Vorbemerkung: Dies ist der erste Gastbeitrag auf meinem Blog. Danke, Antje, für Deinen Mut und für diese ganz besondere Rezension. Hier also die Buchbesprechung von Einer, die mitreden kann, weil sie dabei war! (MS):
Es ist schwierig dieses Buch für eine ganze Nation zu empfehlen, da es sich ausschließlich um die erlebte Kindheit eines 1972 Geborenen, in Ostberlin, handelt. Diese Geschichte ist aber so genial und ehrlich geschrieben, dass ich meine verlorene Kindheit in den Zeilen wiederfinde. Schon dafür möchte ich dem Autor ganz herzlich danken. In „Mauergewinner – 30 DDR Sättigungsbeilagen“ ist es Mark Scheppert gelungen, so zu schreiben, wie wir es als Kinder in der DDR empfunden haben, es erdulden mussten und wie es wirklich war. Ganz ehrlich und direkt, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, denn das mussten wir ja lange genug.
Alle Erzählungen und Erinnerungen habe ich fast 1:1 erlebt. Es ist als hätte man nach 20 Jahren sein eigenes Tagebuch wiedergefunden. Mark Scheppert beschreibt den gnadenlosen DDR-Alltag mit all seinen schönen und weniger schönen Facetten. Natürlich ging es bei mir um Jungs-Geschichten wenn Mark von seinen Mädchen-Geschichten schreibt, aber das ist ja klar. Wenn er eine Schlägerei in der Mahrzahner Disco beschreibt, dann haben wir Mädchen um unsere Freunde gebangt und uns hinter dem nächsten Häuserblock versteckt. Die Alkohol- Exzesse seines Vaters kenne ich zum Glück nicht aus der eigenen Familie aber aus dem erweiterten Kollektiv meiner Eltern. Von den Details zur Stasi möchte ich mich distanzieren, da Mark diese Betrachtung aus meiner Sicht etwas verharmlost. Aber alles was wir als unschuldige Kinder sonst erlebt haben, ist in diesem Buch endlich mal festgehalten.
Was mir nach so viel Jahren beim Lesen aufgefallen ist, ist die einzigartige Sprache, die sich in diesem abgeschotteten Ossi-Land entwickelt hat und sich nach der Wende aber ebenso zurück entwickelt hat. Ich bin auf Bezeichnungen und Wörter gestoßen, die ich quasi 20 Jahre nicht mehr gehört oder gesprochen habe, das ist schon ein ganz besonderes Gefühl des Verlustes.
Da ich von einem guten „Wessi“ Freund aufgefordert wurde: „Hey schreib doch zu diesem Buch eine Rezension“, habe ich mich gefragt: Warum sollte ein sogenannter „Wessi“ dieses Buch lesen? Als 1972 gebürtige Ostberlinerin, die seit 19 Jahren in der BRD lebt und ihr Herz ans Badische Land verloren hat, war das Buch eine Offenbarung, eine Zeitreise in die Vergangenheit, ein unverfälscht-ehrlicher Blick auf die eigene Kindheit. Vielleicht hilft dieses Buch den Wessis, ihre Ossi-Freunde noch besser zu verstehen? Denn in „Mauergewinner“ spürt man die Angst schon beim Lesen, die von unseren Lehrern, Eltern und Vorgesetzten verbreitet wurde, man spürt das Vergessene, Tragische, was nie mehr wiederkommt, was aber auch niemand will. Dennoch fühlt es sich wie eine verlorene Kindheit an, die nur einzig und allein in diesem lustigen, manchmal sprachlich sehr derben, aber liebevollen Buch beschrieben ist.
Es ist ein sehr persönliches Buch. Es ist ein lustiges Buch. Es ist ein politisches Buch. Es ist ein geschichtliches Buch und es ist ein Stück Vergangenheit von 17 Millionen Deutschen. Vielleicht reichen diese fünf Gründe ja, sich den „Mauergewinnern“ hinzugeben.