Top-Thema Nr. 5 – „Durchbruch“ in der Krebsforschung

Vorsicht ist angebracht, wenn Wissenschaftler – oder Journalisten – von Durchbrüchen reden. Dies gilt umso mehr bei der Therapie von Krebspatienten in fortgeschrittenen Stadien und mit besonders bösartigen Tumoren. Dennoch feiern die Redakteure des Magazins Science just solch eine Therapie als „Durchbruch des Jahres“. Große Aufmerksamkeit war dieser Wahl gewiss, denn mit einer Reichweite von etwa einer Million Lesern ist Science die führende Publikation auf dem Gebiet der Wissenschaften.

Glaubt man dem Magazin Science, so ist die Immuntherapie gegen Krebs der "Durchbruch des Jahres 2013" (Foto: Valerie Altounian/Science)
Glaubt man dem Magazin Science, so ist die Immuntherapie gegen Krebs der „Durchbruch des Jahres 2013“ (Foto: Valerie Altounian/Science)

Der Gedanke, dass die Auszeichnung als unangemessen sensationelle Darstellung empfunden werden könnte, wird in der Zeitschrift zwar kurz erwogen, dann aber verworfen. Es folgen anekdotische Beschreibungen dreier spektakulärer Einzelfälle, bei denen nach der Therapie die Tumoren schrumpften und nicht wiederkehrten. Ihre Entscheidung begründen die Science-Redakteure damit, dass Wissenschaftler zwar seit Jahrzehnten eine Immuntherapie gegen Krebs für möglich gehalten hätten, dass dieser Plan aber “unglaublich schwierig“ in die Tat umzusetzen war. Jetzt hätte man nach Meinung vieler Onkologen die Wende geschafft, weil zwei verschiedene Techniken einem Teil der Patienten helfen können. Die eine Vorgehensweise nutzt Antikörper, um eine Art Bremse bei T-Zellen zu lösen, sodass diese Tumorzellen erfolgreich angreifen können. Die andere Strategie besteht darin, T-Zellen von Patienten zu gewinnen, die dann im Labor derart modifiziert werden, dass sie ihre Zielzellen besser angreifen können. Schließlich werden diese Zellen zurück in den Körper der Patienten geleitet. Die am weitesten fortgeschrittene Therapie dieser Art kostet 120000 Dollar und wurde bislang an etwa 1800 Patienten mit Schwarzem Hautkrebs (Melanom) angewandt, die man ansonsten wohl als „hoffnungslose Fälle“ aufgegeben hätte. Die Firma Bristol Myers-Squibb, die diese Therapie verkauft, stellt es als großen Erfolg dar, dass nach drei Jahren 22 Prozent dieser Patienten am Leben waren – also etwas mehr als jeder Fünfte. Genaueres erfahren Sie in diesem Artikel, den ich für Medscape Deutschland geschrieben habe. Meine Vorstellung von einem Durchbruch sieht allerdings anders aus…

Alle Top-Themen der Wissenschaft 2013:

  1. Gene im Rampenlicht
  2. Gefährlicher Streifschuss
  3. Der stärkste Sturm?
  4. Kohlekraft schlimmer als Atomkraft?
  5. Immuntherapie gegen Krebs
  6. Erbgut vom Frühmenschen
  7. Der Preis des Frackings
  8. Hirnchen, Nierchen, Leberlein…
  9. Drohnen im Anflug
  10. Blick unter die Schädeldecke
  11. Spüli im Gehirn
  12. Ernie und Bert am Südpol gefangen

Top-Thema Nr. 10 – Blick unter die Schädeldecke

Die Kartierung des menschlichen Gehirns hat es gleich bei mehreren Redaktionen unter die ersten Plätze geschafft. Fast gleichzeitig haben nämlich sowohl die EU als auch die USA milliardenschwere Bekenntnisse abgelegt. Die Summen klingen jedoch weniger beeindruckend, wenn man sie vergleicht zum Beispiel mit den Militärausgaben oder wenn man bedenkt, wie groß das unbekannte Terrain des Gehirns tatsächlich ist: Immerhin handelt es sich bei den 86 Milliarden Neuronen in einem durchschnittlichen Schädel und deren geschätzt 10 Billionen Verbindungen um das komplexeste Gebilde im bekannten Universum.

Geflecht von Nervenzellen (Quelle und (c): Human Brain Project)
Geflecht von Nervenzellen (Quelle und (c): Human Brain Project)

Will man eine Initiative gut verkaufen, so hilft ein schöner Name. So taufte Obama das US-Projekt in einer Pressemitteilung auf den Namen „Brain Research Through Advancing Innovative Neurotechnologies“, oder – zünftig angekürzt – BRAIN. Zweck der Übung sei es, Techniken zu entwickeln, mit denen Tausende oder gar Millionen von Neuronen gleichzeitig belauscht werden können. Viele Hirnforscher haben da die Ohren gespitzt und wollten Genaueres erfahren. Klare Antworten haben sie aber nicht gekriegt, wie man beispielsweise hier auf dem Blog Scicurious nachlesen kann. Der Verdacht liegt nahe, dass man nicht untätig aussehen wollte, während die EU ein angeblich wegweisendes Projekt aufs Gleis setzt.

