983 „aufgeräumt“, seiner Boote, Frachter und Dschunken beraubt.

Dann begann man umzudenken. Unter der Leitung des Amtes für städtische Erneuerung (URA) richtete sich das Augenmerk zunehmend auf die Erhaltung des historischen Viertels Singapurs. Eine „qualitativ hochwertige Lebens- und Arbeitsumgebung“ wollte man im Stadtkern schaffen. Gleichzeitig war sich die Behörde aber über die Anziehungskraft auf die Touristen klargeworden, die von den alten Bezirken ausgeht. Schließlich erhofft man sich, noch in diesem Jahr eine Besucherzahl von fünf Millionen zu überschreiten.

Im Dezember 1986 wurde dann der „Conservation Master Plan“ angekündigt. Insgesamt sind darin über 100 Hektar des alten Singapurs erfasst, denen ein bedeutender historischer und architektonischer Wert zugeschrieben wird. Damit die Renovierungsarbeiten nicht nur auf den öffentlichen Grundstücken durchgeführt werden, wurden Richtlinien erlassen, die auch die private Beteiligung an dem Projekt regeln.

Im Mittelpunkt der Bemühungen stehen Gebäude aus der Jahrhundertwende ebenso wie viele neoklassizistische Bauwerke aus Singapurs Kolonialzeit. Besonders die chinesischen Ladenhäuser mit ihren ebenerdigen Geschäften und den darüber liegenden Wohnungen sollen mit neuem Leben erfüllt werden. Der manchmal als „Palladio-Chinesisch“ bezeichnete Stil, in dem die wohlhabenden Chinesen ihr Zuhause gestalteten, prägte lange Zeit den Charakter der Stadt. Typisch für diese Bauweise war eine Mixtur aus ornamentgeschmückten Pilastern, Falttüren und venezianischen Fenstern. Die Fassaden waren meist in delikaten Pastelltönen gehalten, die Dächer mit Terrakottaziegeln bedeckt: Später zerfielen die Häuser allmählich, viele wurden von Baggerzahn und Abbruchbirne beiseite geräumt, was übrigblieb, war noch vor kurzem in einem bedauernswerten Zustand.

Doch mittlerweile sind die Renovierungsarbeiten in vollem Gang, erste Ergebnisse sind vorzuweisen. In Tanjong Pagar, einem Teil Chinatowns, beziehen chinesische Händler die ersten schmucken Geschäfts- und Bürohäuser. Neue Restaurants werden eröffnet, wo vor Jahresfrist noch Ruinen standen. Weitere sanierungsbedürftige Gebäude werden an Privatleute verkauft, die den Umbau dann in die eigenen Hände nehmen. Auch die Bugis Street soll wiederauferstehen, allerdings als Nachbau in der benachbarten Victoria Street. Dort, wo sich bis 1985 noch das Nachtleben Singapurs abspielte, steht jetzt nämlich ein Bahnhof der städtischen Metro.

Wie Catherine Quah, stellvertretende Direktorin der Tourismusbehörde, erklärte, waren die Gebäude nicht an die Kanalisation angeschlossen. Es wäre demnach zu teuer gekommen, Bugis Street an Ort und Stelle zu bewahren. Ob auch die „neue“ Bugis Street, die man liebevoll mit vielen Originalteilen rekonstruiert, die Nachteulen der Stadt anlocken kann, wird die Zukunft zeigen müssen. Ein dem Original nachempfundenes Freiluftrestaurant und eine Bühne für Gaukler, Akrobaten und Straßenkünstler beweisen jedenfalls, dass sich die nostalgischen Anwandlungen der URA nicht nur auf historische Monumente beschränken.

Ein solches Monument ist sicherlich das alte Viertel aus der Kolonialzeit. Dort hatte der im viktorianischen Stil gebaute Empress Place mehr als 100 Jahrelang als Gerichts- und Verwaltungssitz gedient. Mit 25 Millionen Mark wurde das Gebäude, das schon leichte Ermüdungserscheinungen gezeigt hatte, wieder herausgeputzt. Seit dem Abschluss der Renovierungsarbeiten im April des vergangenen Jahres werden auf 8000 Quadratmeter Fläche wechselnde Ausstellungen geboten. Damit ist der Empress Place eines der größten Museen in ganz Asien.