Betrachtet man die Qualität der Pressemitteilungen und das Design der Webseite, so liegen die Europäer mit „ihrer“ Initiative, dem Human Brain Project klar vorne. Hier ist das erklärte Ziel, das Gehirn zu verstehen, indem man lernt, es zu simulieren. Warum aber fällt es mir so schwer, mich über die Forschungsmilliarde für die Neurobiologie zu freuen? Nun, es gibt in Deutschland und der Schweiz, in England, Frankreich und einigen anderen EU-Ländern jede Menge erstklassige Hirnforscher mit Hunderten von förderungswürdigen Projekten. Und ich kann noch nicht so recht glauben, dass die HBP-Milliarde nicht anderswo zumindest teilweise wieder abgezogen wird.

Zuletzt durften wir außerdem beim Human Genome Project erleben, dass ein einzelner Mann (Craig Venter) mit ein paar Risikokapitalgebern ebenso viel auf die Beine gestellt hat, wie der Staat mit einem milliardenschweren Forschungsprogramm. Es würde mich nicht überraschen, wenn es den Brüsseler Gigantomanen genauso erginge.

Alle Top-Themen der Wissenschaft 2013:

  1. Gene im Rampenlicht
  2. Gefährlicher Streifschuss
  3. Der stärkste Sturm?
  4. Kohlekraft schlimmer als Atomkraft?
  5. Immuntherapie gegen Krebs
  6. Erbgut vom Frühmenschen
  7. Der Preis des Frackings
  8. Hirnchen, Nierchen, Leberlein…
  9. Drohnen im Anflug
  10. Blick unter die Schädeldecke
  11. Spüli im Gehirn
  12. Ernie und Bert am Südpol gefangen

Spatzen singen gegen den Stadtlärm

Entgegen anders lautenden Gerüchten ist der Michel (noch) kein hauptberuflicher Vogelkundler (Ornithologe), sondern er verdient sein Geld als Journalist für Medizin & Wissenschaft. Da flattert ihm so manche Pressemitteilungen in die Mailbox, darunter auch eine der George Mason Universität in der US-Hauptstadt Washington, die er interessant genug fand, um sie allen Freunden des Federviehs zu präsentieren:

Ein amerikanischer Spatz (Zonotrichia leucophrys) Foto: Wolfgang Wander, CC-Lizenz 3.0

David Luther und seine Kollegin Elisabeth Derryberry haben Tonaufnahmen der Gesänge von Spatzen in einem Stadtpark von San Francisco (dem Presidio) ausgewertet, die bis ins Jahr 1969 zurück reichen, und die zeigen, wie sich die Piepmätze an den immer lauteren Lärm in der Stadt angepasst haben. Jedoch sangen die Spatzen der Art Zonotrichia leucophrys (zu deutsch: Dachsammer) in der Nähe viel befahrener Kreuzungen nicht einfach nur lauter, vielmehr haben sie ihre Melodien der Tonlage der Umgebungsgeräusche angepasst.

Der Lärm der Menschen liege meist im unteren Frequenzbereich, sodass zumindest die tieferen Töne der alten Spatzenlieder von den Vögel nicht mehr erkannt würden, erklärt Luther. Auf den frühen Aufnahmen waren noch drei verschiedene Melodien zu hören, nach dreißig Jahren aber nur noch zwei, und der Trend geht dahin, dass bald nur noch eine Melodie gesungen wird – und zwar diejenige mit den höchsten Frequenzen. „Dieser eine San-Francisco-Dialekt hat praktisch die ganze Stadt erobert“, so Luther.

In ihren Experimenten hatten die Wissenschaftler die Territorien von 20 Spatzen besucht und den Tieren dort mithilfe eines iPods die alten Aufnahmen im Zufallsmodus vorgespielt. „Die Vögel reagierten viel stärker auf den aktuellen Dialekt, als auf die historischen Melodien“, stellte Luther fest. Der Gesang wird als Bedrohung durch einen Rivalen verstanden und die Männchen fliegen dann zum Lautsprecher um dort ihre Melodie zu tschilpen mit einer Botschaft, die jeder echte Konkurrent im Revier verstehen kann: „Hau ab!“

Quelle: Luther DA, Derryberry EP. Birdsongs keep pace with city life: changes in song over time in an urban songbird affects communication. Animal Behaviour, Vol. 83, No. 4. (April 2012), S. 1059-1066