Natürlich darf bei all diesem Aufwand auch das Raffles Hotel nicht fehlen. Die „Grand Old Lady“ des Ostens erfährt eine Verjüngungskur die weit über 100 Millionen Mark kosten wird. Derzeit werden alle Zimmer des berühmten Kolonialhotels in Suiten umgebaut, jeweils ausgestattet mit Teakholzböden, traditionellen Deckenventilatoren und all dem Glanz der zwanziger Jahre. Richard Helfer, der Direktor der Hotelgesellschaft, hat eigens eine weltweite Suche nach dem Erbe des Raffles initiiert, um den Architekten und Restauratoren eine möglichst genaue Vorstellung von der vergangenen Pracht zu verschaffen. So dienen nicht nur die Erinnerungen des Schriftstellers Sommerset Maugham sondern auch ein in Austin, Texas, aufgetauchtes Notizbuch aus dem Jahr 1906 der liebevollen Pflege der Nostalgie. Ab Sommer nächsten Jahres können sich dann alte und neue Bewunderer des Raffles vom Erfolg der Arbeiten überzeugen.

(in gekürzter Form erschienen am 14. Februar 1990 im WELT-Report Singapur)

Die sauberste U-Bahn der Welt

Obwohl Singapur nicht einmal drei Millionen Einwohner hat, braucht die Metro des Stadtstaates den Vergleich mit den weltbesten Verkehrssystemen nicht zu scheuen: Mit fast 70 Kilometern ist das Streckennetz des „Mass Rapid Transit“ (MRT) erheblich länger als die gesamte Insel. Während der Stoßzeiten rollen die blitzsauberen Züge im Vierminutentakt, transportieren täglich bald 300 000 Menschen durch dunkle Tunnels oder über hochstelzige Viadukte.

Kein Platz für Schmutzfinken: Rauchen und Essen wird in Singapurs Metro richtig teuer.

Dabei spiegeln sich die Eigenheiten dieser Stadt an den Wänden der Haltestationen: schnell, zuverlässig, sicher und sauber, vor allem sauber geht es hier zu. Rauchen, essen, trinken – alles wird mit einer saftigen Geldstrafe von rund 500 Mark geahndet. Nicht zu übersehen sind die Hinweistafeln, die auf Englisch, Chinesisch, Malaiisch und Tamil davor warnen, auch nur einen Papierschnitzel fallen zu lassen.

Graffiti? – Undenkbar. Nicht einmal gebrauchte Fahrkarten sind auf dem Boden zu sehen. Die Erklärung liegt auf der Hand: Die kleinen, mit einem Magnetcode versehenen Plastikkärtchen werden bei Verlassen der Stationen elektronisch auf ihre Gültigkeit überprüft und verschwinden dann im Bauch der automatischen Wächter. Wenig später tauchen sie in den Ticketautomaten wieder auf, wo die Fahrscheine beim Kauf neu kodiert werden.

Selbst chronisch Orientierungslosen dürfte es in Singapur schwer fallen, den falschen Zug zu besteigen. Zwei sich kreuzende Strecken führen in alle vier Himmelsrichtungen: Blau nach Westen, Grün nach Osten, Gelb nach Norden, Rot nach Süden; so einfach kann Metrofahren sein. Mit 50 Pfennig ist man dabei; auch Strecken über 30 Kilometer Länge kosten wenig mehr als eine Mark. In diesem Preis enthalten ist ein Luxus, den der Besucher nicht ohne weiteres erwartet hätte: Eine Klimaanlage bietet in Haltestationen und Zügen Schutz vor der schwülheißen Witterung der Tropeninsel.

Um unnötige Energieverluste zu vermeiden, sind die Bahnsteige von den Gleisanlagen durch Schiebetüren getrennt. Fährt ein Zug auf einer Haltestation ein, öffnen sich diese Schiebetüren synchron mit denen der weiß-roten Züge. Dann bleiben den Passagieren noch knapp 30 Sekunden, bevor sich die Türen schließen und die Züge wieder mit bis zu 80 Stundenkilometern davonbrausen.

Die aufwendige Konstruktion ist weltweit einmalig und hilft die Energiekosten um die Hälfte zu senken. Ein derart vorbildliches System hat natürlich seinen Preis: Etwa fünf Milliarden Mark wurden investiert, um die Stadt vor dem Verkehrsinfarkt zu retten. Nur noch wenige Stationen fehlen, bis auch der letzte Bauabschnitt in Betrieb gehen kann – genau nach Plan, versteht sich.

(erschienen im WELT-Report Singapur am 14. Februar 1990 als Nebenprodukt einer Recherche-Reise zum Thema Zahntourismus)